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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Größe und Majestät erblickt. Er ist hier nicht mehr, wie da, wo er die Bahn
durchschneidet, ein bloßer Arm, nicht breiter als die Elbe bei Dresden, die
Donau bei Passau, sondern es ist der Niesenstrom, von dem wir träumten,
wenn wir unsern Homer oder in der Bibel von den vier Flüssen des Para¬
dieses lasen, der Strom, der die ersten Anfänge menschlicher Cultur sah, in
welchem -- an dieser selben Insel, meint die Sage -- die Pharaonentochter
das Kind Moses fand, von welchem Jesaja weissagte, in dessen gelbe Wasser
die Thränen deS weinenden Jeremijah fielen, der Strom, dessen Rücken in den
Tagen Ramses Meiamuns jene staunenswerthen Kolossalstatuen und Obelisken
aus den Granitbrüchen Syenes nach dem hundertthorigen Theben und der
Königsstadt Memphis trug, in dessen Flut sich die Prachlbarke Kleopalras spiegelte,
als sie die Imperatoren Roms zu bezaubern auszog, der größte und glorreichste
Strom der alten Geschichte.

Die Gärten Schubras, eine Strecke weiter flußabwärts, haben nach diesem
Anblick und diesen Erinnerungen nur geringen Reiz. Ein ziemlich hübsches
Schloß, halb orientalisch halb europäisch, ein prächtiger Kiosk an einem
Bassin, im Rocvcogeschmack abgezirkelte geradlinige Wege, die durch eine sub¬
tropische Vegetation führen, einige Reliquien von Mehemed Ali sind alles
was die Fahrt oder den Ritt hierher verlohnt.

Dagegen weckt ein Besuch der Stätte von Heliopolis, der von hier aus
unternommen werden kann, wiederum eigne Gedanken. Die Kopien sehen in
einer Sykomore, die hier in einem umzäunten Garten steht, eine Reliquie
aus der heiligen Geschichte. Das Jesuskind soll hier mit seinen Eltern wäh¬
rend der Flucht nach Aegyptenland geruht, Maria aus der in der Nähe be¬
findlichen Quelle getrunken haben, die infolge dessen Heilkräfte besitzt. Wich¬
tiger, weil gewisser, ist, daß wir hier zwischen den Schutthaufen der ruhmreichen
Stadt der Sonne wandeln, die noch in Platos Zeit als eine Stadt suchens-
werthen Wissens, als eine Wellhochschule galt. Durch den Thorweg, zu dem
der Steinblock da mit dem Namcnöschilte Thotmes des dritten, des Pharao
des Crodus, gehörte, mag Moses gegangen sei", als er die Freiheit seines
Volkes forderte, Pythagoras, als er zu den Füßen der Priester Aegyptens
saß, um Weisheit zu lernen, und der Philosoph, den Athen den göttlichen
nannte. Hier hat Joseph, der-Sohn Jakobs, die Träume des Pharao ge¬
deutet, seinen Brüdern ihr Unrecht vergeben, sich mit der Tochter deS Son¬
nenpriesters vermählt. Hier, um den Granitobelisken, standen vor dreißig
Jahrhunderte" schon zahlreiche Tempel und Paläste als Zeugen hoher Bildung
und Gesittung.

In der That, eS war eine eigenthümliche Stimmung, die uns überkam,
als wir auf einem der Schutthaufen lagerten und solche Erinnerungen an
jene Tage geistigen Sonnenscheins in dem jetzt dunkeln Lande aus den nul-


Größe und Majestät erblickt. Er ist hier nicht mehr, wie da, wo er die Bahn
durchschneidet, ein bloßer Arm, nicht breiter als die Elbe bei Dresden, die
Donau bei Passau, sondern es ist der Niesenstrom, von dem wir träumten,
wenn wir unsern Homer oder in der Bibel von den vier Flüssen des Para¬
dieses lasen, der Strom, der die ersten Anfänge menschlicher Cultur sah, in
welchem — an dieser selben Insel, meint die Sage — die Pharaonentochter
das Kind Moses fand, von welchem Jesaja weissagte, in dessen gelbe Wasser
die Thränen deS weinenden Jeremijah fielen, der Strom, dessen Rücken in den
Tagen Ramses Meiamuns jene staunenswerthen Kolossalstatuen und Obelisken
aus den Granitbrüchen Syenes nach dem hundertthorigen Theben und der
Königsstadt Memphis trug, in dessen Flut sich die Prachlbarke Kleopalras spiegelte,
als sie die Imperatoren Roms zu bezaubern auszog, der größte und glorreichste
Strom der alten Geschichte.

Die Gärten Schubras, eine Strecke weiter flußabwärts, haben nach diesem
Anblick und diesen Erinnerungen nur geringen Reiz. Ein ziemlich hübsches
Schloß, halb orientalisch halb europäisch, ein prächtiger Kiosk an einem
Bassin, im Rocvcogeschmack abgezirkelte geradlinige Wege, die durch eine sub¬
tropische Vegetation führen, einige Reliquien von Mehemed Ali sind alles
was die Fahrt oder den Ritt hierher verlohnt.

Dagegen weckt ein Besuch der Stätte von Heliopolis, der von hier aus
unternommen werden kann, wiederum eigne Gedanken. Die Kopien sehen in
einer Sykomore, die hier in einem umzäunten Garten steht, eine Reliquie
aus der heiligen Geschichte. Das Jesuskind soll hier mit seinen Eltern wäh¬
rend der Flucht nach Aegyptenland geruht, Maria aus der in der Nähe be¬
findlichen Quelle getrunken haben, die infolge dessen Heilkräfte besitzt. Wich¬
tiger, weil gewisser, ist, daß wir hier zwischen den Schutthaufen der ruhmreichen
Stadt der Sonne wandeln, die noch in Platos Zeit als eine Stadt suchens-
werthen Wissens, als eine Wellhochschule galt. Durch den Thorweg, zu dem
der Steinblock da mit dem Namcnöschilte Thotmes des dritten, des Pharao
des Crodus, gehörte, mag Moses gegangen sei», als er die Freiheit seines
Volkes forderte, Pythagoras, als er zu den Füßen der Priester Aegyptens
saß, um Weisheit zu lernen, und der Philosoph, den Athen den göttlichen
nannte. Hier hat Joseph, der-Sohn Jakobs, die Träume des Pharao ge¬
deutet, seinen Brüdern ihr Unrecht vergeben, sich mit der Tochter deS Son¬
nenpriesters vermählt. Hier, um den Granitobelisken, standen vor dreißig
Jahrhunderte» schon zahlreiche Tempel und Paläste als Zeugen hoher Bildung
und Gesittung.

In der That, eS war eine eigenthümliche Stimmung, die uns überkam,
als wir auf einem der Schutthaufen lagerten und solche Erinnerungen an
jene Tage geistigen Sonnenscheins in dem jetzt dunkeln Lande aus den nul-


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[0438] Größe und Majestät erblickt. Er ist hier nicht mehr, wie da, wo er die Bahn durchschneidet, ein bloßer Arm, nicht breiter als die Elbe bei Dresden, die Donau bei Passau, sondern es ist der Niesenstrom, von dem wir träumten, wenn wir unsern Homer oder in der Bibel von den vier Flüssen des Para¬ dieses lasen, der Strom, der die ersten Anfänge menschlicher Cultur sah, in welchem — an dieser selben Insel, meint die Sage — die Pharaonentochter das Kind Moses fand, von welchem Jesaja weissagte, in dessen gelbe Wasser die Thränen deS weinenden Jeremijah fielen, der Strom, dessen Rücken in den Tagen Ramses Meiamuns jene staunenswerthen Kolossalstatuen und Obelisken aus den Granitbrüchen Syenes nach dem hundertthorigen Theben und der Königsstadt Memphis trug, in dessen Flut sich die Prachlbarke Kleopalras spiegelte, als sie die Imperatoren Roms zu bezaubern auszog, der größte und glorreichste Strom der alten Geschichte. Die Gärten Schubras, eine Strecke weiter flußabwärts, haben nach diesem Anblick und diesen Erinnerungen nur geringen Reiz. Ein ziemlich hübsches Schloß, halb orientalisch halb europäisch, ein prächtiger Kiosk an einem Bassin, im Rocvcogeschmack abgezirkelte geradlinige Wege, die durch eine sub¬ tropische Vegetation führen, einige Reliquien von Mehemed Ali sind alles was die Fahrt oder den Ritt hierher verlohnt. Dagegen weckt ein Besuch der Stätte von Heliopolis, der von hier aus unternommen werden kann, wiederum eigne Gedanken. Die Kopien sehen in einer Sykomore, die hier in einem umzäunten Garten steht, eine Reliquie aus der heiligen Geschichte. Das Jesuskind soll hier mit seinen Eltern wäh¬ rend der Flucht nach Aegyptenland geruht, Maria aus der in der Nähe be¬ findlichen Quelle getrunken haben, die infolge dessen Heilkräfte besitzt. Wich¬ tiger, weil gewisser, ist, daß wir hier zwischen den Schutthaufen der ruhmreichen Stadt der Sonne wandeln, die noch in Platos Zeit als eine Stadt suchens- werthen Wissens, als eine Wellhochschule galt. Durch den Thorweg, zu dem der Steinblock da mit dem Namcnöschilte Thotmes des dritten, des Pharao des Crodus, gehörte, mag Moses gegangen sei», als er die Freiheit seines Volkes forderte, Pythagoras, als er zu den Füßen der Priester Aegyptens saß, um Weisheit zu lernen, und der Philosoph, den Athen den göttlichen nannte. Hier hat Joseph, der-Sohn Jakobs, die Träume des Pharao ge¬ deutet, seinen Brüdern ihr Unrecht vergeben, sich mit der Tochter deS Son¬ nenpriesters vermählt. Hier, um den Granitobelisken, standen vor dreißig Jahrhunderte» schon zahlreiche Tempel und Paläste als Zeugen hoher Bildung und Gesittung. In der That, eS war eine eigenthümliche Stimmung, die uns überkam, als wir auf einem der Schutthaufen lagerten und solche Erinnerungen an jene Tage geistigen Sonnenscheins in dem jetzt dunkeln Lande aus den nul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/438>, abgerufen am 12.12.2024.