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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Daß der Zustands Ostindiens vor hundert Jahren, als zuerst die Eng¬
länder im südlichen Bengalen ausgedehnte Landstriche in Besitz nahmen, ein
nichts weniger als behaglicher gewesen, leidet gar keinen Zweifel. Ein Schat-
tenkaise,r und unzählige Satrapen oder freie Gebieter, die einander bekriegten
und deren^jeder so viel Schätze sammelte, als sie ihren Unterthanen nur ent¬
reißen k^NW^-- wozu dann zur Abwechslung verheerende Einbrüche vom
Norden herkamen--, daS ist in seinen allgemeinen Zügen daS Bild der vor¬
englischen Zeit. Die ungeheure Pracht der Fürsten und vor allem des Groß-
^Mog^is, von der unsere Vorfahren nur mit Staunen sprechen konnten, war
wie alle derartige Pracht, aus dem Schweiß und dem Blute deS Landes zu-
saim"ugebracht. Wie wenig der indischen Bevölkerung mit der Nähe ihrer
Herrscher gedient war, beweist folgender Vorfall aus der Negierung deS durch
sein Wohlwollen noch vor andern Herrschern Indiens hervorragenden Schah
Jehan. Er hatte in einer der lieblichen Gegenden der GangeSkanäle nicht
weit von Delhi einen Sommeraufenthalt für sich, sein Serail und seinen
Hofhalt ausgewählt. Die Umgegend aber, anstatt über die directen und in¬
direkten Vortheile', die sich sonst an einen fürstlichen Hofhalt knüpfen, erfreut
zu sein, ergriff ein ebenso entscheidendes alö sinnreiches Mittel, um ihn mög¬
lichst rasch wieder los zu werden. Eines schönen Morgens meldeten sich
eine Anzahl mit Kropf behafteter Frauenzimmer, die man eigens zu diesem
Zweck hatte kommen lassen, vor dem fürstlichen Serail, um dort Lebensmittel
zu verkaufen. Natürlich wollten die Inwohnerinnen die Krankheit wissen,
welche diese fürchterlichen Auswüchse hervorgebracht hatte, und erfuhren nun
zu ihrem Schrecken, das Wasser und die Luft der Gegend trügen die Schuld.
Begreiflicherweise ruhten nun die Schönen deS Harems nicht eher, bis der
fürstliche Aufenthalt anders wohin verlegt war. Wie gesagt, das geschah noch
unter einem der bessern Herrscher, dessen Negierung man noch lange als das
goldene Zeitalter Ostindiens betrachtete. Wie alles orientalische Aufblühen
war auch das zu seiner Zeit stattfindende das Werk der Herrscherlaune und
des Zufalls, und unterhalb desselben, so weit als daS Auge und die Hand
deS Fürsten nicht reichte, war Druck und Plünderung. Noch schlimmer war
es unter seinem Nachfolger Aurungzeb, unter welchem Indien durch innere
Kriege verheert wurde. An Schätzen und an Pracht fehlte es freilich auch
an seinem Hofe nicht. Daß die Großmoguls hie und da ein großes Werk
anlegten, einen prachtvollen Palast oder Tempel bauten, einen Kanal grabe"
.ließen, war in der Regel gleichfalls nur die Eingebung einer Lanne oder
eines vorübergehenden Bedürfnisses. Der große zur Zeit des Schah Jeha"
angelegte Delhikanal war, als die Engländer dahin gelangten, ganz unbrauch¬
bar geworden, und erst die ostindische Compagnie hat, freilich spät genng, erst
in den letzten Jahrzehnten, die reichlichen Gewässer des Ganges und deS


Daß der Zustands Ostindiens vor hundert Jahren, als zuerst die Eng¬
länder im südlichen Bengalen ausgedehnte Landstriche in Besitz nahmen, ein
nichts weniger als behaglicher gewesen, leidet gar keinen Zweifel. Ein Schat-
tenkaise,r und unzählige Satrapen oder freie Gebieter, die einander bekriegten
und deren^jeder so viel Schätze sammelte, als sie ihren Unterthanen nur ent¬
reißen k^NW^— wozu dann zur Abwechslung verheerende Einbrüche vom
Norden herkamen—, daS ist in seinen allgemeinen Zügen daS Bild der vor¬
englischen Zeit. Die ungeheure Pracht der Fürsten und vor allem des Groß-
^Mog^is, von der unsere Vorfahren nur mit Staunen sprechen konnten, war
wie alle derartige Pracht, aus dem Schweiß und dem Blute deS Landes zu-
saim«ugebracht. Wie wenig der indischen Bevölkerung mit der Nähe ihrer
Herrscher gedient war, beweist folgender Vorfall aus der Negierung deS durch
sein Wohlwollen noch vor andern Herrschern Indiens hervorragenden Schah
Jehan. Er hatte in einer der lieblichen Gegenden der GangeSkanäle nicht
weit von Delhi einen Sommeraufenthalt für sich, sein Serail und seinen
Hofhalt ausgewählt. Die Umgegend aber, anstatt über die directen und in¬
direkten Vortheile', die sich sonst an einen fürstlichen Hofhalt knüpfen, erfreut
zu sein, ergriff ein ebenso entscheidendes alö sinnreiches Mittel, um ihn mög¬
lichst rasch wieder los zu werden. Eines schönen Morgens meldeten sich
eine Anzahl mit Kropf behafteter Frauenzimmer, die man eigens zu diesem
Zweck hatte kommen lassen, vor dem fürstlichen Serail, um dort Lebensmittel
zu verkaufen. Natürlich wollten die Inwohnerinnen die Krankheit wissen,
welche diese fürchterlichen Auswüchse hervorgebracht hatte, und erfuhren nun
zu ihrem Schrecken, das Wasser und die Luft der Gegend trügen die Schuld.
Begreiflicherweise ruhten nun die Schönen deS Harems nicht eher, bis der
fürstliche Aufenthalt anders wohin verlegt war. Wie gesagt, das geschah noch
unter einem der bessern Herrscher, dessen Negierung man noch lange als das
goldene Zeitalter Ostindiens betrachtete. Wie alles orientalische Aufblühen
war auch das zu seiner Zeit stattfindende das Werk der Herrscherlaune und
des Zufalls, und unterhalb desselben, so weit als daS Auge und die Hand
deS Fürsten nicht reichte, war Druck und Plünderung. Noch schlimmer war
es unter seinem Nachfolger Aurungzeb, unter welchem Indien durch innere
Kriege verheert wurde. An Schätzen und an Pracht fehlte es freilich auch
an seinem Hofe nicht. Daß die Großmoguls hie und da ein großes Werk
anlegten, einen prachtvollen Palast oder Tempel bauten, einen Kanal grabe»
.ließen, war in der Regel gleichfalls nur die Eingebung einer Lanne oder
eines vorübergehenden Bedürfnisses. Der große zur Zeit des Schah Jeha»
angelegte Delhikanal war, als die Engländer dahin gelangten, ganz unbrauch¬
bar geworden, und erst die ostindische Compagnie hat, freilich spät genng, erst
in den letzten Jahrzehnten, die reichlichen Gewässer des Ganges und deS


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[0336] Daß der Zustands Ostindiens vor hundert Jahren, als zuerst die Eng¬ länder im südlichen Bengalen ausgedehnte Landstriche in Besitz nahmen, ein nichts weniger als behaglicher gewesen, leidet gar keinen Zweifel. Ein Schat- tenkaise,r und unzählige Satrapen oder freie Gebieter, die einander bekriegten und deren^jeder so viel Schätze sammelte, als sie ihren Unterthanen nur ent¬ reißen k^NW^— wozu dann zur Abwechslung verheerende Einbrüche vom Norden herkamen—, daS ist in seinen allgemeinen Zügen daS Bild der vor¬ englischen Zeit. Die ungeheure Pracht der Fürsten und vor allem des Groß- ^Mog^is, von der unsere Vorfahren nur mit Staunen sprechen konnten, war wie alle derartige Pracht, aus dem Schweiß und dem Blute deS Landes zu- saim«ugebracht. Wie wenig der indischen Bevölkerung mit der Nähe ihrer Herrscher gedient war, beweist folgender Vorfall aus der Negierung deS durch sein Wohlwollen noch vor andern Herrschern Indiens hervorragenden Schah Jehan. Er hatte in einer der lieblichen Gegenden der GangeSkanäle nicht weit von Delhi einen Sommeraufenthalt für sich, sein Serail und seinen Hofhalt ausgewählt. Die Umgegend aber, anstatt über die directen und in¬ direkten Vortheile', die sich sonst an einen fürstlichen Hofhalt knüpfen, erfreut zu sein, ergriff ein ebenso entscheidendes alö sinnreiches Mittel, um ihn mög¬ lichst rasch wieder los zu werden. Eines schönen Morgens meldeten sich eine Anzahl mit Kropf behafteter Frauenzimmer, die man eigens zu diesem Zweck hatte kommen lassen, vor dem fürstlichen Serail, um dort Lebensmittel zu verkaufen. Natürlich wollten die Inwohnerinnen die Krankheit wissen, welche diese fürchterlichen Auswüchse hervorgebracht hatte, und erfuhren nun zu ihrem Schrecken, das Wasser und die Luft der Gegend trügen die Schuld. Begreiflicherweise ruhten nun die Schönen deS Harems nicht eher, bis der fürstliche Aufenthalt anders wohin verlegt war. Wie gesagt, das geschah noch unter einem der bessern Herrscher, dessen Negierung man noch lange als das goldene Zeitalter Ostindiens betrachtete. Wie alles orientalische Aufblühen war auch das zu seiner Zeit stattfindende das Werk der Herrscherlaune und des Zufalls, und unterhalb desselben, so weit als daS Auge und die Hand deS Fürsten nicht reichte, war Druck und Plünderung. Noch schlimmer war es unter seinem Nachfolger Aurungzeb, unter welchem Indien durch innere Kriege verheert wurde. An Schätzen und an Pracht fehlte es freilich auch an seinem Hofe nicht. Daß die Großmoguls hie und da ein großes Werk anlegten, einen prachtvollen Palast oder Tempel bauten, einen Kanal grabe» .ließen, war in der Regel gleichfalls nur die Eingebung einer Lanne oder eines vorübergehenden Bedürfnisses. Der große zur Zeit des Schah Jeha» angelegte Delhikanal war, als die Engländer dahin gelangten, ganz unbrauch¬ bar geworden, und erst die ostindische Compagnie hat, freilich spät genng, erst in den letzten Jahrzehnten, die reichlichen Gewässer des Ganges und deS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/336>, abgerufen am 12.12.2024.