Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nilakazie zum Theil beschattete, stand ein Kawciß vor einem auf den Erd¬
boden gcbreiieten Tuche im Begriffe, die vorgeschriebenen Kniebeugungen vor¬
zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt umgeben von seiner
Herde schon mitten im Gebete mit der Stirn im Staube. Ueber das Dach
des Hauses hinter dem Baume schauten aus einem Garten einzelne hoch¬
stämmige Palmen, deren Kronen sich, vom Winde bewegt, wie gleichfalls dem
Rufe zur Anbetung folgend, nach der Richtung von Mekka hinneigten. Weiter¬
hin endlich erhoben sich aus dem Wipselgrün anderer Gärten, von dem gelb¬
lichen Schimmer des anbrechenden Tages beleuchtet, drei schlanke Minarets.
Von der Galerie des nächsten unter ihnen war der Ruf, der uns geweckt, er¬
gangen. Auf den andern standen mit ihren weißen Turbanen und ihren licht¬
blauen Kaftanen noch die Mueddins, um in die stillen menschenleeren Gassen
ihr "Allahn akbar!" hinabzusingen.

Noch oft und vielleicht von bessern Stimmen hörten wir den Adam vor¬
tragen , aber nie wieder empfanden wir so viel dabei. Mit dem Glockcndonner
unserer Dome, mit dem Tonkatarakt unserer großen Orgeln läßt sich der Ge¬
sang der Mueddins freilich so wenig vergleichen, wie eine Moschee Kairos,
und wäre sie die größte, mit einem unserer mächtigen Münster, und wenn
dennoch der Eindruck, den der Adam macht, ein erhabener und ergreifender
ist, so erklären wir uns dies damit, daß die Stimme deS Erzes nur Töne,
die Stimme des Sängers auf dem Minaret Töne und zugleich Worte hat.

Während wir uns dieses Bild in seinen Hauptzügen auszeichneten, folgte
dem gelben Morgenlichte daS rothe und endlich die Sonne selbst. Die Stadt
war erwacht, und immer lauter und vielstimmiger gab sich die Strömung des
Verkehrs in der Straße drunten kund. In das Murmeln und Summen semi¬
tischer Gurgeltöne mischten die Esel, die sich jetzt vor dem Hause zu sammeln
begannen, ihr grelles Geschrei. DaS Marktvolk strömte herein und pries mit
langgedehnten Ruf seine Waaren an. Arbeiter zogen mit melancholischen
Gesang nach einem Bauplatz. Eine keifende Weiberstimme stritt hartnäckig
und, wie es schien, siegreich mit einem halben Dutzend Männerstimmen.
Ziegen beklagten sich meckernd, daß man sie zu lange gemolken. Büffel brüll¬
ten, Kameele stöhnten den Baß zu dem Concert, in das allmälig die Wasser¬
träger mit dem Geklingel ihrer Messingbecher, die Straßenwechsler mit dem
taktmäßig wiederholten Gerassel ihrer Kupferpiaster, die Kutscher mit Peitschen¬
geknall, die Laufer, die hier jedem Wagen vorausspringen, mit ihrem unauf¬
hörlichen: "Riglak! Niglak, pa Schech! --- Schemalak! -- Jeminak! -- Gu-
arda, Guarda pa Chowadsche!"*) und hundert andere uns noch unbekannte



ti>""'-">i'jiZ l,!"ni-n,-H :>i sij>o-mWins"*) Niglak, pa Schech, dein Fuß. o Herr (ist in Gefahr). Schemalak, links. Jeminak,
rechts. Guarda, pa Chowadsche, nimm dich in Acht, o Europäer (eigentlich: "Handelsmann).

Nilakazie zum Theil beschattete, stand ein Kawciß vor einem auf den Erd¬
boden gcbreiieten Tuche im Begriffe, die vorgeschriebenen Kniebeugungen vor¬
zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt umgeben von seiner
Herde schon mitten im Gebete mit der Stirn im Staube. Ueber das Dach
des Hauses hinter dem Baume schauten aus einem Garten einzelne hoch¬
stämmige Palmen, deren Kronen sich, vom Winde bewegt, wie gleichfalls dem
Rufe zur Anbetung folgend, nach der Richtung von Mekka hinneigten. Weiter¬
hin endlich erhoben sich aus dem Wipselgrün anderer Gärten, von dem gelb¬
lichen Schimmer des anbrechenden Tages beleuchtet, drei schlanke Minarets.
Von der Galerie des nächsten unter ihnen war der Ruf, der uns geweckt, er¬
gangen. Auf den andern standen mit ihren weißen Turbanen und ihren licht¬
blauen Kaftanen noch die Mueddins, um in die stillen menschenleeren Gassen
ihr „Allahn akbar!" hinabzusingen.

Noch oft und vielleicht von bessern Stimmen hörten wir den Adam vor¬
tragen , aber nie wieder empfanden wir so viel dabei. Mit dem Glockcndonner
unserer Dome, mit dem Tonkatarakt unserer großen Orgeln läßt sich der Ge¬
sang der Mueddins freilich so wenig vergleichen, wie eine Moschee Kairos,
und wäre sie die größte, mit einem unserer mächtigen Münster, und wenn
dennoch der Eindruck, den der Adam macht, ein erhabener und ergreifender
ist, so erklären wir uns dies damit, daß die Stimme deS Erzes nur Töne,
die Stimme des Sängers auf dem Minaret Töne und zugleich Worte hat.

Während wir uns dieses Bild in seinen Hauptzügen auszeichneten, folgte
dem gelben Morgenlichte daS rothe und endlich die Sonne selbst. Die Stadt
war erwacht, und immer lauter und vielstimmiger gab sich die Strömung des
Verkehrs in der Straße drunten kund. In das Murmeln und Summen semi¬
tischer Gurgeltöne mischten die Esel, die sich jetzt vor dem Hause zu sammeln
begannen, ihr grelles Geschrei. DaS Marktvolk strömte herein und pries mit
langgedehnten Ruf seine Waaren an. Arbeiter zogen mit melancholischen
Gesang nach einem Bauplatz. Eine keifende Weiberstimme stritt hartnäckig
und, wie es schien, siegreich mit einem halben Dutzend Männerstimmen.
Ziegen beklagten sich meckernd, daß man sie zu lange gemolken. Büffel brüll¬
ten, Kameele stöhnten den Baß zu dem Concert, in das allmälig die Wasser¬
träger mit dem Geklingel ihrer Messingbecher, die Straßenwechsler mit dem
taktmäßig wiederholten Gerassel ihrer Kupferpiaster, die Kutscher mit Peitschen¬
geknall, die Laufer, die hier jedem Wagen vorausspringen, mit ihrem unauf¬
hörlichen: „Riglak! Niglak, pa Schech! —- Schemalak! — Jeminak! — Gu-
arda, Guarda pa Chowadsche!"*) und hundert andere uns noch unbekannte



ti>»»'-«>i'jiZ l,!»ni-n,-H :>i sij>o-mWins«*) Niglak, pa Schech, dein Fuß. o Herr (ist in Gefahr). Schemalak, links. Jeminak,
rechts. Guarda, pa Chowadsche, nimm dich in Acht, o Europäer (eigentlich: »Handelsmann).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104576"/>
            <p xml:id="ID_970" prev="#ID_969"> Nilakazie zum Theil beschattete, stand ein Kawciß vor einem auf den Erd¬<lb/>
boden gcbreiieten Tuche im Begriffe, die vorgeschriebenen Kniebeugungen vor¬<lb/>
zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt umgeben von seiner<lb/>
Herde schon mitten im Gebete mit der Stirn im Staube. Ueber das Dach<lb/>
des Hauses hinter dem Baume schauten aus einem Garten einzelne hoch¬<lb/>
stämmige Palmen, deren Kronen sich, vom Winde bewegt, wie gleichfalls dem<lb/>
Rufe zur Anbetung folgend, nach der Richtung von Mekka hinneigten. Weiter¬<lb/>
hin endlich erhoben sich aus dem Wipselgrün anderer Gärten, von dem gelb¬<lb/>
lichen Schimmer des anbrechenden Tages beleuchtet, drei schlanke Minarets.<lb/>
Von der Galerie des nächsten unter ihnen war der Ruf, der uns geweckt, er¬<lb/>
gangen. Auf den andern standen mit ihren weißen Turbanen und ihren licht¬<lb/>
blauen Kaftanen noch die Mueddins, um in die stillen menschenleeren Gassen<lb/>
ihr &#x201E;Allahn akbar!" hinabzusingen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_971"> Noch oft und vielleicht von bessern Stimmen hörten wir den Adam vor¬<lb/>
tragen , aber nie wieder empfanden wir so viel dabei. Mit dem Glockcndonner<lb/>
unserer Dome, mit dem Tonkatarakt unserer großen Orgeln läßt sich der Ge¬<lb/>
sang der Mueddins freilich so wenig vergleichen, wie eine Moschee Kairos,<lb/>
und wäre sie die größte, mit einem unserer mächtigen Münster, und wenn<lb/>
dennoch der Eindruck, den der Adam macht, ein erhabener und ergreifender<lb/>
ist, so erklären wir uns dies damit, daß die Stimme deS Erzes nur Töne,<lb/>
die Stimme des Sängers auf dem Minaret Töne und zugleich Worte hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Während wir uns dieses Bild in seinen Hauptzügen auszeichneten, folgte<lb/>
dem gelben Morgenlichte daS rothe und endlich die Sonne selbst. Die Stadt<lb/>
war erwacht, und immer lauter und vielstimmiger gab sich die Strömung des<lb/>
Verkehrs in der Straße drunten kund. In das Murmeln und Summen semi¬<lb/>
tischer Gurgeltöne mischten die Esel, die sich jetzt vor dem Hause zu sammeln<lb/>
begannen, ihr grelles Geschrei. DaS Marktvolk strömte herein und pries mit<lb/>
langgedehnten Ruf seine Waaren an. Arbeiter zogen mit melancholischen<lb/>
Gesang nach einem Bauplatz. Eine keifende Weiberstimme stritt hartnäckig<lb/>
und, wie es schien, siegreich mit einem halben Dutzend Männerstimmen.<lb/>
Ziegen beklagten sich meckernd, daß man sie zu lange gemolken. Büffel brüll¬<lb/>
ten, Kameele stöhnten den Baß zu dem Concert, in das allmälig die Wasser¬<lb/>
träger mit dem Geklingel ihrer Messingbecher, die Straßenwechsler mit dem<lb/>
taktmäßig wiederholten Gerassel ihrer Kupferpiaster, die Kutscher mit Peitschen¬<lb/>
geknall, die Laufer, die hier jedem Wagen vorausspringen, mit ihrem unauf¬<lb/>
hörlichen: &#x201E;Riglak! Niglak, pa Schech! &#x2014;- Schemalak! &#x2014; Jeminak! &#x2014; Gu-<lb/>
arda, Guarda pa Chowadsche!"*) und hundert andere uns noch unbekannte</p><lb/>
            <note xml:id="FID_33" place="foot"> ti&gt;»»'-«&gt;i'jiZ l,!»ni-n,-H :&gt;i sij&gt;o-mWins«*) Niglak, pa Schech, dein Fuß. o Herr (ist in Gefahr).  Schemalak, links. Jeminak,<lb/>
rechts. Guarda, pa Chowadsche, nimm dich in Acht, o Europäer (eigentlich: »Handelsmann).</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] Nilakazie zum Theil beschattete, stand ein Kawciß vor einem auf den Erd¬ boden gcbreiieten Tuche im Begriffe, die vorgeschriebenen Kniebeugungen vor¬ zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt umgeben von seiner Herde schon mitten im Gebete mit der Stirn im Staube. Ueber das Dach des Hauses hinter dem Baume schauten aus einem Garten einzelne hoch¬ stämmige Palmen, deren Kronen sich, vom Winde bewegt, wie gleichfalls dem Rufe zur Anbetung folgend, nach der Richtung von Mekka hinneigten. Weiter¬ hin endlich erhoben sich aus dem Wipselgrün anderer Gärten, von dem gelb¬ lichen Schimmer des anbrechenden Tages beleuchtet, drei schlanke Minarets. Von der Galerie des nächsten unter ihnen war der Ruf, der uns geweckt, er¬ gangen. Auf den andern standen mit ihren weißen Turbanen und ihren licht¬ blauen Kaftanen noch die Mueddins, um in die stillen menschenleeren Gassen ihr „Allahn akbar!" hinabzusingen. Noch oft und vielleicht von bessern Stimmen hörten wir den Adam vor¬ tragen , aber nie wieder empfanden wir so viel dabei. Mit dem Glockcndonner unserer Dome, mit dem Tonkatarakt unserer großen Orgeln läßt sich der Ge¬ sang der Mueddins freilich so wenig vergleichen, wie eine Moschee Kairos, und wäre sie die größte, mit einem unserer mächtigen Münster, und wenn dennoch der Eindruck, den der Adam macht, ein erhabener und ergreifender ist, so erklären wir uns dies damit, daß die Stimme deS Erzes nur Töne, die Stimme des Sängers auf dem Minaret Töne und zugleich Worte hat. Während wir uns dieses Bild in seinen Hauptzügen auszeichneten, folgte dem gelben Morgenlichte daS rothe und endlich die Sonne selbst. Die Stadt war erwacht, und immer lauter und vielstimmiger gab sich die Strömung des Verkehrs in der Straße drunten kund. In das Murmeln und Summen semi¬ tischer Gurgeltöne mischten die Esel, die sich jetzt vor dem Hause zu sammeln begannen, ihr grelles Geschrei. DaS Marktvolk strömte herein und pries mit langgedehnten Ruf seine Waaren an. Arbeiter zogen mit melancholischen Gesang nach einem Bauplatz. Eine keifende Weiberstimme stritt hartnäckig und, wie es schien, siegreich mit einem halben Dutzend Männerstimmen. Ziegen beklagten sich meckernd, daß man sie zu lange gemolken. Büffel brüll¬ ten, Kameele stöhnten den Baß zu dem Concert, in das allmälig die Wasser¬ träger mit dem Geklingel ihrer Messingbecher, die Straßenwechsler mit dem taktmäßig wiederholten Gerassel ihrer Kupferpiaster, die Kutscher mit Peitschen¬ geknall, die Laufer, die hier jedem Wagen vorausspringen, mit ihrem unauf¬ hörlichen: „Riglak! Niglak, pa Schech! —- Schemalak! — Jeminak! — Gu- arda, Guarda pa Chowadsche!"*) und hundert andere uns noch unbekannte ti>»»'-«>i'jiZ l,!»ni-n,-H :>i sij>o-mWins«*) Niglak, pa Schech, dein Fuß. o Herr (ist in Gefahr). Schemalak, links. Jeminak, rechts. Guarda, pa Chowadsche, nimm dich in Acht, o Europäer (eigentlich: »Handelsmann).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/375>, abgerufen am 02.10.2024.