Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.eater) und die Kräfte als Wesen. An die metaphysischen Kunstausdrücke ge¬ Die Beschäftigung mit der Psychologie war für ihn nur Mittel zum 55*
eater) und die Kräfte als Wesen. An die metaphysischen Kunstausdrücke ge¬ Die Beschäftigung mit der Psychologie war für ihn nur Mittel zum 55*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104644"/> <p xml:id="ID_1161" prev="#ID_1160"> eater) und die Kräfte als Wesen. An die metaphysischen Kunstausdrücke ge¬<lb/> wöhnt, die aus Abstraction und Verallgemeinerung beruhen, hat er das Talent<lb/> der Analyse nicht ausgebildet, welches die Franzosen des 18. Jahrhunderts<lb/> auszeichnet und darin besteht, daß man den Gattungsbegriff durch Untersuchung<lb/> des einzelnen Falls prüft und erläutert. In der feierlichen Sprache, welche<lb/> zum Theil die Gewohnheit des Katheders ausdrückt, blieben jene scholastischen<lb/> Formeln unaufgelöst, und je sorgfältiger er sie classificirte, desto mehr entfernten<lb/> sie sich von ihrem ursprünglichen lebendigen Sinn und wurden Schattenbilder<lb/> ohne bestimmten Inhalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162"> Die Beschäftigung mit der Psychologie war für ihn nur Mittel zum<lb/> Zweck; er wollte wissen, was wir sind, um zu wissen, waS wir sollen. In der<lb/> Vorlesung von 1830 malt er das qualvolle Gefühl, welches die Seele selbst<lb/> mitten im Glück ergreift, mit rührender Beredtsamkeit aus. „Kaum erreicht,<lb/> erschreckt dies glühend ersehnte Glück die Seele durch seine Unvvllstündigkeit;<lb/> vergebens sucht sie in ihm, was sie geträumt, in dieser Analyse verliert es<lb/> seinen Glanz und seine Farbe; es ist nicht, was es schien, es hält nicht, was<lb/> es versprach. Das Glück ist gekommen und das Verlangen nicht gestillt. Das<lb/> Glück ist also ein Schatten, das Leben eine Täuschung, das Ideal ein Fall¬<lb/> strick. Boshaft verläßt die Natur das Herz und zeigt ihm das Begehrte, um<lb/> es doppelt zu quälen." Diese Unzufriedenheit wird noch vermehrt, wenn man<lb/> sich der Unermeßlichkeit der Natur gegenüberstellt und seine eigene Nichtigkeit<lb/> empfindet. ^ ig, vue cle es spectacle, I'komme prenci en pitie ses miserable«<lb/> passions ton^ours eontrariees, ses miserables bonbeurs qui abuutissent in-<lb/> variablsment an 6ex«ut. Auch der Anblick der Geschichte kann uns nicht<lb/> trösten. Wir sehen eine Civilisation nach der andern untergehen, ja die Geo¬<lb/> logie überführt uns auch von dem Untergang der Gattungen. Die Mensch¬<lb/> heit hat ebensowenig eine Bürgschaft für ihre Fortdauer, als der einzelne<lb/> Mensch. Ueber diese Lebensfragen konnte man sich so lange hinwegsetzen, als<lb/> die Religion uns tröstete. Diese Stütze haben wir nicht mehr. O jour-Ja,<lb/> l'lwmauite, assise sur los clebris qu'eilf a accumules, ressemble an maitre<lb/> et'une maison) le Isnclemain cle I'meenclie. I^a veille, it avait, un to^er clo-<lb/> mestigus, un abi'i, un avenir, un plan as vie. ^uwurcl'lui, it a Wut peiclu,<lb/> e>. it kaut qu'it releve es yue la tatalite cle 1a torlune a cletruit. — Der<lb/> Lösung dieser Räthsel sind die Vorlesungen über das Naturrecht gewidmet<lb/> (1832—-1833)/ in Bezug auf die Form neben der Aesthetik das vorzüglichste<lb/> seiner Werke. Sie sind frei von jenen scholastischen Abstraktionen, die sich in<lb/> der Psychologie nur zu häufig vorfinden. Aber die Lösung ist ihm mißlungen,<lb/> weil er sich mehr von den Bedürfnissen seines Herzens, alö von der ruhigen<lb/> Analyse der Thatsachen bestimmen ließ. Folgendes ist der Versuch, den Ver¬<lb/> lornen Halt des Bewußtseins wiederherzustellen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 55*</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
eater) und die Kräfte als Wesen. An die metaphysischen Kunstausdrücke ge¬
wöhnt, die aus Abstraction und Verallgemeinerung beruhen, hat er das Talent
der Analyse nicht ausgebildet, welches die Franzosen des 18. Jahrhunderts
auszeichnet und darin besteht, daß man den Gattungsbegriff durch Untersuchung
des einzelnen Falls prüft und erläutert. In der feierlichen Sprache, welche
zum Theil die Gewohnheit des Katheders ausdrückt, blieben jene scholastischen
Formeln unaufgelöst, und je sorgfältiger er sie classificirte, desto mehr entfernten
sie sich von ihrem ursprünglichen lebendigen Sinn und wurden Schattenbilder
ohne bestimmten Inhalt.
Die Beschäftigung mit der Psychologie war für ihn nur Mittel zum
Zweck; er wollte wissen, was wir sind, um zu wissen, waS wir sollen. In der
Vorlesung von 1830 malt er das qualvolle Gefühl, welches die Seele selbst
mitten im Glück ergreift, mit rührender Beredtsamkeit aus. „Kaum erreicht,
erschreckt dies glühend ersehnte Glück die Seele durch seine Unvvllstündigkeit;
vergebens sucht sie in ihm, was sie geträumt, in dieser Analyse verliert es
seinen Glanz und seine Farbe; es ist nicht, was es schien, es hält nicht, was
es versprach. Das Glück ist gekommen und das Verlangen nicht gestillt. Das
Glück ist also ein Schatten, das Leben eine Täuschung, das Ideal ein Fall¬
strick. Boshaft verläßt die Natur das Herz und zeigt ihm das Begehrte, um
es doppelt zu quälen." Diese Unzufriedenheit wird noch vermehrt, wenn man
sich der Unermeßlichkeit der Natur gegenüberstellt und seine eigene Nichtigkeit
empfindet. ^ ig, vue cle es spectacle, I'komme prenci en pitie ses miserable«
passions ton^ours eontrariees, ses miserables bonbeurs qui abuutissent in-
variablsment an 6ex«ut. Auch der Anblick der Geschichte kann uns nicht
trösten. Wir sehen eine Civilisation nach der andern untergehen, ja die Geo¬
logie überführt uns auch von dem Untergang der Gattungen. Die Mensch¬
heit hat ebensowenig eine Bürgschaft für ihre Fortdauer, als der einzelne
Mensch. Ueber diese Lebensfragen konnte man sich so lange hinwegsetzen, als
die Religion uns tröstete. Diese Stütze haben wir nicht mehr. O jour-Ja,
l'lwmauite, assise sur los clebris qu'eilf a accumules, ressemble an maitre
et'une maison) le Isnclemain cle I'meenclie. I^a veille, it avait, un to^er clo-
mestigus, un abi'i, un avenir, un plan as vie. ^uwurcl'lui, it a Wut peiclu,
e>. it kaut qu'it releve es yue la tatalite cle 1a torlune a cletruit. — Der
Lösung dieser Räthsel sind die Vorlesungen über das Naturrecht gewidmet
(1832—-1833)/ in Bezug auf die Form neben der Aesthetik das vorzüglichste
seiner Werke. Sie sind frei von jenen scholastischen Abstraktionen, die sich in
der Psychologie nur zu häufig vorfinden. Aber die Lösung ist ihm mißlungen,
weil er sich mehr von den Bedürfnissen seines Herzens, alö von der ruhigen
Analyse der Thatsachen bestimmen ließ. Folgendes ist der Versuch, den Ver¬
lornen Halt des Bewußtseins wiederherzustellen.
55*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |