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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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der Kaufmann wenigstens halb entschuldigt, wenn er in seiner Weise von
diesen Gästen eine Art unfreiwilligen Tribut erhebt. Wir sind in den Ba-
zars niemals übervortheilt worden, weder von den Kaufleuten und Hand¬
werkern, noch von unserm Dragoman, obgleich oder vielleicht weil der letztere
ein Araber war.

Diebe gibt es in Kairo unzweifelhaft so viele wie in andern großen
Städten. Doch möchten hier die Consuln nachweisen können, daß die meisten
größeren Diebstähle auf das Kerbholz der von ihnen vertretenen Nationen, vor
allem auf das der Italiener, der Malteser und der Griechen kommen. Der
gemeine Mann unter den Arabern ist in dieser Rücksicht, so weit unsere Er¬
fahrung reicht, sehr ehrlich, namentlich wenn er in irgend einem Dienstver¬
hältniß Gelegenheit zu Entwendungen hätte. Als wir unser Boot zur Abfahrt
nach Nubien rüsteten und noch einmal auf eine Nacht nach Kairo zurückkehren
mußten, ließen wir durch den Dragoman den Reis fragen, ob die inzwischen
in die Kajüte gebrachten Gegenstände sicher sein würden. "Und wenn die
Chowadsche das Deck mit Guineer, bestreuen wollten/'. lautete die Antwort, ,,so
könnten sie ruhig nach Masr zurückkehren. Es sollte morgen kein Stück feh¬
len." Und als wir später wiederholt tagelang das Fahrzeug verließen, ohne
bei den mancherlei werthvollen und leicht zu verbergenden Dingen andere
Wächter als unsere Matrosen zu haben, kam uns in sämmtlichen neun Wo¬
chen, die wir auf und am obern Nil zubrachten, auch nicht das Mindeste,
nicht eine Hand voll Reis, nicht eine Pfeife Tabak abhanden. Ganz dasselbe
rühmten andere Reisende von ihrer Mannschaft und nicht weniger günstig
sprachen Leiter von Fabriken sich über die Ehrlichkeit der unter ihnen arbei¬
tenden Fellahs aus.

Nicht so günstig können wir über die Wahrheitsliebe der ägyptischen Ara¬
ber urtheilen. Mohammed hat die Nothlüge erlaubt, sie aber in gewisse
Grenzen verwiesen. Sie ist gestattet, wenn dadurch im Kriege der Sieg den
Gläubigen zugewendet werden kann, wenn sie dazu dient, entzweite Freunde
zu versöhnen, wenn man hoffen darf, damit -- seine Frau zu besänftigen.
Die Aegypter aber gehen über diese Schranken weit hinaus, und zwar oft
nur, um sich interessant zu machen oder um auf eine Frage die Antwort nicht
schuldig zu bleiben. Es gilt hier mehr wie anderwärts daS Sprichwort: Wer
viel fragt, dem wird viel berichtet. Ohne sich zu bedenken wird der Schiffer,
gefragt, wie viele Meilen eS noch bis zu dem oder jenem Orte am Ufer sei,
eine gewisse Zahl nennen, obgleich er in der Regel keinen Begriff von Zeit-
und Raumtheilung, geschweige denn eine Vorstellung von einer Meile oder
Stunde hat. Ohne ein Unrecht darin zu erblicken, suchte uns Hassan, als
eines Tages die Rede auf Scheitan (den Teufel) kam, aufzubinden, daß er
in Alerandrien am Bahnhof dessen persönliche Bekanntschaft gemacht habe.


der Kaufmann wenigstens halb entschuldigt, wenn er in seiner Weise von
diesen Gästen eine Art unfreiwilligen Tribut erhebt. Wir sind in den Ba-
zars niemals übervortheilt worden, weder von den Kaufleuten und Hand¬
werkern, noch von unserm Dragoman, obgleich oder vielleicht weil der letztere
ein Araber war.

Diebe gibt es in Kairo unzweifelhaft so viele wie in andern großen
Städten. Doch möchten hier die Consuln nachweisen können, daß die meisten
größeren Diebstähle auf das Kerbholz der von ihnen vertretenen Nationen, vor
allem auf das der Italiener, der Malteser und der Griechen kommen. Der
gemeine Mann unter den Arabern ist in dieser Rücksicht, so weit unsere Er¬
fahrung reicht, sehr ehrlich, namentlich wenn er in irgend einem Dienstver¬
hältniß Gelegenheit zu Entwendungen hätte. Als wir unser Boot zur Abfahrt
nach Nubien rüsteten und noch einmal auf eine Nacht nach Kairo zurückkehren
mußten, ließen wir durch den Dragoman den Reis fragen, ob die inzwischen
in die Kajüte gebrachten Gegenstände sicher sein würden. „Und wenn die
Chowadsche das Deck mit Guineer, bestreuen wollten/'. lautete die Antwort, ,,so
könnten sie ruhig nach Masr zurückkehren. Es sollte morgen kein Stück feh¬
len." Und als wir später wiederholt tagelang das Fahrzeug verließen, ohne
bei den mancherlei werthvollen und leicht zu verbergenden Dingen andere
Wächter als unsere Matrosen zu haben, kam uns in sämmtlichen neun Wo¬
chen, die wir auf und am obern Nil zubrachten, auch nicht das Mindeste,
nicht eine Hand voll Reis, nicht eine Pfeife Tabak abhanden. Ganz dasselbe
rühmten andere Reisende von ihrer Mannschaft und nicht weniger günstig
sprachen Leiter von Fabriken sich über die Ehrlichkeit der unter ihnen arbei¬
tenden Fellahs aus.

Nicht so günstig können wir über die Wahrheitsliebe der ägyptischen Ara¬
ber urtheilen. Mohammed hat die Nothlüge erlaubt, sie aber in gewisse
Grenzen verwiesen. Sie ist gestattet, wenn dadurch im Kriege der Sieg den
Gläubigen zugewendet werden kann, wenn sie dazu dient, entzweite Freunde
zu versöhnen, wenn man hoffen darf, damit — seine Frau zu besänftigen.
Die Aegypter aber gehen über diese Schranken weit hinaus, und zwar oft
nur, um sich interessant zu machen oder um auf eine Frage die Antwort nicht
schuldig zu bleiben. Es gilt hier mehr wie anderwärts daS Sprichwort: Wer
viel fragt, dem wird viel berichtet. Ohne sich zu bedenken wird der Schiffer,
gefragt, wie viele Meilen eS noch bis zu dem oder jenem Orte am Ufer sei,
eine gewisse Zahl nennen, obgleich er in der Regel keinen Begriff von Zeit-
und Raumtheilung, geschweige denn eine Vorstellung von einer Meile oder
Stunde hat. Ohne ein Unrecht darin zu erblicken, suchte uns Hassan, als
eines Tages die Rede auf Scheitan (den Teufel) kam, aufzubinden, daß er
in Alerandrien am Bahnhof dessen persönliche Bekanntschaft gemacht habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/466>, abgerufen am 25.08.2024.