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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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geistigen wie materiellen Entwicklung. Ist nur erst eine Anzahl solcher
Associationsetablissements von den Arbeitern errichtet, und das bisherige
Monopol der Großunternehmer hierbei durchbrochen, so kann eS nicht aus¬
bleibe", daß sich die enormen Gewinne derselben, welche sie früher ausschlie߬
lich zogen, vermindern, weil sie den Arbeitern ihr Theil davon zukommen
lassen müssen. Während also der Reichthum von der einen Seite etwas be¬
scheidenere Dimensionen annehmen wird, schwindet auf der andern Seite der
Nothstand mehr und mehr, und die Zustände beginnen sich dem Niveau eines
allgemeinen Wohlstandes zu nähern. Damit ist sowol dem Mammonismus
wie dem Pauperismus eine Grenze gezogen, diesen unseligen Auswüchsen
unsrer Industrie, in denen wir zwei gleich feindliche Mächte wahrer Cultur
erblicken. Denn so ist einmal der Mensch geartet, daß er nur da wahrhaft
gedeiht, wo ihm einerseits nicht Noth und Mangel Zeit und Kraft zu jedem
höhern Sireben rauben, andrerseits aber doch das Erreichen wünschenswerther
Zustände als ein durch seine Thätigkeit erst zu gewinnendes Ziel vor Augen
schwebt und sein Streben immer rege hält. Wie das Elend seine Kraft ver¬
zehrt, seinen Gedankenflug in die niedere Fessel der gemeinsten Nothdurft
schlägt, so erschlafft dagegen sein Streben nur gar zu leicht im faden Ge¬
nügen des Ueberflusses, und jedes edlere Gefühl wird in geiler Genußsucht
erstickt. Darum ist auch in Deutschland insbesondere von jeher das Be¬
deutendste und Tüchtigste in Wissenschaft und Kunst, wie auf den praktischen
Lebensgebieten, aus dem Schooße des Mittelstandes hervorgegangen, und ihm
fast ausschließlich gehören die wahrhaft großen Männer an, die im -16. wie
im 18. Jahrhundert die gewaltigen Bewegungen auf geistigem und materiellem
Gebiete leiteten und unserm Volke den Rang sicherten, den noch jetzt unter den
gebildeten Nationen Europas einzunehmen sein Stolz ist. So mag, was dem
Mittelstande zu gut kommt, dem ganzen Volke frommen, und wir dürfen
hoffen, sobald wir ihn wieder in jeder Hinsicht gesichert und gekräftigt sehen,
daß aus ihm heraus der Genius Deutschlands unaufhaltsam seinen erhabenen,
durch die Ungunst der Zeiten gehemmten Flug wieder aufnimmt, um zu dem
materiellen Besitz alle die idealen Güter zu erobern, die uns bisher noch vor¬
enthalten worden sind.

Zum Schlüsse fügen wir dem Gesagten noch" eine Verwahrung bei, indem
wir gegen das Mißverständniß protestiren, als gehe unsre Meinung dahin:
daß künftig die Association die allein herrschende industrielle Betriebsform zu
werden bestimmt sei. Sicher ist jede anmaßliche Prophezeihung über die Zu¬
kunft höchst überflüssig, allein das wird niemandem einfallen, dem Capital,
der Intelligenz, wenn sie dem Einzelnen in genügender Weise zu Gebote
stehen, ihre große Bedeutung absprechen zu wollen, obenein da die Anlage
eines gewerblichen Etablissements durch einen solchergestalt günstig gestellten


geistigen wie materiellen Entwicklung. Ist nur erst eine Anzahl solcher
Associationsetablissements von den Arbeitern errichtet, und das bisherige
Monopol der Großunternehmer hierbei durchbrochen, so kann eS nicht aus¬
bleibe«, daß sich die enormen Gewinne derselben, welche sie früher ausschlie߬
lich zogen, vermindern, weil sie den Arbeitern ihr Theil davon zukommen
lassen müssen. Während also der Reichthum von der einen Seite etwas be¬
scheidenere Dimensionen annehmen wird, schwindet auf der andern Seite der
Nothstand mehr und mehr, und die Zustände beginnen sich dem Niveau eines
allgemeinen Wohlstandes zu nähern. Damit ist sowol dem Mammonismus
wie dem Pauperismus eine Grenze gezogen, diesen unseligen Auswüchsen
unsrer Industrie, in denen wir zwei gleich feindliche Mächte wahrer Cultur
erblicken. Denn so ist einmal der Mensch geartet, daß er nur da wahrhaft
gedeiht, wo ihm einerseits nicht Noth und Mangel Zeit und Kraft zu jedem
höhern Sireben rauben, andrerseits aber doch das Erreichen wünschenswerther
Zustände als ein durch seine Thätigkeit erst zu gewinnendes Ziel vor Augen
schwebt und sein Streben immer rege hält. Wie das Elend seine Kraft ver¬
zehrt, seinen Gedankenflug in die niedere Fessel der gemeinsten Nothdurft
schlägt, so erschlafft dagegen sein Streben nur gar zu leicht im faden Ge¬
nügen des Ueberflusses, und jedes edlere Gefühl wird in geiler Genußsucht
erstickt. Darum ist auch in Deutschland insbesondere von jeher das Be¬
deutendste und Tüchtigste in Wissenschaft und Kunst, wie auf den praktischen
Lebensgebieten, aus dem Schooße des Mittelstandes hervorgegangen, und ihm
fast ausschließlich gehören die wahrhaft großen Männer an, die im -16. wie
im 18. Jahrhundert die gewaltigen Bewegungen auf geistigem und materiellem
Gebiete leiteten und unserm Volke den Rang sicherten, den noch jetzt unter den
gebildeten Nationen Europas einzunehmen sein Stolz ist. So mag, was dem
Mittelstande zu gut kommt, dem ganzen Volke frommen, und wir dürfen
hoffen, sobald wir ihn wieder in jeder Hinsicht gesichert und gekräftigt sehen,
daß aus ihm heraus der Genius Deutschlands unaufhaltsam seinen erhabenen,
durch die Ungunst der Zeiten gehemmten Flug wieder aufnimmt, um zu dem
materiellen Besitz alle die idealen Güter zu erobern, die uns bisher noch vor¬
enthalten worden sind.

Zum Schlüsse fügen wir dem Gesagten noch" eine Verwahrung bei, indem
wir gegen das Mißverständniß protestiren, als gehe unsre Meinung dahin:
daß künftig die Association die allein herrschende industrielle Betriebsform zu
werden bestimmt sei. Sicher ist jede anmaßliche Prophezeihung über die Zu¬
kunft höchst überflüssig, allein das wird niemandem einfallen, dem Capital,
der Intelligenz, wenn sie dem Einzelnen in genügender Weise zu Gebote
stehen, ihre große Bedeutung absprechen zu wollen, obenein da die Anlage
eines gewerblichen Etablissements durch einen solchergestalt günstig gestellten


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[0458] geistigen wie materiellen Entwicklung. Ist nur erst eine Anzahl solcher Associationsetablissements von den Arbeitern errichtet, und das bisherige Monopol der Großunternehmer hierbei durchbrochen, so kann eS nicht aus¬ bleibe«, daß sich die enormen Gewinne derselben, welche sie früher ausschlie߬ lich zogen, vermindern, weil sie den Arbeitern ihr Theil davon zukommen lassen müssen. Während also der Reichthum von der einen Seite etwas be¬ scheidenere Dimensionen annehmen wird, schwindet auf der andern Seite der Nothstand mehr und mehr, und die Zustände beginnen sich dem Niveau eines allgemeinen Wohlstandes zu nähern. Damit ist sowol dem Mammonismus wie dem Pauperismus eine Grenze gezogen, diesen unseligen Auswüchsen unsrer Industrie, in denen wir zwei gleich feindliche Mächte wahrer Cultur erblicken. Denn so ist einmal der Mensch geartet, daß er nur da wahrhaft gedeiht, wo ihm einerseits nicht Noth und Mangel Zeit und Kraft zu jedem höhern Sireben rauben, andrerseits aber doch das Erreichen wünschenswerther Zustände als ein durch seine Thätigkeit erst zu gewinnendes Ziel vor Augen schwebt und sein Streben immer rege hält. Wie das Elend seine Kraft ver¬ zehrt, seinen Gedankenflug in die niedere Fessel der gemeinsten Nothdurft schlägt, so erschlafft dagegen sein Streben nur gar zu leicht im faden Ge¬ nügen des Ueberflusses, und jedes edlere Gefühl wird in geiler Genußsucht erstickt. Darum ist auch in Deutschland insbesondere von jeher das Be¬ deutendste und Tüchtigste in Wissenschaft und Kunst, wie auf den praktischen Lebensgebieten, aus dem Schooße des Mittelstandes hervorgegangen, und ihm fast ausschließlich gehören die wahrhaft großen Männer an, die im -16. wie im 18. Jahrhundert die gewaltigen Bewegungen auf geistigem und materiellem Gebiete leiteten und unserm Volke den Rang sicherten, den noch jetzt unter den gebildeten Nationen Europas einzunehmen sein Stolz ist. So mag, was dem Mittelstande zu gut kommt, dem ganzen Volke frommen, und wir dürfen hoffen, sobald wir ihn wieder in jeder Hinsicht gesichert und gekräftigt sehen, daß aus ihm heraus der Genius Deutschlands unaufhaltsam seinen erhabenen, durch die Ungunst der Zeiten gehemmten Flug wieder aufnimmt, um zu dem materiellen Besitz alle die idealen Güter zu erobern, die uns bisher noch vor¬ enthalten worden sind. Zum Schlüsse fügen wir dem Gesagten noch" eine Verwahrung bei, indem wir gegen das Mißverständniß protestiren, als gehe unsre Meinung dahin: daß künftig die Association die allein herrschende industrielle Betriebsform zu werden bestimmt sei. Sicher ist jede anmaßliche Prophezeihung über die Zu¬ kunft höchst überflüssig, allein das wird niemandem einfallen, dem Capital, der Intelligenz, wenn sie dem Einzelnen in genügender Weise zu Gebote stehen, ihre große Bedeutung absprechen zu wollen, obenein da die Anlage eines gewerblichen Etablissements durch einen solchergestalt günstig gestellten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/458>, abgerufen am 01.10.2024.