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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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quem den gravitätischen Kranich herumspazieren sehen oder auf wilde Enten
und Kiebitze schießen. Von der Linde wächst hier blos die kleinblättrige Art,
die Eiche kommt wol fort, wird aber leider zu wenig gepflanzt. Daß sie mit
diesem Klima vorlieb nimmt, bezeugt die aus dem Gute Salt in Esthland
stehende Riesin, welche angeblich der Heermeister Walther von Plettenberg,
ein Zeitgenosse Luthers, gepflanzt haben soll. -- Treibhäuser findet man nicht
selten auf den Gütern, doch fehlt eS sehr an tüchtig gebildeten Gärtnern. Bei
den Esthen und Letten herrscht gar keine Neigung zum Gartenbau, und es trägt
viel dazu bei, den Übeln Eindruck der Dörfer zu steigern, daß sich selten an
den Gesinden ein ordentliches Gärtchen befindet, gewöhnlich sieht man in der
Verzäunung nichts als einige Kohlstrünke und wenige Hans- und Hopfen-
Pflanzen.

Ehe die Mittagsstunde näher rückt, erfüllt der Baron sein gestern gegebnes
Versprechen, uns in Feld und Wald noch etwas zu orientiren. Auf einer
leichten Droschke treten wir unsre Entdeckungsreise an und steigen zuerst bei
der Riege und Klenke ab. Die "Riege" entspricht unsern Scheunen, inso¬
fern sie die Tenne enthält; aber auch el" mächtiger Ofen befindet sich darin
und über der Tenne die zum Trocknen des Getreides nöthigen Querstangen.
Das künstliche Dörren der Körnerfrüchte ist hier eine durch die Ungunst des
Klimas gebotene Naturnothwendigkeit, denn das Auswachsen und Faulen der
Aehren auf dem Felde wird dadurch umgangen. Allein diese Maßregel erfordert
natürlich einen großen Holzaufwand und was der Regen verschont hat, frißt
bisweilen das durch die Gefährlichkeit der Heizung und die Indolenz der
Knechte begünstigte Feuer. -- Das Auffälligste für jeden, der den Felder-
compler eines Gutes betritt, ist die vollständige Umzäunung desselben, welche
auch die Bauern bei ihren kleinen Aeckern und Heuschlägen nachmachen. Be¬
stände dieselbe aus lebendigen Hecken oder Steinwällen, so würde man sich
weniger wundern, als über die heillose Holzvergeudung, welche Zäune herbei¬
führen, die aus 4--seiligen, schrägliegender Holzstücken, welche dann wieder in
kurzen Zwischenräumen an senkrechte Pfähle angebunden sind, construirt wer¬
den. Außerdem sind auch die Wege durch Pforten gesperrt, überall wo
ein Zaun die Grenze eines Gebietes bezeichnet, und der Reisende führt stets
auf einer längeren Fahrt ein Säckchen Kupfergeld bei sich, um die Gefälligkeit
zu belohnen, mit der an den Pforten hockende Weiber oder Kinder.sich
beeilen ihm zu öffnen. Fv.igt man nach der Nothwendigkeit dieser hölzer¬
nen Mauern, deren Dasein übrigens von Harthausen bei allen tschudischen
Völker in Nußland nachgewiesen hat, so liegt ihr Grund in einer sonderbaren
Unvollkommenheit der Rechtsbegriffe. In andern Ländern heißt es: "Hüte
Dein Viel), oder trage den durch dasselbe angerichteten Schaden!" Hier lautet
der Rechtsgrundsatz: "Hüte Dein Grundstück, damit das Vieh keinen Schaden


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quem den gravitätischen Kranich herumspazieren sehen oder auf wilde Enten
und Kiebitze schießen. Von der Linde wächst hier blos die kleinblättrige Art,
die Eiche kommt wol fort, wird aber leider zu wenig gepflanzt. Daß sie mit
diesem Klima vorlieb nimmt, bezeugt die aus dem Gute Salt in Esthland
stehende Riesin, welche angeblich der Heermeister Walther von Plettenberg,
ein Zeitgenosse Luthers, gepflanzt haben soll. — Treibhäuser findet man nicht
selten auf den Gütern, doch fehlt eS sehr an tüchtig gebildeten Gärtnern. Bei
den Esthen und Letten herrscht gar keine Neigung zum Gartenbau, und es trägt
viel dazu bei, den Übeln Eindruck der Dörfer zu steigern, daß sich selten an
den Gesinden ein ordentliches Gärtchen befindet, gewöhnlich sieht man in der
Verzäunung nichts als einige Kohlstrünke und wenige Hans- und Hopfen-
Pflanzen.

Ehe die Mittagsstunde näher rückt, erfüllt der Baron sein gestern gegebnes
Versprechen, uns in Feld und Wald noch etwas zu orientiren. Auf einer
leichten Droschke treten wir unsre Entdeckungsreise an und steigen zuerst bei
der Riege und Klenke ab. Die „Riege" entspricht unsern Scheunen, inso¬
fern sie die Tenne enthält; aber auch el» mächtiger Ofen befindet sich darin
und über der Tenne die zum Trocknen des Getreides nöthigen Querstangen.
Das künstliche Dörren der Körnerfrüchte ist hier eine durch die Ungunst des
Klimas gebotene Naturnothwendigkeit, denn das Auswachsen und Faulen der
Aehren auf dem Felde wird dadurch umgangen. Allein diese Maßregel erfordert
natürlich einen großen Holzaufwand und was der Regen verschont hat, frißt
bisweilen das durch die Gefährlichkeit der Heizung und die Indolenz der
Knechte begünstigte Feuer. — Das Auffälligste für jeden, der den Felder-
compler eines Gutes betritt, ist die vollständige Umzäunung desselben, welche
auch die Bauern bei ihren kleinen Aeckern und Heuschlägen nachmachen. Be¬
stände dieselbe aus lebendigen Hecken oder Steinwällen, so würde man sich
weniger wundern, als über die heillose Holzvergeudung, welche Zäune herbei¬
führen, die aus 4—seiligen, schrägliegender Holzstücken, welche dann wieder in
kurzen Zwischenräumen an senkrechte Pfähle angebunden sind, construirt wer¬
den. Außerdem sind auch die Wege durch Pforten gesperrt, überall wo
ein Zaun die Grenze eines Gebietes bezeichnet, und der Reisende führt stets
auf einer längeren Fahrt ein Säckchen Kupfergeld bei sich, um die Gefälligkeit
zu belohnen, mit der an den Pforten hockende Weiber oder Kinder.sich
beeilen ihm zu öffnen. Fv.igt man nach der Nothwendigkeit dieser hölzer¬
nen Mauern, deren Dasein übrigens von Harthausen bei allen tschudischen
Völker in Nußland nachgewiesen hat, so liegt ihr Grund in einer sonderbaren
Unvollkommenheit der Rechtsbegriffe. In andern Ländern heißt es: „Hüte
Dein Viel), oder trage den durch dasselbe angerichteten Schaden!" Hier lautet
der Rechtsgrundsatz: „Hüte Dein Grundstück, damit das Vieh keinen Schaden


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[0323] quem den gravitätischen Kranich herumspazieren sehen oder auf wilde Enten und Kiebitze schießen. Von der Linde wächst hier blos die kleinblättrige Art, die Eiche kommt wol fort, wird aber leider zu wenig gepflanzt. Daß sie mit diesem Klima vorlieb nimmt, bezeugt die aus dem Gute Salt in Esthland stehende Riesin, welche angeblich der Heermeister Walther von Plettenberg, ein Zeitgenosse Luthers, gepflanzt haben soll. — Treibhäuser findet man nicht selten auf den Gütern, doch fehlt eS sehr an tüchtig gebildeten Gärtnern. Bei den Esthen und Letten herrscht gar keine Neigung zum Gartenbau, und es trägt viel dazu bei, den Übeln Eindruck der Dörfer zu steigern, daß sich selten an den Gesinden ein ordentliches Gärtchen befindet, gewöhnlich sieht man in der Verzäunung nichts als einige Kohlstrünke und wenige Hans- und Hopfen- Pflanzen. Ehe die Mittagsstunde näher rückt, erfüllt der Baron sein gestern gegebnes Versprechen, uns in Feld und Wald noch etwas zu orientiren. Auf einer leichten Droschke treten wir unsre Entdeckungsreise an und steigen zuerst bei der Riege und Klenke ab. Die „Riege" entspricht unsern Scheunen, inso¬ fern sie die Tenne enthält; aber auch el» mächtiger Ofen befindet sich darin und über der Tenne die zum Trocknen des Getreides nöthigen Querstangen. Das künstliche Dörren der Körnerfrüchte ist hier eine durch die Ungunst des Klimas gebotene Naturnothwendigkeit, denn das Auswachsen und Faulen der Aehren auf dem Felde wird dadurch umgangen. Allein diese Maßregel erfordert natürlich einen großen Holzaufwand und was der Regen verschont hat, frißt bisweilen das durch die Gefährlichkeit der Heizung und die Indolenz der Knechte begünstigte Feuer. — Das Auffälligste für jeden, der den Felder- compler eines Gutes betritt, ist die vollständige Umzäunung desselben, welche auch die Bauern bei ihren kleinen Aeckern und Heuschlägen nachmachen. Be¬ stände dieselbe aus lebendigen Hecken oder Steinwällen, so würde man sich weniger wundern, als über die heillose Holzvergeudung, welche Zäune herbei¬ führen, die aus 4—seiligen, schrägliegender Holzstücken, welche dann wieder in kurzen Zwischenräumen an senkrechte Pfähle angebunden sind, construirt wer¬ den. Außerdem sind auch die Wege durch Pforten gesperrt, überall wo ein Zaun die Grenze eines Gebietes bezeichnet, und der Reisende führt stets auf einer längeren Fahrt ein Säckchen Kupfergeld bei sich, um die Gefälligkeit zu belohnen, mit der an den Pforten hockende Weiber oder Kinder.sich beeilen ihm zu öffnen. Fv.igt man nach der Nothwendigkeit dieser hölzer¬ nen Mauern, deren Dasein übrigens von Harthausen bei allen tschudischen Völker in Nußland nachgewiesen hat, so liegt ihr Grund in einer sonderbaren Unvollkommenheit der Rechtsbegriffe. In andern Ländern heißt es: „Hüte Dein Viel), oder trage den durch dasselbe angerichteten Schaden!" Hier lautet der Rechtsgrundsatz: „Hüte Dein Grundstück, damit das Vieh keinen Schaden 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/323>, abgerufen am 24.08.2024.