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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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buchs, in welchem wir wahrend eines mehrwochentlichen Aufenthalts in der
Stadt unsere Beobachtungen skizzirten.

Wir waren, da der Bahnzug in Alerandrien mehre Stunden auf die Pas¬
sagiere der indischen Post hatte warten müssen, erst mit Einbruch der Nacht vor
den Thoren Kairos angekommen. Ein Reisebegleiter, der in der Stadt wohnhaft,
hatte uns rasch durch das Getümmel von Lastträgern, Gasthofskellnern, EselS-
buben, Reiteseln, Kameelen und Kutschen, welches sich uns mit den Lichtern
von hundert Fackeln und Handlaternen aus dem Dunkel vor der Thür deS
Bahnhofs in allen Sprachen schreiend entgegendrängte, hindurckgeholfen und
in einen Wagen geschoben, der uns durch die Finsterniß außerhalb des Tho¬
res in die Finsterniß innerhalb des Thores, über mehre breite meist von Gär¬
ten eingeschlossene Straßen und zuletzt über die Esbekieh nach dem Hotel
des Pvramides brachte. Die schnelle Fahrt und die Dunkelheit hatte uns
vom Orient nichts als einige Kameelhälse und einige schwarze Bauanenblätter
und Palmenwipfel, die über den Gartenmauern sichtbar wurden, und wo eine
Fackel oder Laterne ging, einen und den andern weißen Turban bemerken
lassen, und die Tabledhote im Gasthofe, die deutsche Sprache und Art von
Wirth und Wirthin, die Einrichtung unseres Schlafzimmers ließ ebenfalls nur
wenig die Heimath vermissen.

Der Morgen aber brachte vollkommen andere, in der That überraschende
Eindrücke. Schon in der Nacht war es uns wiederholt gewesen, als ob ein
ferner Gesang mit langsamer feierlicher Melodie draußen über den Gassen sich
vernehmen lasse, und in der That ertönt ein solcher Gesang von den Minarets
der Hauptmoscheen zum Preise Allahs und Mohammeds allnächtlich. Jetzt
ließ sich der eigenthümliche Ton wieder hören, und als wir davon erwachten,
klangen durch das aus Versehen offengebliebene Fenster hell und deutlich wie
aus unmittelbarer Nähe die Worte an unser Ohr: "Gott ist sehr groß! Gott
ist sehr groß! Gott ist sehr groß! -- Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt
außer Allah. Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Allah. -- Und
daß Mohammed der Gesandte Gottes ist. Und daß Mohammed der Gesandte
Gottes ist. -- Kommt zum Gebet, o kommt zum Gebet! -- Kommt zum Heil,
o kommt zum Heil! -- Beten ist besser als Schlafen. -- Gott ist sehr groß!
ES gibt keinen Gott außer Allah."

Es war der Adam^ der Ruf deS Mueddin zum Morgengebet. Tief er¬
grissen von der wohlklingenden Tenorstimme des einsamen Sängers und der
einfachen Weise des Gesanges, den wir bisher noch nicht gehört, an den wir
nicht gedacht und der nun wie der erste Gruß des Morgenlandes zu uns
herübertönte, ließen wir ihn verhallen. Als wir uns dann erhoben und an
das Fenster traten, sahen wir ein Bild vor uns, das den Tönen entsprach-
Unter uns auf einem kleinen dreiseitigen Platze, den eine große dichtbelaubte


buchs, in welchem wir wahrend eines mehrwochentlichen Aufenthalts in der
Stadt unsere Beobachtungen skizzirten.

Wir waren, da der Bahnzug in Alerandrien mehre Stunden auf die Pas¬
sagiere der indischen Post hatte warten müssen, erst mit Einbruch der Nacht vor
den Thoren Kairos angekommen. Ein Reisebegleiter, der in der Stadt wohnhaft,
hatte uns rasch durch das Getümmel von Lastträgern, Gasthofskellnern, EselS-
buben, Reiteseln, Kameelen und Kutschen, welches sich uns mit den Lichtern
von hundert Fackeln und Handlaternen aus dem Dunkel vor der Thür deS
Bahnhofs in allen Sprachen schreiend entgegendrängte, hindurckgeholfen und
in einen Wagen geschoben, der uns durch die Finsterniß außerhalb des Tho¬
res in die Finsterniß innerhalb des Thores, über mehre breite meist von Gär¬
ten eingeschlossene Straßen und zuletzt über die Esbekieh nach dem Hotel
des Pvramides brachte. Die schnelle Fahrt und die Dunkelheit hatte uns
vom Orient nichts als einige Kameelhälse und einige schwarze Bauanenblätter
und Palmenwipfel, die über den Gartenmauern sichtbar wurden, und wo eine
Fackel oder Laterne ging, einen und den andern weißen Turban bemerken
lassen, und die Tabledhote im Gasthofe, die deutsche Sprache und Art von
Wirth und Wirthin, die Einrichtung unseres Schlafzimmers ließ ebenfalls nur
wenig die Heimath vermissen.

Der Morgen aber brachte vollkommen andere, in der That überraschende
Eindrücke. Schon in der Nacht war es uns wiederholt gewesen, als ob ein
ferner Gesang mit langsamer feierlicher Melodie draußen über den Gassen sich
vernehmen lasse, und in der That ertönt ein solcher Gesang von den Minarets
der Hauptmoscheen zum Preise Allahs und Mohammeds allnächtlich. Jetzt
ließ sich der eigenthümliche Ton wieder hören, und als wir davon erwachten,
klangen durch das aus Versehen offengebliebene Fenster hell und deutlich wie
aus unmittelbarer Nähe die Worte an unser Ohr: „Gott ist sehr groß! Gott
ist sehr groß! Gott ist sehr groß! — Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt
außer Allah. Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Allah. — Und
daß Mohammed der Gesandte Gottes ist. Und daß Mohammed der Gesandte
Gottes ist. — Kommt zum Gebet, o kommt zum Gebet! — Kommt zum Heil,
o kommt zum Heil! — Beten ist besser als Schlafen. — Gott ist sehr groß!
ES gibt keinen Gott außer Allah."

Es war der Adam^ der Ruf deS Mueddin zum Morgengebet. Tief er¬
grissen von der wohlklingenden Tenorstimme des einsamen Sängers und der
einfachen Weise des Gesanges, den wir bisher noch nicht gehört, an den wir
nicht gedacht und der nun wie der erste Gruß des Morgenlandes zu uns
herübertönte, ließen wir ihn verhallen. Als wir uns dann erhoben und an
das Fenster traten, sahen wir ein Bild vor uns, das den Tönen entsprach-
Unter uns auf einem kleinen dreiseitigen Platze, den eine große dichtbelaubte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/374>, abgerufen am 02.10.2024.