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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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wieder umstoßen.. Im Gefühl dieses unleugbaren Mißstandes hat man sich
von vielen Seiten daher auch nicht hierbei beruhigt, und die wohlgemeinte
Forderung gestellt: "daß die Arbeitgeber durch das Gesetz verpflichtet werden
sollten, außer dem Lohn an ihre Arbeiter noch einen Beitrag zu den oben
genannten Kassen zu geben, der die zu niedrigen Steuern, welche den Ar¬
beitern allenfalls angemuthet werden können, ergänzt." Natürlich, die Ar¬
beitgeber durch das Gesetz direct zu höheren Löhnen verpflichten zu lassen,
das ging nicht wol'an, so weit haben denn doch Wissenschaft und Erfahrung
die öffentliche Meinung bereits aufgeklärt, und da blieb nur dieser Ausweg
übrig, der sogar in die Gesetzgebungen einiger deutscher Staaten übergegangen
ist. So verordnet z. B. das preußische Gewcrbegesetz vom 9. Februar 1819.,
daß mittelst der Ortsstatuten die Fabrikheirn verpflichtet werden können, zu
den Arbeiterunterstützungskassen aus eignen Mitteln Zuschüsse zu geben, welche
bis zur Hälfte der von den Arbeitern selbst gezählten Steuern gesteigert werden
dürfen. -- Aber läuft denn die ganze Maßregel, bei Licht besehen, ihrer Ten¬
denz nach nicht ebenfalls auf eine durch das Gesetz decretirte Lohnerhöhung
hinaus? Ob man dem Arbeitgeber direct auferlegt, mehr Lohn zu zahlen, oder
ihn zwingt, außerdem Lohn noch einen Ertrabetrag für jeden Arbeiter zuzählen,
ist das nicht im Grunde einerlei? In der That liegt der ganze Unterschied
zwischen beiden Arten des directen und indirecten Eingriffs durch das Gesetz
in die Lohnregulirung nur darin, daß die nach Obigem beliebte Maßregel von
dem Arbeitgeber jederzeit beliebig zu Nichte gemacht, die Absicht deS Gesetzes,
dem Arbeiter außer dem Lohn eine Wohlthat zuzuwenden, beliebig umgangen
werden kann, so lange nicht eben der Lohn selbst auf ein Minimum firirt
wird. Dies ist mit Händen zu greifen! Gesetzt, die in einem bestimmten Eta¬
blissement übliche Lohnhöhe betrage bisher 4 3 Sgr. für den Arbeiter täglich.
Kraft jenes Gesetzes soll der Unternehmer -- ohne daß anderweite Gründe zu
einer Lohnerhöhung in den Verhältnissen deö Arbeitsmarktes vorliegen -- mit
einem Male für jeden Arbeiter -I Sgr. extra für die erwähnten Kassenzwecke
entrichten. Wo kann er das Geld anders hernehmen, als aus seinem Lohn-
fonb, welcher nach einem solchen Abzug natürlich nicht mehr zureicht, ebenso
viele Arbeiter ebenso hoch zu salariren. Wer hindert ihn nun, den Arbeitern
von jetzt ab blos noch 14 Sgr. täglich an Lohn zu zahlen, und so den ihm
auferlegten Ertragroschen für die Kassen den Schultern der Arbeiter aufzu¬
bürden? Das Gesetz, wie es bis jetzt eristirt, wahrhaftig nicht, denn dem ist
genügt, wenn nur der Groschen in die Kassen fließt, und wenn es zu dem
niedrigeren Preise überhaupt Arbeiter gibt, was in den meisten Fällen nicht
zu bezweifeln ist, so ist dasselbe so gut wie gar nicht in der Welt. Um eine
so leichte Umgehung zu verhüten, wird sich daher der Gesetzgeber entschließen
müssen, zu verfügen: "daß el" bestimmtes Lohnminimum, oder, was dasselbe


Grenzboten Hi.

wieder umstoßen.. Im Gefühl dieses unleugbaren Mißstandes hat man sich
von vielen Seiten daher auch nicht hierbei beruhigt, und die wohlgemeinte
Forderung gestellt: „daß die Arbeitgeber durch das Gesetz verpflichtet werden
sollten, außer dem Lohn an ihre Arbeiter noch einen Beitrag zu den oben
genannten Kassen zu geben, der die zu niedrigen Steuern, welche den Ar¬
beitern allenfalls angemuthet werden können, ergänzt." Natürlich, die Ar¬
beitgeber durch das Gesetz direct zu höheren Löhnen verpflichten zu lassen,
das ging nicht wol'an, so weit haben denn doch Wissenschaft und Erfahrung
die öffentliche Meinung bereits aufgeklärt, und da blieb nur dieser Ausweg
übrig, der sogar in die Gesetzgebungen einiger deutscher Staaten übergegangen
ist. So verordnet z. B. das preußische Gewcrbegesetz vom 9. Februar 1819.,
daß mittelst der Ortsstatuten die Fabrikheirn verpflichtet werden können, zu
den Arbeiterunterstützungskassen aus eignen Mitteln Zuschüsse zu geben, welche
bis zur Hälfte der von den Arbeitern selbst gezählten Steuern gesteigert werden
dürfen. — Aber läuft denn die ganze Maßregel, bei Licht besehen, ihrer Ten¬
denz nach nicht ebenfalls auf eine durch das Gesetz decretirte Lohnerhöhung
hinaus? Ob man dem Arbeitgeber direct auferlegt, mehr Lohn zu zahlen, oder
ihn zwingt, außerdem Lohn noch einen Ertrabetrag für jeden Arbeiter zuzählen,
ist das nicht im Grunde einerlei? In der That liegt der ganze Unterschied
zwischen beiden Arten des directen und indirecten Eingriffs durch das Gesetz
in die Lohnregulirung nur darin, daß die nach Obigem beliebte Maßregel von
dem Arbeitgeber jederzeit beliebig zu Nichte gemacht, die Absicht deS Gesetzes,
dem Arbeiter außer dem Lohn eine Wohlthat zuzuwenden, beliebig umgangen
werden kann, so lange nicht eben der Lohn selbst auf ein Minimum firirt
wird. Dies ist mit Händen zu greifen! Gesetzt, die in einem bestimmten Eta¬
blissement übliche Lohnhöhe betrage bisher 4 3 Sgr. für den Arbeiter täglich.
Kraft jenes Gesetzes soll der Unternehmer — ohne daß anderweite Gründe zu
einer Lohnerhöhung in den Verhältnissen deö Arbeitsmarktes vorliegen — mit
einem Male für jeden Arbeiter -I Sgr. extra für die erwähnten Kassenzwecke
entrichten. Wo kann er das Geld anders hernehmen, als aus seinem Lohn-
fonb, welcher nach einem solchen Abzug natürlich nicht mehr zureicht, ebenso
viele Arbeiter ebenso hoch zu salariren. Wer hindert ihn nun, den Arbeitern
von jetzt ab blos noch 14 Sgr. täglich an Lohn zu zahlen, und so den ihm
auferlegten Ertragroschen für die Kassen den Schultern der Arbeiter aufzu¬
bürden? Das Gesetz, wie es bis jetzt eristirt, wahrhaftig nicht, denn dem ist
genügt, wenn nur der Groschen in die Kassen fließt, und wenn es zu dem
niedrigeren Preise überhaupt Arbeiter gibt, was in den meisten Fällen nicht
zu bezweifeln ist, so ist dasselbe so gut wie gar nicht in der Welt. Um eine
so leichte Umgehung zu verhüten, wird sich daher der Gesetzgeber entschließen
müssen, zu verfügen: „daß el» bestimmtes Lohnminimum, oder, was dasselbe


Grenzboten Hi.
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[0417] wieder umstoßen.. Im Gefühl dieses unleugbaren Mißstandes hat man sich von vielen Seiten daher auch nicht hierbei beruhigt, und die wohlgemeinte Forderung gestellt: „daß die Arbeitgeber durch das Gesetz verpflichtet werden sollten, außer dem Lohn an ihre Arbeiter noch einen Beitrag zu den oben genannten Kassen zu geben, der die zu niedrigen Steuern, welche den Ar¬ beitern allenfalls angemuthet werden können, ergänzt." Natürlich, die Ar¬ beitgeber durch das Gesetz direct zu höheren Löhnen verpflichten zu lassen, das ging nicht wol'an, so weit haben denn doch Wissenschaft und Erfahrung die öffentliche Meinung bereits aufgeklärt, und da blieb nur dieser Ausweg übrig, der sogar in die Gesetzgebungen einiger deutscher Staaten übergegangen ist. So verordnet z. B. das preußische Gewcrbegesetz vom 9. Februar 1819., daß mittelst der Ortsstatuten die Fabrikheirn verpflichtet werden können, zu den Arbeiterunterstützungskassen aus eignen Mitteln Zuschüsse zu geben, welche bis zur Hälfte der von den Arbeitern selbst gezählten Steuern gesteigert werden dürfen. — Aber läuft denn die ganze Maßregel, bei Licht besehen, ihrer Ten¬ denz nach nicht ebenfalls auf eine durch das Gesetz decretirte Lohnerhöhung hinaus? Ob man dem Arbeitgeber direct auferlegt, mehr Lohn zu zahlen, oder ihn zwingt, außerdem Lohn noch einen Ertrabetrag für jeden Arbeiter zuzählen, ist das nicht im Grunde einerlei? In der That liegt der ganze Unterschied zwischen beiden Arten des directen und indirecten Eingriffs durch das Gesetz in die Lohnregulirung nur darin, daß die nach Obigem beliebte Maßregel von dem Arbeitgeber jederzeit beliebig zu Nichte gemacht, die Absicht deS Gesetzes, dem Arbeiter außer dem Lohn eine Wohlthat zuzuwenden, beliebig umgangen werden kann, so lange nicht eben der Lohn selbst auf ein Minimum firirt wird. Dies ist mit Händen zu greifen! Gesetzt, die in einem bestimmten Eta¬ blissement übliche Lohnhöhe betrage bisher 4 3 Sgr. für den Arbeiter täglich. Kraft jenes Gesetzes soll der Unternehmer — ohne daß anderweite Gründe zu einer Lohnerhöhung in den Verhältnissen deö Arbeitsmarktes vorliegen — mit einem Male für jeden Arbeiter -I Sgr. extra für die erwähnten Kassenzwecke entrichten. Wo kann er das Geld anders hernehmen, als aus seinem Lohn- fonb, welcher nach einem solchen Abzug natürlich nicht mehr zureicht, ebenso viele Arbeiter ebenso hoch zu salariren. Wer hindert ihn nun, den Arbeitern von jetzt ab blos noch 14 Sgr. täglich an Lohn zu zahlen, und so den ihm auferlegten Ertragroschen für die Kassen den Schultern der Arbeiter aufzu¬ bürden? Das Gesetz, wie es bis jetzt eristirt, wahrhaftig nicht, denn dem ist genügt, wenn nur der Groschen in die Kassen fließt, und wenn es zu dem niedrigeren Preise überhaupt Arbeiter gibt, was in den meisten Fällen nicht zu bezweifeln ist, so ist dasselbe so gut wie gar nicht in der Welt. Um eine so leichte Umgehung zu verhüten, wird sich daher der Gesetzgeber entschließen müssen, zu verfügen: „daß el» bestimmtes Lohnminimum, oder, was dasselbe Grenzboten Hi.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/417>, abgerufen am 12.12.2024.