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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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und kräftigen Eindrücken fast widerstandslos hingegebene Natur; er liebt den
dialektischen Kampf und fühlt den Halt unter seinem Boden weichen, sobald
er sich geistig von seinen bisherigen Traditionen emancipirt hat. Man wird
daher leicht begreifen, wie sehr die höhere Civilisation der Engländer, ihr
Wissen und ihre Beherrschung der Naturkräfte grade auf die empfänglichen
Geister unter den Hindus eingewirkt haben, und einzelne solcher Beispiele sind
selbst in Europa bekannt geworden. Dazu kamen denn die positiven Bestre¬
bungen zur Erziehung besonders der höhern Classen. Schon im Jahre 18-13
hatte das Parlament bei der Erneuerung des Freibriefs der ostindischen Com¬
pagnie festgesetzt, daß aus deren Einkünften alljährlich ein Lack Rupien
(10,000 Pfd. Sterl.) für Unterrichtszwecke zu Gunsten der Eingebornen Indiens
verwandt werden sollte; doch vergingen zehn Jahre, ehe man dies so lange
aufgesammelte Geld seiner Bestimmung zuzuführen begann. Schon vorher, im
Jahre 1816, war nämlich durch Privatmittel die "Hindustiftung zu Kalkutta"
(Ilinäoo Oollöxe vt'ealcMa) begründet worden; dieser Stiftung, die nicht recht
mehr vorwärts wollte, wandte die Negierung jetzt ihre Aufmerksamkeit und ihre
Geldmittel zu. Die Anstatt gedieh zwar von jetzt an wieder, aber wunderlicher¬
weise erhielt sie in den nächstfolgenden Jahren eine ihren Zwecken wesentlich
zuwiderlaufende Richtung. Nicht die Ostindier erhielten Unterricht in europäi¬
schem Wissen, sondern die Europäer cultivirten mit Eifer indische Studien, bis
der Generalgouvemeur Lord William Bentink im Jahre 1833 die Zurück-
führung der öffentlichen Gelder auf ihre eigentliche Bestimmung wieder anord-
nete. Er hatte bei dieser Umformung keine geringere Persönlichkeit als Macau-
lay, der damals im geheimen Rath Ostindiens saß, zur Seite, und der jetzt die
Oberleitung, dieses Instituts übernahm, Eigentlich erst von dieser Zeit an
beginnt der Einfluß englischer Bildung auf die höhern Classen Hindostans.
Erst in,it Mißtrauen, dann als Mittel zur Beförderung in höhern Stellen,
schickten sie ihre Söhne in die englischen Schulen; ja gaben es selbst zu, daß
sie hundertjährigen Vorurtheilen zum Trotz zum Zweck medicinischer Studien die
Anatomie besuchte". Man sieht aus solchen Zügen, daß im gewöhnlichen
Verlauf der Dinge die Gefahr für das alte Braminenthum nicht ganz unbe¬
deutend zu werden anfing. Es war auch wirklich mehr diese Gefahr der Un¬
tergrabung deS bisherigen Geistes, welche die Orthodoxie jeder Farbe mit rich¬
tigem Jnstinct als besonders bedrohlich herausgefühlt har, als die positiven Ein¬
drücke, welche die hindostanische Jugend hier und da empfing, welche in frommen
Gemüthern so großes Mißtrauen erregte. Denn die englische Bildung wurde
mit sehr seltenen Ausnahmen im Leben nicht fortgesetzt und verschwand bald
unter dem hergebrachten Wesen, daS freilich von jetzt an mehr durch die Ge¬
wöhnung als den alten naiven Glauben aufrecht erhalten wurde. Eine Sta¬
tistik der von der englischen Verwaltung in Niederbengalen gestifteten oder


und kräftigen Eindrücken fast widerstandslos hingegebene Natur; er liebt den
dialektischen Kampf und fühlt den Halt unter seinem Boden weichen, sobald
er sich geistig von seinen bisherigen Traditionen emancipirt hat. Man wird
daher leicht begreifen, wie sehr die höhere Civilisation der Engländer, ihr
Wissen und ihre Beherrschung der Naturkräfte grade auf die empfänglichen
Geister unter den Hindus eingewirkt haben, und einzelne solcher Beispiele sind
selbst in Europa bekannt geworden. Dazu kamen denn die positiven Bestre¬
bungen zur Erziehung besonders der höhern Classen. Schon im Jahre 18-13
hatte das Parlament bei der Erneuerung des Freibriefs der ostindischen Com¬
pagnie festgesetzt, daß aus deren Einkünften alljährlich ein Lack Rupien
(10,000 Pfd. Sterl.) für Unterrichtszwecke zu Gunsten der Eingebornen Indiens
verwandt werden sollte; doch vergingen zehn Jahre, ehe man dies so lange
aufgesammelte Geld seiner Bestimmung zuzuführen begann. Schon vorher, im
Jahre 1816, war nämlich durch Privatmittel die „Hindustiftung zu Kalkutta"
(Ilinäoo Oollöxe vt'ealcMa) begründet worden; dieser Stiftung, die nicht recht
mehr vorwärts wollte, wandte die Negierung jetzt ihre Aufmerksamkeit und ihre
Geldmittel zu. Die Anstatt gedieh zwar von jetzt an wieder, aber wunderlicher¬
weise erhielt sie in den nächstfolgenden Jahren eine ihren Zwecken wesentlich
zuwiderlaufende Richtung. Nicht die Ostindier erhielten Unterricht in europäi¬
schem Wissen, sondern die Europäer cultivirten mit Eifer indische Studien, bis
der Generalgouvemeur Lord William Bentink im Jahre 1833 die Zurück-
führung der öffentlichen Gelder auf ihre eigentliche Bestimmung wieder anord-
nete. Er hatte bei dieser Umformung keine geringere Persönlichkeit als Macau-
lay, der damals im geheimen Rath Ostindiens saß, zur Seite, und der jetzt die
Oberleitung, dieses Instituts übernahm, Eigentlich erst von dieser Zeit an
beginnt der Einfluß englischer Bildung auf die höhern Classen Hindostans.
Erst in,it Mißtrauen, dann als Mittel zur Beförderung in höhern Stellen,
schickten sie ihre Söhne in die englischen Schulen; ja gaben es selbst zu, daß
sie hundertjährigen Vorurtheilen zum Trotz zum Zweck medicinischer Studien die
Anatomie besuchte». Man sieht aus solchen Zügen, daß im gewöhnlichen
Verlauf der Dinge die Gefahr für das alte Braminenthum nicht ganz unbe¬
deutend zu werden anfing. Es war auch wirklich mehr diese Gefahr der Un¬
tergrabung deS bisherigen Geistes, welche die Orthodoxie jeder Farbe mit rich¬
tigem Jnstinct als besonders bedrohlich herausgefühlt har, als die positiven Ein¬
drücke, welche die hindostanische Jugend hier und da empfing, welche in frommen
Gemüthern so großes Mißtrauen erregte. Denn die englische Bildung wurde
mit sehr seltenen Ausnahmen im Leben nicht fortgesetzt und verschwand bald
unter dem hergebrachten Wesen, daS freilich von jetzt an mehr durch die Ge¬
wöhnung als den alten naiven Glauben aufrecht erhalten wurde. Eine Sta¬
tistik der von der englischen Verwaltung in Niederbengalen gestifteten oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/340>, abgerufen am 25.08.2024.