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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Wachtelkönigs zu uns herüber tönt. Den nie fehlenden Hintergrund bildet
ein dunkler Föhrenwald; aber die eigenthümliche Beleuchtung der Landschaft,
die nur durch einzelne Vogelstimmen unterbrochene feierliche Stille, der Wohl¬
geruch, welcher von Birken, Pappeln und Blüten uns zuströmt, lassen uns
den Breitegrad vergessen, in welchem wir uns befinden. DaS Gegenstück
zu einem solchen Sommerabend bildet eine Reise in der Winternacht durch
einen Birkenwald, wenn mehre starke Reife die Aeste fingerdick candirt haben
und der ganze Forst, vom Monde magisch beschienen, wie ein Gewebe aus
riesigen Glasfäden licht funkelt.

Am Morgen besuchen wir den Garten. Unter den Gemüsen und Blumen
treffen wir lauter alle Bekannte; besonders scheint man eine Vorliebe für
Levkojen, Malven, Centifolien und Georginen zu haben. Letztere sind freilich
in diesem Himmelsstriche großer Gefahr ausgesetzt und gedeihen nur an ge¬
schützten Orten. Von den in neuerer Zeit in Deutschland eingeführten Blumen
erblicken wir wenig ober nichts: sie machen langsam den Weg hierher, so wie
viele andere Culturpflanzen, die Kartoffel nicht ausgenommen, die noch vor
30 Jahren selten im Großen und auf freiem Felde gebaut wurde. Von Obst¬
bäumen beherbergt der Garten nur Aepfel- und Sauerkirschbäume; rostfarbige
Flechten, welche fast alle Aeste überziehen, geben aber den Bäumen ein krank¬
haftes Ansehen und erinnern daran, daß wir uns hart an der Grenze des
Obstbaues befinden. Dennoch geoeihen die Früchte der härteren Sorten aus¬
gezeichnet, besonders der sogenannte "klare" Apfel, dessen Zellengewebe im
Herbste, vielleicht durch den bedeutenden Temperaturunterschied zwischen Tag
und Nacht, ganz saftig und durchsichtig wird. Ich erinnere mich eines Edel¬
mannes, der zur Zeit der Reife regelmäßig von Clairvoyance befallen wurde
und dann, dem innern Aerger seines russischen Obstpächterö zum Trotze, sich
die besten "Klaren" herabholte. Birnen gedeihen blos zwischen den Häusern
der Städte und an Spalieren; Morellen werden nur in Treibhäusern ge¬
zogen und die größeren Pflaumenarten vertragen das Klima ebensowenig wie
selbst die gemeine Schiebe. Dagegen wuchern Himbeeren, Stachel- und
Johannisbeeren üppig und ohne' Pflege; die wegen ihres aromatischen Wohl¬
geschmacks berühmte "Mänura" (Zwerghimbeere, rubus arotieus) wächst nur
wild, am häufigsten in Finnland, seltner in Esthland und im nördlichen Liv-
land. Einen besondern Schmuck des Gartens bilden die jetzt in voller Blüte
stehenden, großen Faulbeerbäume (maurus trarixula), deren weiße Blüten¬
büschel einigen Ersatz für die fehlenden edleren Obstblüten gewähren. Mit
kluger Berechnung hat der Besitzer seinen Garten auf der einen Seite durch
eine Linden- und Eichenallee geschlossen; denn dort beginnt gleich hinter der
Hecke der schwammige Morast, die Heimath saurer Nindgräser, der Moos-
und Sumpfbeeren und krüppelhaften Erlen, und von dort aus kann man be-


Wachtelkönigs zu uns herüber tönt. Den nie fehlenden Hintergrund bildet
ein dunkler Föhrenwald; aber die eigenthümliche Beleuchtung der Landschaft,
die nur durch einzelne Vogelstimmen unterbrochene feierliche Stille, der Wohl¬
geruch, welcher von Birken, Pappeln und Blüten uns zuströmt, lassen uns
den Breitegrad vergessen, in welchem wir uns befinden. DaS Gegenstück
zu einem solchen Sommerabend bildet eine Reise in der Winternacht durch
einen Birkenwald, wenn mehre starke Reife die Aeste fingerdick candirt haben
und der ganze Forst, vom Monde magisch beschienen, wie ein Gewebe aus
riesigen Glasfäden licht funkelt.

Am Morgen besuchen wir den Garten. Unter den Gemüsen und Blumen
treffen wir lauter alle Bekannte; besonders scheint man eine Vorliebe für
Levkojen, Malven, Centifolien und Georginen zu haben. Letztere sind freilich
in diesem Himmelsstriche großer Gefahr ausgesetzt und gedeihen nur an ge¬
schützten Orten. Von den in neuerer Zeit in Deutschland eingeführten Blumen
erblicken wir wenig ober nichts: sie machen langsam den Weg hierher, so wie
viele andere Culturpflanzen, die Kartoffel nicht ausgenommen, die noch vor
30 Jahren selten im Großen und auf freiem Felde gebaut wurde. Von Obst¬
bäumen beherbergt der Garten nur Aepfel- und Sauerkirschbäume; rostfarbige
Flechten, welche fast alle Aeste überziehen, geben aber den Bäumen ein krank¬
haftes Ansehen und erinnern daran, daß wir uns hart an der Grenze des
Obstbaues befinden. Dennoch geoeihen die Früchte der härteren Sorten aus¬
gezeichnet, besonders der sogenannte „klare" Apfel, dessen Zellengewebe im
Herbste, vielleicht durch den bedeutenden Temperaturunterschied zwischen Tag
und Nacht, ganz saftig und durchsichtig wird. Ich erinnere mich eines Edel¬
mannes, der zur Zeit der Reife regelmäßig von Clairvoyance befallen wurde
und dann, dem innern Aerger seines russischen Obstpächterö zum Trotze, sich
die besten „Klaren" herabholte. Birnen gedeihen blos zwischen den Häusern
der Städte und an Spalieren; Morellen werden nur in Treibhäusern ge¬
zogen und die größeren Pflaumenarten vertragen das Klima ebensowenig wie
selbst die gemeine Schiebe. Dagegen wuchern Himbeeren, Stachel- und
Johannisbeeren üppig und ohne' Pflege; die wegen ihres aromatischen Wohl¬
geschmacks berühmte „Mänura" (Zwerghimbeere, rubus arotieus) wächst nur
wild, am häufigsten in Finnland, seltner in Esthland und im nördlichen Liv-
land. Einen besondern Schmuck des Gartens bilden die jetzt in voller Blüte
stehenden, großen Faulbeerbäume (maurus trarixula), deren weiße Blüten¬
büschel einigen Ersatz für die fehlenden edleren Obstblüten gewähren. Mit
kluger Berechnung hat der Besitzer seinen Garten auf der einen Seite durch
eine Linden- und Eichenallee geschlossen; denn dort beginnt gleich hinter der
Hecke der schwammige Morast, die Heimath saurer Nindgräser, der Moos-
und Sumpfbeeren und krüppelhaften Erlen, und von dort aus kann man be-


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[0322] Wachtelkönigs zu uns herüber tönt. Den nie fehlenden Hintergrund bildet ein dunkler Föhrenwald; aber die eigenthümliche Beleuchtung der Landschaft, die nur durch einzelne Vogelstimmen unterbrochene feierliche Stille, der Wohl¬ geruch, welcher von Birken, Pappeln und Blüten uns zuströmt, lassen uns den Breitegrad vergessen, in welchem wir uns befinden. DaS Gegenstück zu einem solchen Sommerabend bildet eine Reise in der Winternacht durch einen Birkenwald, wenn mehre starke Reife die Aeste fingerdick candirt haben und der ganze Forst, vom Monde magisch beschienen, wie ein Gewebe aus riesigen Glasfäden licht funkelt. Am Morgen besuchen wir den Garten. Unter den Gemüsen und Blumen treffen wir lauter alle Bekannte; besonders scheint man eine Vorliebe für Levkojen, Malven, Centifolien und Georginen zu haben. Letztere sind freilich in diesem Himmelsstriche großer Gefahr ausgesetzt und gedeihen nur an ge¬ schützten Orten. Von den in neuerer Zeit in Deutschland eingeführten Blumen erblicken wir wenig ober nichts: sie machen langsam den Weg hierher, so wie viele andere Culturpflanzen, die Kartoffel nicht ausgenommen, die noch vor 30 Jahren selten im Großen und auf freiem Felde gebaut wurde. Von Obst¬ bäumen beherbergt der Garten nur Aepfel- und Sauerkirschbäume; rostfarbige Flechten, welche fast alle Aeste überziehen, geben aber den Bäumen ein krank¬ haftes Ansehen und erinnern daran, daß wir uns hart an der Grenze des Obstbaues befinden. Dennoch geoeihen die Früchte der härteren Sorten aus¬ gezeichnet, besonders der sogenannte „klare" Apfel, dessen Zellengewebe im Herbste, vielleicht durch den bedeutenden Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht, ganz saftig und durchsichtig wird. Ich erinnere mich eines Edel¬ mannes, der zur Zeit der Reife regelmäßig von Clairvoyance befallen wurde und dann, dem innern Aerger seines russischen Obstpächterö zum Trotze, sich die besten „Klaren" herabholte. Birnen gedeihen blos zwischen den Häusern der Städte und an Spalieren; Morellen werden nur in Treibhäusern ge¬ zogen und die größeren Pflaumenarten vertragen das Klima ebensowenig wie selbst die gemeine Schiebe. Dagegen wuchern Himbeeren, Stachel- und Johannisbeeren üppig und ohne' Pflege; die wegen ihres aromatischen Wohl¬ geschmacks berühmte „Mänura" (Zwerghimbeere, rubus arotieus) wächst nur wild, am häufigsten in Finnland, seltner in Esthland und im nördlichen Liv- land. Einen besondern Schmuck des Gartens bilden die jetzt in voller Blüte stehenden, großen Faulbeerbäume (maurus trarixula), deren weiße Blüten¬ büschel einigen Ersatz für die fehlenden edleren Obstblüten gewähren. Mit kluger Berechnung hat der Besitzer seinen Garten auf der einen Seite durch eine Linden- und Eichenallee geschlossen; denn dort beginnt gleich hinter der Hecke der schwammige Morast, die Heimath saurer Nindgräser, der Moos- und Sumpfbeeren und krüppelhaften Erlen, und von dort aus kann man be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/322>, abgerufen am 23.07.2024.