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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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heutigen Aegypter haben elun die dicken Schädel ihrer Vorgänger im Besitze
deö Nilthals geerbt.

Im Koran wird Aegvpten daS Land der Gottlosen genannt, und zwar ist
damit die Liederlichkeit in geschlechtlichen Dingen gemeint. Diese ist noch heute
außerordentlich groß, wenn auch nicht so schlimm, als manche Reisende meine".
Es ist wahr, in Kairo gibt es eine nicht gewöhnliche Anzahl weiblicher und
männlicher Prostituirter, und es ist ferner wahr, fast jedes größere Dorf am
Nil hat sein Bordell, jede Stadt von einiger Bedeutung ihre Gasse von Vor¬
teilen. Das Eherecht des Koran, welches leichtsinnige Scheidungen erlaubt,
wird in ausgedehntem Maße benutzt, wie denn Hassan binnen drei Jahren
drei Frauen genommen und zwei verstoßen hatte. Im Gespräch herrscht uuter
allen Ständen und, wie man hört, bei Personen beider Geschlechter die unan¬
ständigste Freiheit, und Leute von guter Erziehung ergehen sich, ohne etwas
Unrechtes darin zu finden, in den schmuzigsten Zoten. Daneben gibt es aber
nach allem, was wir in Erfahrung brachten, eine große Menge von Leuten,
die ganz ebenso ehrbar und maßvoll sich halten, als die ehrsamsten und mäßig¬
sten Bürger bei uns. Das Recht, mehr als eine Frau zugleich zu nehmen, wird
vom Mittelstände beinahe gar nicht und in den SluSnahmefällen nur dann
benutzt, wenn die erste Frau ohne Kinder bleibt. Ja es gibt nicht wenige
Personen, welche eS selbst für schimpflich halten, nach Ableben ihr.r Frau sich
wieder zu vermählen, und diese Meinung soll unter der Bürgerclasse so wie auf
dem Lande sogar die gewöhnliche sein. Die Liederlichkeit beschränkt sich somit,
wie es scheint, hauptsächlich auf die Vornehmen und ans die, welche man als
daS ägyptische Proletariat bezeichnen kann.

Von einer eigentlichen Wissenschaft in unserm Sinne ist in Aegypten nicht
die Neve. Vor der Zeit der französischen Erpedition soll sie in hoher Blüthe
gestanden haben, und mit ihr der ganze Gelehrtenstand. Wenn damals
ein Schech der Slzher (Professor) über die Straße ging, küßten ihm viele der
Vorübergehenden die Hand, um sich el" kurzes Gebet oder einen Segensspruch
von ihm zu erbitten. Jeder Franke, der ihm begegnete, mußte aus dem Sattel
steige", wenn er nicht gemißhaudelr sein wollte. Ging der Schech zu einem
Kaufmann, so "ahn dieser für seine Waaren, was der heilige Mann ihm zu
geben beliebte. Das ist jetzt durchaus anders geworden, und selbst die größte
Gelehrsamkeit sichert nur eine dürftige Existenz. Mehemed Stil halte wenig Sinn
für Dinge, welche sei"en Eroberungszwecke" nicht dienten. Jurisprudenz und
Koraneregese, die Hauplwisfeuschaftc" in Kairo, wie in der ganzen heutigen
mohammedanische" Welt, lieferte ihm weder Soldaten noch Geld, und so wurden
sie vernachlässigt. Daß früher in diesen und in ander" Fächer" eine rege Thä¬
tigkeit geherrscht hat, zeigen die zahlreichen Büchersammlungen Kairos, die indeß
fast nur aus theologischen, juristischen und philologischen Werken bestehen sollen.


heutigen Aegypter haben elun die dicken Schädel ihrer Vorgänger im Besitze
deö Nilthals geerbt.

Im Koran wird Aegvpten daS Land der Gottlosen genannt, und zwar ist
damit die Liederlichkeit in geschlechtlichen Dingen gemeint. Diese ist noch heute
außerordentlich groß, wenn auch nicht so schlimm, als manche Reisende meine».
Es ist wahr, in Kairo gibt es eine nicht gewöhnliche Anzahl weiblicher und
männlicher Prostituirter, und es ist ferner wahr, fast jedes größere Dorf am
Nil hat sein Bordell, jede Stadt von einiger Bedeutung ihre Gasse von Vor¬
teilen. Das Eherecht des Koran, welches leichtsinnige Scheidungen erlaubt,
wird in ausgedehntem Maße benutzt, wie denn Hassan binnen drei Jahren
drei Frauen genommen und zwei verstoßen hatte. Im Gespräch herrscht uuter
allen Ständen und, wie man hört, bei Personen beider Geschlechter die unan¬
ständigste Freiheit, und Leute von guter Erziehung ergehen sich, ohne etwas
Unrechtes darin zu finden, in den schmuzigsten Zoten. Daneben gibt es aber
nach allem, was wir in Erfahrung brachten, eine große Menge von Leuten,
die ganz ebenso ehrbar und maßvoll sich halten, als die ehrsamsten und mäßig¬
sten Bürger bei uns. Das Recht, mehr als eine Frau zugleich zu nehmen, wird
vom Mittelstände beinahe gar nicht und in den SluSnahmefällen nur dann
benutzt, wenn die erste Frau ohne Kinder bleibt. Ja es gibt nicht wenige
Personen, welche eS selbst für schimpflich halten, nach Ableben ihr.r Frau sich
wieder zu vermählen, und diese Meinung soll unter der Bürgerclasse so wie auf
dem Lande sogar die gewöhnliche sein. Die Liederlichkeit beschränkt sich somit,
wie es scheint, hauptsächlich auf die Vornehmen und ans die, welche man als
daS ägyptische Proletariat bezeichnen kann.

Von einer eigentlichen Wissenschaft in unserm Sinne ist in Aegypten nicht
die Neve. Vor der Zeit der französischen Erpedition soll sie in hoher Blüthe
gestanden haben, und mit ihr der ganze Gelehrtenstand. Wenn damals
ein Schech der Slzher (Professor) über die Straße ging, küßten ihm viele der
Vorübergehenden die Hand, um sich el» kurzes Gebet oder einen Segensspruch
von ihm zu erbitten. Jeder Franke, der ihm begegnete, mußte aus dem Sattel
steige», wenn er nicht gemißhaudelr sein wollte. Ging der Schech zu einem
Kaufmann, so »ahn dieser für seine Waaren, was der heilige Mann ihm zu
geben beliebte. Das ist jetzt durchaus anders geworden, und selbst die größte
Gelehrsamkeit sichert nur eine dürftige Existenz. Mehemed Stil halte wenig Sinn
für Dinge, welche sei»en Eroberungszwecke» nicht dienten. Jurisprudenz und
Koraneregese, die Hauplwisfeuschaftc» in Kairo, wie in der ganzen heutigen
mohammedanische» Welt, lieferte ihm weder Soldaten noch Geld, und so wurden
sie vernachlässigt. Daß früher in diesen und in ander» Fächer» eine rege Thä¬
tigkeit geherrscht hat, zeigen die zahlreichen Büchersammlungen Kairos, die indeß
fast nur aus theologischen, juristischen und philologischen Werken bestehen sollen.


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[0468] heutigen Aegypter haben elun die dicken Schädel ihrer Vorgänger im Besitze deö Nilthals geerbt. Im Koran wird Aegvpten daS Land der Gottlosen genannt, und zwar ist damit die Liederlichkeit in geschlechtlichen Dingen gemeint. Diese ist noch heute außerordentlich groß, wenn auch nicht so schlimm, als manche Reisende meine». Es ist wahr, in Kairo gibt es eine nicht gewöhnliche Anzahl weiblicher und männlicher Prostituirter, und es ist ferner wahr, fast jedes größere Dorf am Nil hat sein Bordell, jede Stadt von einiger Bedeutung ihre Gasse von Vor¬ teilen. Das Eherecht des Koran, welches leichtsinnige Scheidungen erlaubt, wird in ausgedehntem Maße benutzt, wie denn Hassan binnen drei Jahren drei Frauen genommen und zwei verstoßen hatte. Im Gespräch herrscht uuter allen Ständen und, wie man hört, bei Personen beider Geschlechter die unan¬ ständigste Freiheit, und Leute von guter Erziehung ergehen sich, ohne etwas Unrechtes darin zu finden, in den schmuzigsten Zoten. Daneben gibt es aber nach allem, was wir in Erfahrung brachten, eine große Menge von Leuten, die ganz ebenso ehrbar und maßvoll sich halten, als die ehrsamsten und mäßig¬ sten Bürger bei uns. Das Recht, mehr als eine Frau zugleich zu nehmen, wird vom Mittelstände beinahe gar nicht und in den SluSnahmefällen nur dann benutzt, wenn die erste Frau ohne Kinder bleibt. Ja es gibt nicht wenige Personen, welche eS selbst für schimpflich halten, nach Ableben ihr.r Frau sich wieder zu vermählen, und diese Meinung soll unter der Bürgerclasse so wie auf dem Lande sogar die gewöhnliche sein. Die Liederlichkeit beschränkt sich somit, wie es scheint, hauptsächlich auf die Vornehmen und ans die, welche man als daS ägyptische Proletariat bezeichnen kann. Von einer eigentlichen Wissenschaft in unserm Sinne ist in Aegypten nicht die Neve. Vor der Zeit der französischen Erpedition soll sie in hoher Blüthe gestanden haben, und mit ihr der ganze Gelehrtenstand. Wenn damals ein Schech der Slzher (Professor) über die Straße ging, küßten ihm viele der Vorübergehenden die Hand, um sich el» kurzes Gebet oder einen Segensspruch von ihm zu erbitten. Jeder Franke, der ihm begegnete, mußte aus dem Sattel steige», wenn er nicht gemißhaudelr sein wollte. Ging der Schech zu einem Kaufmann, so »ahn dieser für seine Waaren, was der heilige Mann ihm zu geben beliebte. Das ist jetzt durchaus anders geworden, und selbst die größte Gelehrsamkeit sichert nur eine dürftige Existenz. Mehemed Stil halte wenig Sinn für Dinge, welche sei»en Eroberungszwecke» nicht dienten. Jurisprudenz und Koraneregese, die Hauplwisfeuschaftc» in Kairo, wie in der ganzen heutigen mohammedanische» Welt, lieferte ihm weder Soldaten noch Geld, und so wurden sie vernachlässigt. Daß früher in diesen und in ander» Fächer» eine rege Thä¬ tigkeit geherrscht hat, zeigen die zahlreichen Büchersammlungen Kairos, die indeß fast nur aus theologischen, juristischen und philologischen Werken bestehen sollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/468>, abgerufen am 25.08.2024.