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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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jemand, der ein solches Goldstück in der Tasche hat, zu dem Kranken tritt.
Gegen das Fieber hilft, wenn man sich bei Bulak, dem Hafen von Kairo, ein
Stück Nilschlamm aufhebt, sich auf das entgegengesetzte Ufer des Flusses über¬
setzen läßt und das Stück Schlamm dort hinlegt. Ein Gerstenkorn im Auge,
von den Arabern Schachaddeh d. i. Bettlerin genannt, wird am besten ver¬
trieben, wenn man zu sieben Frauen geht, die in sieben verschiedenen Häusern
wohnen und alle Fatmeh heißen, und sich von jeder einen Bissen Brot er¬
bittet. Diese sieben Bissen, in der festen Zuversicht auf ihre Heilkraft genossen,
heilen unfehlbar.

Wer unschlüssig ist, ob er dies oder jenes thun oder unterlassen, z. B.
eine Reise unternehmen, einen Kauf abschließe" soll, nimmt den Koran her,
spricht dreimal das erste Capitel, öffnet dann das Buch aufs Gerathewohl
und zählt, wie oft die Buchstaben Ch und sah auf der Seite zur rechten
Hand vorkommen. Findet sich der Buchstabe Ch häufiger, so gilt dies als ein
Ja des Orakels, weil dieser das Wort Chejr, gut, vertritt, wogegen der Buch¬
stabe sah das Wort Scharr, böse, vorstellt. Andere suchen die Antwort auf
der siebenten Zeile der rechten Seite. Noch andere beten Abends, ehe sie sich
niederlegen, Gott möge sie durch einen Traum zum rechten Entschluß leiten
und sie, wenn er ihre Absicht billige, etwas Weißes oder Grünes oder auch
fließendes Wasser sehen lassen, im Gegentheil aber etwas Schwarzes oder
Rothes oder Feuer. Dann sprechen sie dreimal das EingangScapitel des
Koran und schließlich wiederholen sie, bis sie einschlafen, die Worte: "O Gott,
sei unserm Herrn Mohammed günstig!" Dieselbe Formel wird ausgesprochen,
wenn man von einem unheilverkündenden Traum erwacht, worauf man sich
dreimal über die linke Schulter spuckt, um einer Erfüllung des Traumes
vorzubeugen -- alles mehr oder minder an abendländischen Aberglauben
erinnernd.

Unsre Reisegesellschaft hatte die Absicht, an einem Sonntage nach Ober¬
ägypten aufzubrechen. Alles war an Bord gebracht. Als wir aber dem
Dragoman sagten, er solle dem Reis die Anker lichten heißen, stellte eS sich
heraus, baß der Wirth im Hotel deS Pyramides, der uns bemerkt, die Araber
würden auf keinen Fall heute weggehen, vollkommen Recht gehabt hatte. Hassan
brachte die Antwort zurück, Reis Fargalli meine, der Wind sei uns entgegen, und
als wir auf die Wimpel wiesen, die das Gegentheil zeigten, fehlten noch drei
Matrosen. Da auch diese Ausflucht nicht half, erschien der Reis selbst in der
Kajüte und erklärte mit Geberden der tiefsten Unterwürfigkeit die wahre Ur¬
sache des Zögerns. Wir sollten ihm mit den Stiefeln auf den Nacken treten
können (mit schmuzigen Stiefeln sogar, drückte er sich emphatisch aus) aber
heute abfahren -- nein, daS ginge durchaus nicht. ES war ein unglücklicher
Tag, wie nun auch Hassan bestätigte, der den ganzen Morgen ungewöhnlich


jemand, der ein solches Goldstück in der Tasche hat, zu dem Kranken tritt.
Gegen das Fieber hilft, wenn man sich bei Bulak, dem Hafen von Kairo, ein
Stück Nilschlamm aufhebt, sich auf das entgegengesetzte Ufer des Flusses über¬
setzen läßt und das Stück Schlamm dort hinlegt. Ein Gerstenkorn im Auge,
von den Arabern Schachaddeh d. i. Bettlerin genannt, wird am besten ver¬
trieben, wenn man zu sieben Frauen geht, die in sieben verschiedenen Häusern
wohnen und alle Fatmeh heißen, und sich von jeder einen Bissen Brot er¬
bittet. Diese sieben Bissen, in der festen Zuversicht auf ihre Heilkraft genossen,
heilen unfehlbar.

Wer unschlüssig ist, ob er dies oder jenes thun oder unterlassen, z. B.
eine Reise unternehmen, einen Kauf abschließe» soll, nimmt den Koran her,
spricht dreimal das erste Capitel, öffnet dann das Buch aufs Gerathewohl
und zählt, wie oft die Buchstaben Ch und sah auf der Seite zur rechten
Hand vorkommen. Findet sich der Buchstabe Ch häufiger, so gilt dies als ein
Ja des Orakels, weil dieser das Wort Chejr, gut, vertritt, wogegen der Buch¬
stabe sah das Wort Scharr, böse, vorstellt. Andere suchen die Antwort auf
der siebenten Zeile der rechten Seite. Noch andere beten Abends, ehe sie sich
niederlegen, Gott möge sie durch einen Traum zum rechten Entschluß leiten
und sie, wenn er ihre Absicht billige, etwas Weißes oder Grünes oder auch
fließendes Wasser sehen lassen, im Gegentheil aber etwas Schwarzes oder
Rothes oder Feuer. Dann sprechen sie dreimal das EingangScapitel des
Koran und schließlich wiederholen sie, bis sie einschlafen, die Worte: „O Gott,
sei unserm Herrn Mohammed günstig!" Dieselbe Formel wird ausgesprochen,
wenn man von einem unheilverkündenden Traum erwacht, worauf man sich
dreimal über die linke Schulter spuckt, um einer Erfüllung des Traumes
vorzubeugen — alles mehr oder minder an abendländischen Aberglauben
erinnernd.

Unsre Reisegesellschaft hatte die Absicht, an einem Sonntage nach Ober¬
ägypten aufzubrechen. Alles war an Bord gebracht. Als wir aber dem
Dragoman sagten, er solle dem Reis die Anker lichten heißen, stellte eS sich
heraus, baß der Wirth im Hotel deS Pyramides, der uns bemerkt, die Araber
würden auf keinen Fall heute weggehen, vollkommen Recht gehabt hatte. Hassan
brachte die Antwort zurück, Reis Fargalli meine, der Wind sei uns entgegen, und
als wir auf die Wimpel wiesen, die das Gegentheil zeigten, fehlten noch drei
Matrosen. Da auch diese Ausflucht nicht half, erschien der Reis selbst in der
Kajüte und erklärte mit Geberden der tiefsten Unterwürfigkeit die wahre Ur¬
sache des Zögerns. Wir sollten ihm mit den Stiefeln auf den Nacken treten
können (mit schmuzigen Stiefeln sogar, drückte er sich emphatisch aus) aber
heute abfahren — nein, daS ginge durchaus nicht. ES war ein unglücklicher
Tag, wie nun auch Hassan bestätigte, der den ganzen Morgen ungewöhnlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/471>, abgerufen am 25.08.2024.