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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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lischen Heere aufgetaucht war. Wir wollen grade nicht sagen, daß alle und jede
Vorbereitung für die Möglichkeit eines'Aufstandes fehlte, doch scheinen nur
einzelne Regimenter und oft nur einzelne Individuen in denselben das Ge¬
heimniß gekannt zu haben, dessen Anfange und weitere Leitung auf die
Mohammedaner zurückführt, die allerdings keinen unwesentlichen Theil des Bengal-
heercö ausmachten. Als aber die Meutereien immer umfangreicher wurden,
als es namentlich infolge der verkehrten Dispositionen und der mangelnden
Energie deS Commandanten von Mirut -- er hielt die dem Sipoyheere an
Zahl gewachsene europäische Besatzung in gemessener Entfernung von ersten"
und unterbrach auf halbem Wege die Verfolgung der auf Delhi flüchtenden
SipoyS -- gelang, Straflosigkeit und Erfolge zu erringen, die alte Hauptstadt
des Reiches zu besetzen und der kleinen Zahl der Engländer zu trotzen, da
wuchs der Abfall lawinenartig an, wie alle derartigen Erhebungen. Zu ihrem
Unglück hatten die Engländer zu Delhi und allenthalben anderswo wohlgefüllte
Kassen, deren Inhalt auf die eingeborenen Truppen, reguläres oder irreguläres
Heer, Hindus oder SeikhS wie ein Zauber wirkte, um die Offiziere und
Beamten zu ermorden und sich der Schätze zu bemächtigen.*) Wie furchtbar
in jenen Gegenden, wo sich der Aufstand, von selbst concentrirt hat, gerast
worden ist, daS wird eine spätere Zeit lehren.

Natürlich ist der Aufstand des Bengalheeres für viele ihrer Reiche be¬
raubten einheimischen Fürsten daS Signal zur Theilnahme am Aufstande ge¬
wesen. Es ist selbst möglich, daß eS mit dem Könige von Audh, der bekannt¬
lich plötzlich verhaftet worden ist, nicht anders liegt und ziemlich gewiß, daß
dies der Fall mit dem Könige von Delhi ist. Daß eine Anzahl kleinerer ein¬
heimischer Fürsten im nordwestlichen Bengalen sich sofort für unabhängig
erklärt haben, ist bekannt; mehre thaten eS zu eilig, als die Engländer noch
in der Nähe waren, und büßten ihre Ueberstürzung am nächsten Baume.

Nicht am wenigsten über den Aufstand überrascht war man in England
und im ganzen übrigen Europa. Man hatte den Sipvys, wenn auch keine
unbedingte Anhänglichkeit an die englische Herrschaft, doch im Allgemeinen so
viel militärische Disciplin, so viel Zuneigung zu der Person ihrer Offiziere
zugetraut, daß man noch im ersten Augenblick meinte, die drei oder vier ab¬
gefallenen Regimenter mit Hilfe der in der großen Menge treu gebliebenen
Truppen wieder zu bewältigen und die Nachricht davon ziemlich zuversichtlich mit
der nächsten P"se erwartete. Ob man aber in jener Verwendung der Sipvys
nicht zu wenig auf die landsmannschaftlichen Gefühle und die Gleichheit der
Stimmungen unter allen BengalsipoyS gerechnet hat! Jetzt begann die Agi-



') Es ist nur ein einziger Fall bekannt, wo ein und zwar ein Seikhregimcnt die zu eS-
cortirenden Gelder unversehrt den Engländern ablieferte, allerdings auch dafür reichliche Be¬
lohnung erhielt.
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lischen Heere aufgetaucht war. Wir wollen grade nicht sagen, daß alle und jede
Vorbereitung für die Möglichkeit eines'Aufstandes fehlte, doch scheinen nur
einzelne Regimenter und oft nur einzelne Individuen in denselben das Ge¬
heimniß gekannt zu haben, dessen Anfange und weitere Leitung auf die
Mohammedaner zurückführt, die allerdings keinen unwesentlichen Theil des Bengal-
heercö ausmachten. Als aber die Meutereien immer umfangreicher wurden,
als es namentlich infolge der verkehrten Dispositionen und der mangelnden
Energie deS Commandanten von Mirut — er hielt die dem Sipoyheere an
Zahl gewachsene europäische Besatzung in gemessener Entfernung von ersten»
und unterbrach auf halbem Wege die Verfolgung der auf Delhi flüchtenden
SipoyS — gelang, Straflosigkeit und Erfolge zu erringen, die alte Hauptstadt
des Reiches zu besetzen und der kleinen Zahl der Engländer zu trotzen, da
wuchs der Abfall lawinenartig an, wie alle derartigen Erhebungen. Zu ihrem
Unglück hatten die Engländer zu Delhi und allenthalben anderswo wohlgefüllte
Kassen, deren Inhalt auf die eingeborenen Truppen, reguläres oder irreguläres
Heer, Hindus oder SeikhS wie ein Zauber wirkte, um die Offiziere und
Beamten zu ermorden und sich der Schätze zu bemächtigen.*) Wie furchtbar
in jenen Gegenden, wo sich der Aufstand, von selbst concentrirt hat, gerast
worden ist, daS wird eine spätere Zeit lehren.

Natürlich ist der Aufstand des Bengalheeres für viele ihrer Reiche be¬
raubten einheimischen Fürsten daS Signal zur Theilnahme am Aufstande ge¬
wesen. Es ist selbst möglich, daß eS mit dem Könige von Audh, der bekannt¬
lich plötzlich verhaftet worden ist, nicht anders liegt und ziemlich gewiß, daß
dies der Fall mit dem Könige von Delhi ist. Daß eine Anzahl kleinerer ein¬
heimischer Fürsten im nordwestlichen Bengalen sich sofort für unabhängig
erklärt haben, ist bekannt; mehre thaten eS zu eilig, als die Engländer noch
in der Nähe waren, und büßten ihre Ueberstürzung am nächsten Baume.

Nicht am wenigsten über den Aufstand überrascht war man in England
und im ganzen übrigen Europa. Man hatte den Sipvys, wenn auch keine
unbedingte Anhänglichkeit an die englische Herrschaft, doch im Allgemeinen so
viel militärische Disciplin, so viel Zuneigung zu der Person ihrer Offiziere
zugetraut, daß man noch im ersten Augenblick meinte, die drei oder vier ab¬
gefallenen Regimenter mit Hilfe der in der großen Menge treu gebliebenen
Truppen wieder zu bewältigen und die Nachricht davon ziemlich zuversichtlich mit
der nächsten P»se erwartete. Ob man aber in jener Verwendung der Sipvys
nicht zu wenig auf die landsmannschaftlichen Gefühle und die Gleichheit der
Stimmungen unter allen BengalsipoyS gerechnet hat! Jetzt begann die Agi-



') Es ist nur ein einziger Fall bekannt, wo ein und zwar ein Seikhregimcnt die zu eS-
cortirenden Gelder unversehrt den Engländern ablieferte, allerdings auch dafür reichliche Be¬
lohnung erhielt.
Grenzboten III. <8ö7. j9
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[0393] lischen Heere aufgetaucht war. Wir wollen grade nicht sagen, daß alle und jede Vorbereitung für die Möglichkeit eines'Aufstandes fehlte, doch scheinen nur einzelne Regimenter und oft nur einzelne Individuen in denselben das Ge¬ heimniß gekannt zu haben, dessen Anfange und weitere Leitung auf die Mohammedaner zurückführt, die allerdings keinen unwesentlichen Theil des Bengal- heercö ausmachten. Als aber die Meutereien immer umfangreicher wurden, als es namentlich infolge der verkehrten Dispositionen und der mangelnden Energie deS Commandanten von Mirut — er hielt die dem Sipoyheere an Zahl gewachsene europäische Besatzung in gemessener Entfernung von ersten» und unterbrach auf halbem Wege die Verfolgung der auf Delhi flüchtenden SipoyS — gelang, Straflosigkeit und Erfolge zu erringen, die alte Hauptstadt des Reiches zu besetzen und der kleinen Zahl der Engländer zu trotzen, da wuchs der Abfall lawinenartig an, wie alle derartigen Erhebungen. Zu ihrem Unglück hatten die Engländer zu Delhi und allenthalben anderswo wohlgefüllte Kassen, deren Inhalt auf die eingeborenen Truppen, reguläres oder irreguläres Heer, Hindus oder SeikhS wie ein Zauber wirkte, um die Offiziere und Beamten zu ermorden und sich der Schätze zu bemächtigen.*) Wie furchtbar in jenen Gegenden, wo sich der Aufstand, von selbst concentrirt hat, gerast worden ist, daS wird eine spätere Zeit lehren. Natürlich ist der Aufstand des Bengalheeres für viele ihrer Reiche be¬ raubten einheimischen Fürsten daS Signal zur Theilnahme am Aufstande ge¬ wesen. Es ist selbst möglich, daß eS mit dem Könige von Audh, der bekannt¬ lich plötzlich verhaftet worden ist, nicht anders liegt und ziemlich gewiß, daß dies der Fall mit dem Könige von Delhi ist. Daß eine Anzahl kleinerer ein¬ heimischer Fürsten im nordwestlichen Bengalen sich sofort für unabhängig erklärt haben, ist bekannt; mehre thaten eS zu eilig, als die Engländer noch in der Nähe waren, und büßten ihre Ueberstürzung am nächsten Baume. Nicht am wenigsten über den Aufstand überrascht war man in England und im ganzen übrigen Europa. Man hatte den Sipvys, wenn auch keine unbedingte Anhänglichkeit an die englische Herrschaft, doch im Allgemeinen so viel militärische Disciplin, so viel Zuneigung zu der Person ihrer Offiziere zugetraut, daß man noch im ersten Augenblick meinte, die drei oder vier ab¬ gefallenen Regimenter mit Hilfe der in der großen Menge treu gebliebenen Truppen wieder zu bewältigen und die Nachricht davon ziemlich zuversichtlich mit der nächsten P»se erwartete. Ob man aber in jener Verwendung der Sipvys nicht zu wenig auf die landsmannschaftlichen Gefühle und die Gleichheit der Stimmungen unter allen BengalsipoyS gerechnet hat! Jetzt begann die Agi- ') Es ist nur ein einziger Fall bekannt, wo ein und zwar ein Seikhregimcnt die zu eS- cortirenden Gelder unversehrt den Engländern ablieferte, allerdings auch dafür reichliche Be¬ lohnung erhielt. Grenzboten III. <8ö7. j9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/393>, abgerufen am 25.08.2024.