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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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seine Zuflucht zu nehmen, während die Schreiber en miniawre dasselbe
treiben.

Dann ist das Gesetz mit der dreijährigen Dienstzeit wie eigens dazu ge¬
schaffen, der Bestechlichkeit die Thore zu öffnen. Nehmen wir einen un¬
bemittelten Mann mit zahlreicher Familie, der so glücklich gewesen ist, einen
Posten zu erhalten. Der Gehalt nährt ihn und seine Kinder, er könnte ehr¬
lich bleiben, wenn ihm der Dienst bei tadelloser Aufführung aus Lebenszeit
gesichert wäre -- aber der Abschied schwebt ihm wie ein drohendes Gespenst
vor Augen, er muß sammeln während der drei fetten Jahre, denen vielleicht
sieben magere folgen -- und seine Kinder hungern sehn thut weh!

Und damit sind die Entschuldigungsgründe für den bestechbaren Beamten
noch nicht erschöpft. Die Geschichte der Moldau in der Hand finden wir
deren noch mehr. Vor anderthalb Jahrhunderten sah es anders aus im Lande:
Bedrückungen dem Schwächeren gegenüber kamen freilich nicht selten vor, aber
die Handhabung der Gerechtigkeit wurde auf eine so patriarchalische, der
heutigen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit deS Verfahrens nahe kommende Weise
betrieben, daß von einem Handel mit den Gesetzen nicht die Rede sein konnte;
wer aus den niederen Stünden sich in seinem Rechte gekränkt glaubte, hatte
immer noch den Ausweg, sich unter das Fenster des regierenden Fürsten zu
stellen und so lange um Gnade zu schreien, bis er vorgelassen wurde, und von
den sinnreichen Rechtssprüchen dieser letzten Instanz haben sich manche bis aus
den heutigen Tag im Gedächtniß des Volkes erhalten. Wir finden sogar in
den Chroniken einen Finanzminister, der zum Tode verurtheilt wurde, weil er
sich Veruntreuungen erlaubt. Vor anderthalb Jahrhunderten aber begann die
Entsittlichung. Statt der einheimischen Fürsten besetzte die Pforte eigenmächtig
den Thron mit Phanarioten. Diese hatten nicht selten ihr Vermögen ge¬
opfert, um zu der Fürstenwürde zu gelangen, sie mußten also in der Moldau
das Eingebüßte zu ersetzen suchen, und die Gerechtigkeit war nicht mehr
gratis zu haben. Das Beispiel von oben fand Nachahmer, und so stieg die
Bestechlichkeit von Stufe zu Stufe bis zu dem untersten Beamtenkreiö. Wenn
man nun noch bedenkt, daß die Großwürdenträger der Pforte ihren Vortheil
darin fanden, so oft als möglich einen neuen Fürsten ins Land zu schicken,
so kann man sich ein deutliches Bild davon machen, mit welcher Hast sich
jeder zu bereichern suchte, mit welcher Schnelligkeit der Krebsschaden um
sich griff.

Sollen wir uns also nun aus die Brust klopfen und sagen: wir danken
dir, Herr, daß wir nicht sind wie diese Sünder? Wenn wir uns die Mühe
nehmen wollten, eine Rundreise durch Europa zu machen, so würden wir, aller
Wahrscheinlichkeit nach, manches Volk finden, das noch an derselben Krank¬
heit darniederliegt, obgleich es vielleicht nicht so viele Entschuldigungen vor-


seine Zuflucht zu nehmen, während die Schreiber en miniawre dasselbe
treiben.

Dann ist das Gesetz mit der dreijährigen Dienstzeit wie eigens dazu ge¬
schaffen, der Bestechlichkeit die Thore zu öffnen. Nehmen wir einen un¬
bemittelten Mann mit zahlreicher Familie, der so glücklich gewesen ist, einen
Posten zu erhalten. Der Gehalt nährt ihn und seine Kinder, er könnte ehr¬
lich bleiben, wenn ihm der Dienst bei tadelloser Aufführung aus Lebenszeit
gesichert wäre — aber der Abschied schwebt ihm wie ein drohendes Gespenst
vor Augen, er muß sammeln während der drei fetten Jahre, denen vielleicht
sieben magere folgen — und seine Kinder hungern sehn thut weh!

Und damit sind die Entschuldigungsgründe für den bestechbaren Beamten
noch nicht erschöpft. Die Geschichte der Moldau in der Hand finden wir
deren noch mehr. Vor anderthalb Jahrhunderten sah es anders aus im Lande:
Bedrückungen dem Schwächeren gegenüber kamen freilich nicht selten vor, aber
die Handhabung der Gerechtigkeit wurde auf eine so patriarchalische, der
heutigen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit deS Verfahrens nahe kommende Weise
betrieben, daß von einem Handel mit den Gesetzen nicht die Rede sein konnte;
wer aus den niederen Stünden sich in seinem Rechte gekränkt glaubte, hatte
immer noch den Ausweg, sich unter das Fenster des regierenden Fürsten zu
stellen und so lange um Gnade zu schreien, bis er vorgelassen wurde, und von
den sinnreichen Rechtssprüchen dieser letzten Instanz haben sich manche bis aus
den heutigen Tag im Gedächtniß des Volkes erhalten. Wir finden sogar in
den Chroniken einen Finanzminister, der zum Tode verurtheilt wurde, weil er
sich Veruntreuungen erlaubt. Vor anderthalb Jahrhunderten aber begann die
Entsittlichung. Statt der einheimischen Fürsten besetzte die Pforte eigenmächtig
den Thron mit Phanarioten. Diese hatten nicht selten ihr Vermögen ge¬
opfert, um zu der Fürstenwürde zu gelangen, sie mußten also in der Moldau
das Eingebüßte zu ersetzen suchen, und die Gerechtigkeit war nicht mehr
gratis zu haben. Das Beispiel von oben fand Nachahmer, und so stieg die
Bestechlichkeit von Stufe zu Stufe bis zu dem untersten Beamtenkreiö. Wenn
man nun noch bedenkt, daß die Großwürdenträger der Pforte ihren Vortheil
darin fanden, so oft als möglich einen neuen Fürsten ins Land zu schicken,
so kann man sich ein deutliches Bild davon machen, mit welcher Hast sich
jeder zu bereichern suchte, mit welcher Schnelligkeit der Krebsschaden um
sich griff.

Sollen wir uns also nun aus die Brust klopfen und sagen: wir danken
dir, Herr, daß wir nicht sind wie diese Sünder? Wenn wir uns die Mühe
nehmen wollten, eine Rundreise durch Europa zu machen, so würden wir, aller
Wahrscheinlichkeit nach, manches Volk finden, das noch an derselben Krank¬
heit darniederliegt, obgleich es vielleicht nicht so viele Entschuldigungen vor-


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[0044] seine Zuflucht zu nehmen, während die Schreiber en miniawre dasselbe treiben. Dann ist das Gesetz mit der dreijährigen Dienstzeit wie eigens dazu ge¬ schaffen, der Bestechlichkeit die Thore zu öffnen. Nehmen wir einen un¬ bemittelten Mann mit zahlreicher Familie, der so glücklich gewesen ist, einen Posten zu erhalten. Der Gehalt nährt ihn und seine Kinder, er könnte ehr¬ lich bleiben, wenn ihm der Dienst bei tadelloser Aufführung aus Lebenszeit gesichert wäre — aber der Abschied schwebt ihm wie ein drohendes Gespenst vor Augen, er muß sammeln während der drei fetten Jahre, denen vielleicht sieben magere folgen — und seine Kinder hungern sehn thut weh! Und damit sind die Entschuldigungsgründe für den bestechbaren Beamten noch nicht erschöpft. Die Geschichte der Moldau in der Hand finden wir deren noch mehr. Vor anderthalb Jahrhunderten sah es anders aus im Lande: Bedrückungen dem Schwächeren gegenüber kamen freilich nicht selten vor, aber die Handhabung der Gerechtigkeit wurde auf eine so patriarchalische, der heutigen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit deS Verfahrens nahe kommende Weise betrieben, daß von einem Handel mit den Gesetzen nicht die Rede sein konnte; wer aus den niederen Stünden sich in seinem Rechte gekränkt glaubte, hatte immer noch den Ausweg, sich unter das Fenster des regierenden Fürsten zu stellen und so lange um Gnade zu schreien, bis er vorgelassen wurde, und von den sinnreichen Rechtssprüchen dieser letzten Instanz haben sich manche bis aus den heutigen Tag im Gedächtniß des Volkes erhalten. Wir finden sogar in den Chroniken einen Finanzminister, der zum Tode verurtheilt wurde, weil er sich Veruntreuungen erlaubt. Vor anderthalb Jahrhunderten aber begann die Entsittlichung. Statt der einheimischen Fürsten besetzte die Pforte eigenmächtig den Thron mit Phanarioten. Diese hatten nicht selten ihr Vermögen ge¬ opfert, um zu der Fürstenwürde zu gelangen, sie mußten also in der Moldau das Eingebüßte zu ersetzen suchen, und die Gerechtigkeit war nicht mehr gratis zu haben. Das Beispiel von oben fand Nachahmer, und so stieg die Bestechlichkeit von Stufe zu Stufe bis zu dem untersten Beamtenkreiö. Wenn man nun noch bedenkt, daß die Großwürdenträger der Pforte ihren Vortheil darin fanden, so oft als möglich einen neuen Fürsten ins Land zu schicken, so kann man sich ein deutliches Bild davon machen, mit welcher Hast sich jeder zu bereichern suchte, mit welcher Schnelligkeit der Krebsschaden um sich griff. Sollen wir uns also nun aus die Brust klopfen und sagen: wir danken dir, Herr, daß wir nicht sind wie diese Sünder? Wenn wir uns die Mühe nehmen wollten, eine Rundreise durch Europa zu machen, so würden wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, manches Volk finden, das noch an derselben Krank¬ heit darniederliegt, obgleich es vielleicht nicht so viele Entschuldigungen vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/44>, abgerufen am 05.12.2024.