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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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230,000 Rubel Silber! -- Auch unser Baron hat einen neben seinem Wald
vorbeifließenden Bach benutzt, um eine Schneidemühle anzulegen und durch
die transportabler" Breter den Ertrag des Waldes vermehren zu können.
Außerdem ist der Wald in Schläge abgetheilt, welche regelmäßig abgetrieben
werden. Die Verwirrung, welche hinsichtlich der Benennung der Nadelhölzer
in Deutschland herrscht, erreicht hier den Gipfel. Die Kiefer oder Föhre heißt
"Tanne"; die Fichte ober Rothtanne nennt man Grähnbaum (wahrscheinlich
niederdeutsch für: "Grünbaum"), die Weißtanne fehlt gänzlich. Dagegen
kommt der Wachholder als halberwachsener Baum vor und der esthnische, oft
treffende Witz nennt deshalb den Halbdeutschen einen Kaddikasar d. h. Wach-
holderdeutschen. Die Birke ist unter allen Waldbäumen der nützlichste für
jene Länder. Sie liefert wegen ihres hellen, intensiven Feuers das beste
Brennholz; aus ihrem Stamme verfertigt der Bauer seine Räder, der Tischler
schöne, genäherte Möbeln; im Frühjahre bohrt die Dorfjugend die jüngeren
Bäume an, um sich an dem reichlich hervorquellenden, süßen Safte zu laben,
und im Sommer biegen die Mädchen die weiße Rinde zu zierlichen Körbchen
zusammen und bringen in ihnen die duftenden Walderdbeeren zum Verkaufe.
Die Buche kommt schon im nördlichen Kurland nicht mehr fort. Die Eschen
und Ulmen sind im Walde seltener, als Erlen, Linden, Espen und Ahorn.
Die Holzpreise sind sehr verschieden, während man schon vor zehn Jahren die
Klaster siebenfüßigen Birkenholzes in der Stadt mit 4 Silberrubeln bezahlte,
kostet sie noch heute in holzreichen Districten an Ort und Stelle nur V4--V2
Rubel.

Auf dem Rückwege unterhält uns der Baron von dem auch in seinem
Forste noch vorkommenden braunen Bären. Freund Petz ist ein großer Lieb¬
haber der Gerste und man schießt ihn deshalb oft aus Hütten, welche man
aus zusammengestellten Gerstengarben auf dem Felde erbaut. Gefährlich bleibt
die Jagd aber immer deshalb, weil der Bär, auch wenn er zum Tode ver¬
wundet ist, stets seinem Feinde kühn entgegentritt. Der Koch des Gutes,
welcher einst im Walde einer Bärin mit zwei Jungen begegnend seine mit
Schrot geladene Flinte auf die Gesellschaft entlud, hätte beinahe diese Toll¬
kühnheit mit dem Leben bezahlen müssen. Die Bärin wendete sich sogleich
gegen ihn und folgte dem auf einen Baum Retirirenden, welcher aber noch so¬
viel Geistesgegenwart besaß, seine Waffe mitzunehmen. In der Angst lud er
einen bleiernen Knopf seines Kittels in die Flinte und erlegte vermittelst des¬
selben das Ungethüm.

In der Rähe des Hauses kommen uns die Kinder mit dem Hauslehrer
entgegen, den wir gestern blos flüchtig begrüßt haben. Bis jetzt waren jene
Länder mit ausländischen Erziehern und Gouvernanten ziemlich reichlich ver¬
sehen, da die gute finanzielle Stellung und die Achtung, in welcher der Ge-


230,000 Rubel Silber! — Auch unser Baron hat einen neben seinem Wald
vorbeifließenden Bach benutzt, um eine Schneidemühle anzulegen und durch
die transportabler» Breter den Ertrag des Waldes vermehren zu können.
Außerdem ist der Wald in Schläge abgetheilt, welche regelmäßig abgetrieben
werden. Die Verwirrung, welche hinsichtlich der Benennung der Nadelhölzer
in Deutschland herrscht, erreicht hier den Gipfel. Die Kiefer oder Föhre heißt
„Tanne"; die Fichte ober Rothtanne nennt man Grähnbaum (wahrscheinlich
niederdeutsch für: „Grünbaum"), die Weißtanne fehlt gänzlich. Dagegen
kommt der Wachholder als halberwachsener Baum vor und der esthnische, oft
treffende Witz nennt deshalb den Halbdeutschen einen Kaddikasar d. h. Wach-
holderdeutschen. Die Birke ist unter allen Waldbäumen der nützlichste für
jene Länder. Sie liefert wegen ihres hellen, intensiven Feuers das beste
Brennholz; aus ihrem Stamme verfertigt der Bauer seine Räder, der Tischler
schöne, genäherte Möbeln; im Frühjahre bohrt die Dorfjugend die jüngeren
Bäume an, um sich an dem reichlich hervorquellenden, süßen Safte zu laben,
und im Sommer biegen die Mädchen die weiße Rinde zu zierlichen Körbchen
zusammen und bringen in ihnen die duftenden Walderdbeeren zum Verkaufe.
Die Buche kommt schon im nördlichen Kurland nicht mehr fort. Die Eschen
und Ulmen sind im Walde seltener, als Erlen, Linden, Espen und Ahorn.
Die Holzpreise sind sehr verschieden, während man schon vor zehn Jahren die
Klaster siebenfüßigen Birkenholzes in der Stadt mit 4 Silberrubeln bezahlte,
kostet sie noch heute in holzreichen Districten an Ort und Stelle nur V4—V2
Rubel.

Auf dem Rückwege unterhält uns der Baron von dem auch in seinem
Forste noch vorkommenden braunen Bären. Freund Petz ist ein großer Lieb¬
haber der Gerste und man schießt ihn deshalb oft aus Hütten, welche man
aus zusammengestellten Gerstengarben auf dem Felde erbaut. Gefährlich bleibt
die Jagd aber immer deshalb, weil der Bär, auch wenn er zum Tode ver¬
wundet ist, stets seinem Feinde kühn entgegentritt. Der Koch des Gutes,
welcher einst im Walde einer Bärin mit zwei Jungen begegnend seine mit
Schrot geladene Flinte auf die Gesellschaft entlud, hätte beinahe diese Toll¬
kühnheit mit dem Leben bezahlen müssen. Die Bärin wendete sich sogleich
gegen ihn und folgte dem auf einen Baum Retirirenden, welcher aber noch so¬
viel Geistesgegenwart besaß, seine Waffe mitzunehmen. In der Angst lud er
einen bleiernen Knopf seines Kittels in die Flinte und erlegte vermittelst des¬
selben das Ungethüm.

In der Rähe des Hauses kommen uns die Kinder mit dem Hauslehrer
entgegen, den wir gestern blos flüchtig begrüßt haben. Bis jetzt waren jene
Länder mit ausländischen Erziehern und Gouvernanten ziemlich reichlich ver¬
sehen, da die gute finanzielle Stellung und die Achtung, in welcher der Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/326>, abgerufen am 12.12.2024.