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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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der That war durch den Krieg den Westmächten, der englischen wie der französischen
Regierung, manche bedeutungsvolle Erkenntniß gekommen. Daß Rußland für
den Frieden Europas zu groß geworden sei, daß Oestreich durch Begehrlichkeit
nach allen Seiten verhindert werde, ein zuverlässiger Verbündeter für irgend
eine Partei zu sein, daß Preußen und Schweden nicht Land genug besäßen,
um ohne großen Führer große Politik zu treiben, und daß es sehr wünschens-
werth sei, bei Zeiten an die zukünftige Gestaltung der türkischen Erbschaft zu
denken, das alles war damals sehr bedenklich empfunden und vielfach besprochen
worden. Bei der Rolle, welche Preußen während des orientalischen Krieges
gespielt hat, mußre sich jeder Preuße Glück wünschen, daß der englischen Re¬
gierung der gute Wille fehlte, auch das zu windigen, was an den Vor¬
schlägen deS Kaisers etwa uneigennützig und zum wirklichen Vortheil für daS
europäische Staatensystem war. Auch jetzt noch ist die preußische Partei in
der Lage, gegen jede allgemeine Revision der Karte vo" Europa protestiren zu,
müssen. Denn es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Preußen sehr schlecht
dabei fortkommen würde. Dagegen ist der Gedanke an sich nicht nur kühn,
sondern er ist bei festen Allianzen auch nicht durchaus unausfülubar; obgleich
er allerdings die Gefahr eines großen europäischen Krieges als die Folge der
vergeblichen Verhandlungen nahe legt.

So ist auch die warme Parteinahme deS Kaisers für die Vereinigung der
Donaufürstenthümer unter einem jungen thatkräftigen Prinzen aus einem der
ältesten und erlauchtesten Häuser Deutschlands als ein Theil seines großen
Plans zu betrachten, der Ordner Europas zu werden, lindes ist allerdings mög¬
lich, die orientalische Frage zu einer allmäligen und friedlichen Lösung zu füh¬
ren, wenn zunächst aus den Donaufürstenthümeru ein kleiner Zwischenstaat
geschaffen wird, welcher Oestreichs, wie Rußlands Einfange" der türki¬
schen Landschaften verhindern soll, und das Vorbild für ähnliche andere
Bildungen in der europäischen Türkei werden kann, sür ein Südslawen¬
reich, eine Vergrößerung Griechenlands und einen neuen Staat von Byzanz.
Alle Bedenken und Schwierigkeiten solcher Erperüiientalstaalen mag man gern
zugeben. Aber ihre Schöpfung ist doch die einzige Lösung der orientalische"
Frage, welche einen ungeheuern Krieg von Europa und dessen altem Schlacht¬
felde Deutschland fern zu halten vermag.




der That war durch den Krieg den Westmächten, der englischen wie der französischen
Regierung, manche bedeutungsvolle Erkenntniß gekommen. Daß Rußland für
den Frieden Europas zu groß geworden sei, daß Oestreich durch Begehrlichkeit
nach allen Seiten verhindert werde, ein zuverlässiger Verbündeter für irgend
eine Partei zu sein, daß Preußen und Schweden nicht Land genug besäßen,
um ohne großen Führer große Politik zu treiben, und daß es sehr wünschens-
werth sei, bei Zeiten an die zukünftige Gestaltung der türkischen Erbschaft zu
denken, das alles war damals sehr bedenklich empfunden und vielfach besprochen
worden. Bei der Rolle, welche Preußen während des orientalischen Krieges
gespielt hat, mußre sich jeder Preuße Glück wünschen, daß der englischen Re¬
gierung der gute Wille fehlte, auch das zu windigen, was an den Vor¬
schlägen deS Kaisers etwa uneigennützig und zum wirklichen Vortheil für daS
europäische Staatensystem war. Auch jetzt noch ist die preußische Partei in
der Lage, gegen jede allgemeine Revision der Karte vo» Europa protestiren zu,
müssen. Denn es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Preußen sehr schlecht
dabei fortkommen würde. Dagegen ist der Gedanke an sich nicht nur kühn,
sondern er ist bei festen Allianzen auch nicht durchaus unausfülubar; obgleich
er allerdings die Gefahr eines großen europäischen Krieges als die Folge der
vergeblichen Verhandlungen nahe legt.

So ist auch die warme Parteinahme deS Kaisers für die Vereinigung der
Donaufürstenthümer unter einem jungen thatkräftigen Prinzen aus einem der
ältesten und erlauchtesten Häuser Deutschlands als ein Theil seines großen
Plans zu betrachten, der Ordner Europas zu werden, lindes ist allerdings mög¬
lich, die orientalische Frage zu einer allmäligen und friedlichen Lösung zu füh¬
ren, wenn zunächst aus den Donaufürstenthümeru ein kleiner Zwischenstaat
geschaffen wird, welcher Oestreichs, wie Rußlands Einfange» der türki¬
schen Landschaften verhindern soll, und das Vorbild für ähnliche andere
Bildungen in der europäischen Türkei werden kann, sür ein Südslawen¬
reich, eine Vergrößerung Griechenlands und einen neuen Staat von Byzanz.
Alle Bedenken und Schwierigkeiten solcher Erperüiientalstaalen mag man gern
zugeben. Aber ihre Schöpfung ist doch die einzige Lösung der orientalische»
Frage, welche einen ungeheuern Krieg von Europa und dessen altem Schlacht¬
felde Deutschland fern zu halten vermag.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/332>, abgerufen am 12.12.2024.