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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Der Streit um die Dmimlsurstenthümer.

Die letzten Woche" brachten in der orientalischen Frage einige befremdliche
Erscheinungen; vier europäische Mächte brechen ihren diplomatischen Verkehr
mit der Pforte in sehr auffallender Weise ab, der Besuch des Kaisers zu Os-
borne bewegt England und Oestreich zur Nachgiebigkeit. Wie weit diese in
der Hauptsache gehen wird, ist noch nicht bekannt. Vorläufig werden in der
Moldau neue Wahlen stattfinden, und gegenüber den türkischen, östreichischen
"ud englischen Machinationen werden jetzt die russischen und französischen
Intriguen -- preußische gibt es nicht -- auf die Wahlen der unfreien Donau-
länder ihren Einfluß auszuüben suchen.

Die deutsche unabhängige Presse steht in der Frage über die Zukunft der
Donaufürstenthümer mit seltener Einmüthigkeit auf Seiten der Türkei und
Englands. Die öffentliche Meinung hat Recht, wenn sie mit Befremden und
Argwohn das rauhe Verfahre" von vier Gesandtschaften gegen eine Regierung
betrachtet, bei welcher weder Von Kraft noch Selbstständigkeit mehr die Rede
sein kann, und sie ist in der Hauptfrage schon deshalb geneigt, gegen die
Union zu stimmen, weil Rußland dieselbe so angelegentlich wünscht.

Es ist hier nicht die Absicht, das Verfahren der preußischen, französischen,
russischen und sardinischen Gesandtschaft zu vertheidigen. Die europäische
Diplomatie war sonst enthaltsamer in dem Gebrauch des letzten friedlichen
Zwangsmittels, der Abberufung ihrer Gesandten. Da indeß Oestreich gegen¬
über Sardinien erst vor Kurzem das Beispiel gegeben hat. daß die officielle
Abberufung von Gesandten nichts weiter bedeuten könne, alö üble Laune
einer Negierung gegen die andere, so hat die östreichische Presse am we¬
nigsten Recht, den diplomatischen Schritt der vier protestirende" Mächte
auffallend zu finden. Der rücksichtslose Gebrauch dieses starken Mittels,
diplomatische Unzufriedenheit auszudrücken, ist im Allgemeinen ein Symptom,
daß bei den unendlich vermehrten CommunicationSmitteln und den dadurch
verringerten Entfernungen der Staaten untereinander auch das Institut der
Gesandtschaften an Würde und Bedeutung verloren hat. Die Gesandten sind
schon längst nicht mehr wie jrüher die Hauptorgane, durch welche eine Re¬
gierung die Verhältnisse anderer Staaten kennen lernt, und sie scheinen auch


Greuzbotc". III. 4 8S7. 41
Der Streit um die Dmimlsurstenthümer.

Die letzten Woche» brachten in der orientalischen Frage einige befremdliche
Erscheinungen; vier europäische Mächte brechen ihren diplomatischen Verkehr
mit der Pforte in sehr auffallender Weise ab, der Besuch des Kaisers zu Os-
borne bewegt England und Oestreich zur Nachgiebigkeit. Wie weit diese in
der Hauptsache gehen wird, ist noch nicht bekannt. Vorläufig werden in der
Moldau neue Wahlen stattfinden, und gegenüber den türkischen, östreichischen
»ud englischen Machinationen werden jetzt die russischen und französischen
Intriguen — preußische gibt es nicht — auf die Wahlen der unfreien Donau-
länder ihren Einfluß auszuüben suchen.

Die deutsche unabhängige Presse steht in der Frage über die Zukunft der
Donaufürstenthümer mit seltener Einmüthigkeit auf Seiten der Türkei und
Englands. Die öffentliche Meinung hat Recht, wenn sie mit Befremden und
Argwohn das rauhe Verfahre» von vier Gesandtschaften gegen eine Regierung
betrachtet, bei welcher weder Von Kraft noch Selbstständigkeit mehr die Rede
sein kann, und sie ist in der Hauptfrage schon deshalb geneigt, gegen die
Union zu stimmen, weil Rußland dieselbe so angelegentlich wünscht.

Es ist hier nicht die Absicht, das Verfahren der preußischen, französischen,
russischen und sardinischen Gesandtschaft zu vertheidigen. Die europäische
Diplomatie war sonst enthaltsamer in dem Gebrauch des letzten friedlichen
Zwangsmittels, der Abberufung ihrer Gesandten. Da indeß Oestreich gegen¬
über Sardinien erst vor Kurzem das Beispiel gegeben hat. daß die officielle
Abberufung von Gesandten nichts weiter bedeuten könne, alö üble Laune
einer Negierung gegen die andere, so hat die östreichische Presse am we¬
nigsten Recht, den diplomatischen Schritt der vier protestirende» Mächte
auffallend zu finden. Der rücksichtslose Gebrauch dieses starken Mittels,
diplomatische Unzufriedenheit auszudrücken, ist im Allgemeinen ein Symptom,
daß bei den unendlich vermehrten CommunicationSmitteln und den dadurch
verringerten Entfernungen der Staaten untereinander auch das Institut der
Gesandtschaften an Würde und Bedeutung verloren hat. Die Gesandten sind
schon längst nicht mehr wie jrüher die Hauptorgane, durch welche eine Re¬
gierung die Verhältnisse anderer Staaten kennen lernt, und sie scheinen auch


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[0329] Der Streit um die Dmimlsurstenthümer. Die letzten Woche» brachten in der orientalischen Frage einige befremdliche Erscheinungen; vier europäische Mächte brechen ihren diplomatischen Verkehr mit der Pforte in sehr auffallender Weise ab, der Besuch des Kaisers zu Os- borne bewegt England und Oestreich zur Nachgiebigkeit. Wie weit diese in der Hauptsache gehen wird, ist noch nicht bekannt. Vorläufig werden in der Moldau neue Wahlen stattfinden, und gegenüber den türkischen, östreichischen »ud englischen Machinationen werden jetzt die russischen und französischen Intriguen — preußische gibt es nicht — auf die Wahlen der unfreien Donau- länder ihren Einfluß auszuüben suchen. Die deutsche unabhängige Presse steht in der Frage über die Zukunft der Donaufürstenthümer mit seltener Einmüthigkeit auf Seiten der Türkei und Englands. Die öffentliche Meinung hat Recht, wenn sie mit Befremden und Argwohn das rauhe Verfahre» von vier Gesandtschaften gegen eine Regierung betrachtet, bei welcher weder Von Kraft noch Selbstständigkeit mehr die Rede sein kann, und sie ist in der Hauptfrage schon deshalb geneigt, gegen die Union zu stimmen, weil Rußland dieselbe so angelegentlich wünscht. Es ist hier nicht die Absicht, das Verfahren der preußischen, französischen, russischen und sardinischen Gesandtschaft zu vertheidigen. Die europäische Diplomatie war sonst enthaltsamer in dem Gebrauch des letzten friedlichen Zwangsmittels, der Abberufung ihrer Gesandten. Da indeß Oestreich gegen¬ über Sardinien erst vor Kurzem das Beispiel gegeben hat. daß die officielle Abberufung von Gesandten nichts weiter bedeuten könne, alö üble Laune einer Negierung gegen die andere, so hat die östreichische Presse am we¬ nigsten Recht, den diplomatischen Schritt der vier protestirende» Mächte auffallend zu finden. Der rücksichtslose Gebrauch dieses starken Mittels, diplomatische Unzufriedenheit auszudrücken, ist im Allgemeinen ein Symptom, daß bei den unendlich vermehrten CommunicationSmitteln und den dadurch verringerten Entfernungen der Staaten untereinander auch das Institut der Gesandtschaften an Würde und Bedeutung verloren hat. Die Gesandten sind schon längst nicht mehr wie jrüher die Hauptorgane, durch welche eine Re¬ gierung die Verhältnisse anderer Staaten kennen lernt, und sie scheinen auch Greuzbotc». III. 4 8S7. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/329>, abgerufen am 12.12.2024.