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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Gelb ist, prangen hier in rosenrothem Schmucke. ES ist die geruchlose priwula
kai'inoss, welche diese Farbe erzeugt und dazwischen steht das wohlriechende
Wiesengoldröslein (trollius europaeug), das als Alpenpflanze bei uns in den
Gärten gezogen wird. Sonst sehen wir viele Wollgräser und sie sowol als
die beiden vorigen Pflanzen sind schon Zeugen der beginnenden Versumpfung,
die hier mit dem Abtreiben der Gebüsche und Bäume schneller zunehmen soll.
Vergebens schauen wir uns noch nach dem gemeinsten der deutschen Wiesen¬
blümchen um: das Maasliebchen oder Tausendschönchen fehlt gänzlich.

Endlich ist der Wald erreicht; unser Wirth zeigt uns denselben mit einiger
Genugthuung, denn er ist einer der wenigen, die einen deutschen Förster (von
den Esthen Metsasar d. h. Walddeutscher genannt) angestellt und einen Anfang
zu rationeller Waldwirthschaft gemacht haben. Er erzählt uns offenherzig,
daß man bis vor wenigen Jahren gar keine Sorgfalt auf die Forste verwendet
habe; man sei eben im Winter bei guter Schlittenbahn hinausgefahren und
habe den Bedarf fürs nächste Jahr geschlagen, ohne Rücksicht auf die Zukunft
zu nehmen. Von Wiederanpflanzung sei gar keine Rede gewesen; das am
höchsten liegende Land habe man ohnehin immer zum Ackerbau benutzt; daher
sei nur daS tiefere und nasse dem Walde geblieben und außerdem habe man
oft die Entwässerungsgräben der Wiesen und Felder grade in die Wälder ge¬
leitet unt dadurch ihre Versumpfung befördert. So kommt es denn wirklich,
daß man vom Spazicrengehn im Walde ohne große Wasserstiefeln überall ab¬
sehen muß und daß man mit Fuhrwerk blos im härtesten Winter in denselben
eindringen kann. Die waldärmsten Gegenden sind das westliche Esthland
und die Gegend um Neval, welche durch den größeren Bedarf der Stadt
und durch die zum Theil nutzlosen Hafenbauten bei Baltischport und
Neval^ entblößt worden sind. Im Osten dagegen gibt eS noch wahre Ur¬
wälder , in denen das Elennthier ungestört grast und das fliegende Eich¬
hörnchen neben dem Luchse nistet, die faulenden Stämme umstürzen und Ver¬
haue bilden, ohne ihre Bestimmung in der Hand des Menschen zu erreichen.
Freilich sind alle diese Vorräthe wenig werth, so lange Land- und Wasser¬
straßen nicht zu ihnen hinführen und so lange der Speculationsgeist nicht seine
Aufmerksamkeit ihnen zuwendet. So eristirt in Esthland das Gut Onorm.
Dasselbe ist rings von Morast umgeben, so daß man in drei Viertheilen des
JahreS nur zu Pferde hingelangen kann; deS Ackerbau fähigen Landes kaun
es auch nicht viel enthalten, denn es ist in der "Landrolle" nur mit
63 "Revisionsseelen" verzeichnet; aber der Wald war vortrefflich und dem Be¬
sitzer kostete er fast nichts, da er das Gut sür eine geringe Summe über¬
nommen hatte. Da besah sich vor fünf Jahren ein Petersburger Speculant
diese Oase, fand, daß der Bach des Gutes der Narova zuströmte und
um Frühjahre zum Flößen benutzt werden könnte, und kaufte den Wald für


Gelb ist, prangen hier in rosenrothem Schmucke. ES ist die geruchlose priwula
kai'inoss, welche diese Farbe erzeugt und dazwischen steht das wohlriechende
Wiesengoldröslein (trollius europaeug), das als Alpenpflanze bei uns in den
Gärten gezogen wird. Sonst sehen wir viele Wollgräser und sie sowol als
die beiden vorigen Pflanzen sind schon Zeugen der beginnenden Versumpfung,
die hier mit dem Abtreiben der Gebüsche und Bäume schneller zunehmen soll.
Vergebens schauen wir uns noch nach dem gemeinsten der deutschen Wiesen¬
blümchen um: das Maasliebchen oder Tausendschönchen fehlt gänzlich.

Endlich ist der Wald erreicht; unser Wirth zeigt uns denselben mit einiger
Genugthuung, denn er ist einer der wenigen, die einen deutschen Förster (von
den Esthen Metsasar d. h. Walddeutscher genannt) angestellt und einen Anfang
zu rationeller Waldwirthschaft gemacht haben. Er erzählt uns offenherzig,
daß man bis vor wenigen Jahren gar keine Sorgfalt auf die Forste verwendet
habe; man sei eben im Winter bei guter Schlittenbahn hinausgefahren und
habe den Bedarf fürs nächste Jahr geschlagen, ohne Rücksicht auf die Zukunft
zu nehmen. Von Wiederanpflanzung sei gar keine Rede gewesen; das am
höchsten liegende Land habe man ohnehin immer zum Ackerbau benutzt; daher
sei nur daS tiefere und nasse dem Walde geblieben und außerdem habe man
oft die Entwässerungsgräben der Wiesen und Felder grade in die Wälder ge¬
leitet unt dadurch ihre Versumpfung befördert. So kommt es denn wirklich,
daß man vom Spazicrengehn im Walde ohne große Wasserstiefeln überall ab¬
sehen muß und daß man mit Fuhrwerk blos im härtesten Winter in denselben
eindringen kann. Die waldärmsten Gegenden sind das westliche Esthland
und die Gegend um Neval, welche durch den größeren Bedarf der Stadt
und durch die zum Theil nutzlosen Hafenbauten bei Baltischport und
Neval^ entblößt worden sind. Im Osten dagegen gibt eS noch wahre Ur¬
wälder , in denen das Elennthier ungestört grast und das fliegende Eich¬
hörnchen neben dem Luchse nistet, die faulenden Stämme umstürzen und Ver¬
haue bilden, ohne ihre Bestimmung in der Hand des Menschen zu erreichen.
Freilich sind alle diese Vorräthe wenig werth, so lange Land- und Wasser¬
straßen nicht zu ihnen hinführen und so lange der Speculationsgeist nicht seine
Aufmerksamkeit ihnen zuwendet. So eristirt in Esthland das Gut Onorm.
Dasselbe ist rings von Morast umgeben, so daß man in drei Viertheilen des
JahreS nur zu Pferde hingelangen kann; deS Ackerbau fähigen Landes kaun
es auch nicht viel enthalten, denn es ist in der „Landrolle" nur mit
63 „Revisionsseelen" verzeichnet; aber der Wald war vortrefflich und dem Be¬
sitzer kostete er fast nichts, da er das Gut sür eine geringe Summe über¬
nommen hatte. Da besah sich vor fünf Jahren ein Petersburger Speculant
diese Oase, fand, daß der Bach des Gutes der Narova zuströmte und
um Frühjahre zum Flößen benutzt werden könnte, und kaufte den Wald für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/325>, abgerufen am 22.07.2024.