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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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indien hat eS das Fett des Landes für sich abzuschöpfen gewußt, nirgend so
wie hier die gesammten geistigen und sittlichen Regungen des Volkes in ihrem
Bann gehalten.

Es ist nothwendig diese Nachtseiten der vorenglischen Zeit hervor¬
zuheben, um zu zeigen, wo denn eigentlich die Schwierigkeiten lagen, mit
denen die Engländer zu kämpfen hatten. Zuerst mit der Raubbegierde und
der socialen Stellung der höhern Classe". Zu vornehm um zu arbeiten, viel¬
leicht auch zu hoch in der Kaste oder dem kastenmäßige" Ansehn , um arbeiten
zu können, an Macht und Ansehen, selbst an Uebergriffe von Alters her ge¬
wohnt, war eS grade für sie doppelt schwer, sich in geordnete Zustände zu
finden, wie sie die Engländer im eignen Interesse einführen mußten. Daß da¬
bei nicht selten eine Verletzung ihrer Vorurtheile oder um uns milder auszu¬
drücken, ihrer religiösen Ansichten und Gefühle vorgekommen, läßt sich denken.
Wir wollen ein Beispiel erwähnen. Ein Radschpute von hoher Abstammung
hatte seine Mutter und zwar auf deren eignes dringendes Verlangen getödtet,
weil sie sich dadurch entehrt fühlte,' daß einige Muhammedaner sie ganz zu¬
fällig hatten essen sehen. Er ward von den englischen Behörden zur Verant¬
wortung gezogen und hingerichtet, ohne auch nur zu begreifen, daß und wo¬
rin er unrecht gehandelt habe, und selbst jetzt den Tod wünschend, weil seine
Gefangenschaft ihn in zu nahe Berührung mit unreinen Kasten gebracht hatte.
Oder, was namentlich von Disraeli als eine Beschwerde der Ostindier dar¬
gestellt wurde, der Generalgouvemeur Dalhvusie hatte den Beschluß gefaßt
und durchgeführt, den in frühern Verwirrungen erworbenen unrechtmäßigen
Besitz an Ländereien von Stiftungen und Einzelnen zu reclamiren, allerdings
zumeist in der Absicht, den Finanzen der Compagnie aufzuhelfen. Die eng¬
lische Verwaltung hatte ein unzweifelhaftes Recht zu dieser Maßregel, die sich
selbst durch ihre Zweckmäßigkeit insofern empfahl, als sie der Bevölkerung eben¬
so viel an anderweitiger Besteuerung ersparte; klug haben aber die Engländer
gewiß nicht dabei gehandelt, weil sie damit vielfache religiöse und gesellschaft¬
liche Interessen verletzten, vor allem in dem "och einflußreichen alten Adel
des Landes das Gefühl seiner Verlornen hohen Stellung und jetzigen großen
Abhängigkeit verstärkten. Aber auf der andern Seite läßt eS sich ebensowenig
verkennen, daß sür die Engländer eine unbedingte Nothwendigkeit da war, mit
solchen alten Institutionen ihres ostindischen Ländergebiets zu brechen, als sie
den Bedingungen ihrer Herrschaft widersprachen. Sie hatten nur dafür zu
sorgen, daß Maßregeln getroffen wurden, um jeden Groll über die Ausübung
ihrer Rechte auf die Dauer zurückzudrängen, und daß sie daS nicht zur Ge¬
nüge gethan haben, darin vielleicht liegt ihr größter Fehler. Wir wollen hier
noch auf einen andern Punkt kommen, den Disraeli im Unterhause gleichfalls
angeregt hat, den in Betreff des Ausschlusses von Adoptionen. Solche, so


indien hat eS das Fett des Landes für sich abzuschöpfen gewußt, nirgend so
wie hier die gesammten geistigen und sittlichen Regungen des Volkes in ihrem
Bann gehalten.

Es ist nothwendig diese Nachtseiten der vorenglischen Zeit hervor¬
zuheben, um zu zeigen, wo denn eigentlich die Schwierigkeiten lagen, mit
denen die Engländer zu kämpfen hatten. Zuerst mit der Raubbegierde und
der socialen Stellung der höhern Classe». Zu vornehm um zu arbeiten, viel¬
leicht auch zu hoch in der Kaste oder dem kastenmäßige» Ansehn , um arbeiten
zu können, an Macht und Ansehen, selbst an Uebergriffe von Alters her ge¬
wohnt, war eS grade für sie doppelt schwer, sich in geordnete Zustände zu
finden, wie sie die Engländer im eignen Interesse einführen mußten. Daß da¬
bei nicht selten eine Verletzung ihrer Vorurtheile oder um uns milder auszu¬
drücken, ihrer religiösen Ansichten und Gefühle vorgekommen, läßt sich denken.
Wir wollen ein Beispiel erwähnen. Ein Radschpute von hoher Abstammung
hatte seine Mutter und zwar auf deren eignes dringendes Verlangen getödtet,
weil sie sich dadurch entehrt fühlte,' daß einige Muhammedaner sie ganz zu¬
fällig hatten essen sehen. Er ward von den englischen Behörden zur Verant¬
wortung gezogen und hingerichtet, ohne auch nur zu begreifen, daß und wo¬
rin er unrecht gehandelt habe, und selbst jetzt den Tod wünschend, weil seine
Gefangenschaft ihn in zu nahe Berührung mit unreinen Kasten gebracht hatte.
Oder, was namentlich von Disraeli als eine Beschwerde der Ostindier dar¬
gestellt wurde, der Generalgouvemeur Dalhvusie hatte den Beschluß gefaßt
und durchgeführt, den in frühern Verwirrungen erworbenen unrechtmäßigen
Besitz an Ländereien von Stiftungen und Einzelnen zu reclamiren, allerdings
zumeist in der Absicht, den Finanzen der Compagnie aufzuhelfen. Die eng¬
lische Verwaltung hatte ein unzweifelhaftes Recht zu dieser Maßregel, die sich
selbst durch ihre Zweckmäßigkeit insofern empfahl, als sie der Bevölkerung eben¬
so viel an anderweitiger Besteuerung ersparte; klug haben aber die Engländer
gewiß nicht dabei gehandelt, weil sie damit vielfache religiöse und gesellschaft¬
liche Interessen verletzten, vor allem in dem »och einflußreichen alten Adel
des Landes das Gefühl seiner Verlornen hohen Stellung und jetzigen großen
Abhängigkeit verstärkten. Aber auf der andern Seite läßt eS sich ebensowenig
verkennen, daß sür die Engländer eine unbedingte Nothwendigkeit da war, mit
solchen alten Institutionen ihres ostindischen Ländergebiets zu brechen, als sie
den Bedingungen ihrer Herrschaft widersprachen. Sie hatten nur dafür zu
sorgen, daß Maßregeln getroffen wurden, um jeden Groll über die Ausübung
ihrer Rechte auf die Dauer zurückzudrängen, und daß sie daS nicht zur Ge¬
nüge gethan haben, darin vielleicht liegt ihr größter Fehler. Wir wollen hier
noch auf einen andern Punkt kommen, den Disraeli im Unterhause gleichfalls
angeregt hat, den in Betreff des Ausschlusses von Adoptionen. Solche, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/338>, abgerufen am 02.10.2024.