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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Allein größere Jagden werden nicht angestellt, von den russischen Grenzen
laufen die Graupelze immer wieder herüber und blos der herrschaftliche Kutscher,
der im Winter mit nationaler Geduld aus sicherem Stalle neben dem im
Schnee vergrabenen Köder lauert, und zum Schusse kommt, und der Bauer,
der im Sommer zufällig im Walde auf ein Nest junger Wölfe stößt und sie
mit Lebensgefahr heimträgt, um ihnen die Ohren abzuschneiden, die als An¬
weisung auf einen Silberrubel gelten, oder der die Alten im Winter mit ver¬
giftetem Aase bethört, tragen etwas zur Verminderung bei. Gefährlich sind
sie übrigens dem Reisenden nicht, und blos im Februar, wo sie sich truppweise
zusammenfinden, begegnet man ihnen nicht gern, weil sie manchmal so un¬
höflich sind, dem klingelnden Schlitten nicht auszuweichen. --

Wir wenden uns zu den andern großen Stallgebäuden, in denen das
Hornvieh und die Pferde untergebracht sind. Ersteres ist ebenfalls von kleiner,
aber starkknochiger Race. Seine Unterhaltung erfordert einen sehr großen
Futtervorrath für den Winter und man muß sich deshalb wundern, daß man
hier so spät die Cultur der^Futterpflanzen angenommen hat. Die Heuschläge
(Wiesen nach unserem Begriffe gibt es hier gar nicht) sind zwar ungeheuer
ausgedehnt, geben aber nur einmal eine Grasernte. Die Weiden sind meist
sumpfig und sauer und verführen die Oechslein nicht zur Gourmandise. Werden
letztere im Spätherbste eingesperrt, so schneidet man ihnen sehr viel Häcksel
unter das Futter, und am Ende ist es wahr, was unser Baron lachend er¬
zählt, daß in manchen Gegenden nach Verlauf des langen Winters daS Vieh
auf Schlitten auf die Weide geschleift werden muß, bis eS wieder, durch die
frische Luft und den Geruch der keimenden Kräuter gekräftigt, zum Gebrauch
seiner Füße gelangt. Seltsam kommt es einem Fremden vor, wenn er vor
dem Anfange deö Lenzes in einen Stall geführt wird und plötzlich die Rinder
nicht vor, sondern hoch über sich erblickt: der Dünger bleibt den ganzen Win¬
ter über im Stalle liegen und durch die immer erneuerte Streu kommt daS
Vieh endlich auf einen Berg zu stehen! An Milchertrag stehen die Kühe tief
unter den ausländischen, doch ist die Milch von ausgezeichneter Güte. -- Die
Pferdezucht ist noch im Zustande der Kindheit; eS gibt keine öffentlichen Stu¬
tereien und die vom Adel ohne besondere Sorgfalt auferzogenen Thiere sind
meist nur mittelmäßigen Schlages. Das Bauernpferd, klein, unschön und
Plump, ist zwar dauerhaft, kann aber mit den kleinen russischen Steppenpferden
weder an Temperament noch an Sehnenstärke wetteifern.

Wir werden indeß zu Tisch gerufen und kehren inS Haus zurück. Bevor
wir uns setzen, wird die sogenannte "Vorkost" herumgereicht: Käse, Häring
oder Wurst mit Brot. Der Anblick einer Liqucurfwsche mahnt an die Vor-
Urtheile, welche man in Deutschland von der Neigung der Bewohner auch
dieses Theils vom heiligen Rußland zu gebrannten Wassern hegt. Früher


Allein größere Jagden werden nicht angestellt, von den russischen Grenzen
laufen die Graupelze immer wieder herüber und blos der herrschaftliche Kutscher,
der im Winter mit nationaler Geduld aus sicherem Stalle neben dem im
Schnee vergrabenen Köder lauert, und zum Schusse kommt, und der Bauer,
der im Sommer zufällig im Walde auf ein Nest junger Wölfe stößt und sie
mit Lebensgefahr heimträgt, um ihnen die Ohren abzuschneiden, die als An¬
weisung auf einen Silberrubel gelten, oder der die Alten im Winter mit ver¬
giftetem Aase bethört, tragen etwas zur Verminderung bei. Gefährlich sind
sie übrigens dem Reisenden nicht, und blos im Februar, wo sie sich truppweise
zusammenfinden, begegnet man ihnen nicht gern, weil sie manchmal so un¬
höflich sind, dem klingelnden Schlitten nicht auszuweichen. —

Wir wenden uns zu den andern großen Stallgebäuden, in denen das
Hornvieh und die Pferde untergebracht sind. Ersteres ist ebenfalls von kleiner,
aber starkknochiger Race. Seine Unterhaltung erfordert einen sehr großen
Futtervorrath für den Winter und man muß sich deshalb wundern, daß man
hier so spät die Cultur der^Futterpflanzen angenommen hat. Die Heuschläge
(Wiesen nach unserem Begriffe gibt es hier gar nicht) sind zwar ungeheuer
ausgedehnt, geben aber nur einmal eine Grasernte. Die Weiden sind meist
sumpfig und sauer und verführen die Oechslein nicht zur Gourmandise. Werden
letztere im Spätherbste eingesperrt, so schneidet man ihnen sehr viel Häcksel
unter das Futter, und am Ende ist es wahr, was unser Baron lachend er¬
zählt, daß in manchen Gegenden nach Verlauf des langen Winters daS Vieh
auf Schlitten auf die Weide geschleift werden muß, bis eS wieder, durch die
frische Luft und den Geruch der keimenden Kräuter gekräftigt, zum Gebrauch
seiner Füße gelangt. Seltsam kommt es einem Fremden vor, wenn er vor
dem Anfange deö Lenzes in einen Stall geführt wird und plötzlich die Rinder
nicht vor, sondern hoch über sich erblickt: der Dünger bleibt den ganzen Win¬
ter über im Stalle liegen und durch die immer erneuerte Streu kommt daS
Vieh endlich auf einen Berg zu stehen! An Milchertrag stehen die Kühe tief
unter den ausländischen, doch ist die Milch von ausgezeichneter Güte. — Die
Pferdezucht ist noch im Zustande der Kindheit; eS gibt keine öffentlichen Stu¬
tereien und die vom Adel ohne besondere Sorgfalt auferzogenen Thiere sind
meist nur mittelmäßigen Schlages. Das Bauernpferd, klein, unschön und
Plump, ist zwar dauerhaft, kann aber mit den kleinen russischen Steppenpferden
weder an Temperament noch an Sehnenstärke wetteifern.

Wir werden indeß zu Tisch gerufen und kehren inS Haus zurück. Bevor
wir uns setzen, wird die sogenannte „Vorkost" herumgereicht: Käse, Häring
oder Wurst mit Brot. Der Anblick einer Liqucurfwsche mahnt an die Vor-
Urtheile, welche man in Deutschland von der Neigung der Bewohner auch
dieses Theils vom heiligen Rußland zu gebrannten Wassern hegt. Früher


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[0319] Allein größere Jagden werden nicht angestellt, von den russischen Grenzen laufen die Graupelze immer wieder herüber und blos der herrschaftliche Kutscher, der im Winter mit nationaler Geduld aus sicherem Stalle neben dem im Schnee vergrabenen Köder lauert, und zum Schusse kommt, und der Bauer, der im Sommer zufällig im Walde auf ein Nest junger Wölfe stößt und sie mit Lebensgefahr heimträgt, um ihnen die Ohren abzuschneiden, die als An¬ weisung auf einen Silberrubel gelten, oder der die Alten im Winter mit ver¬ giftetem Aase bethört, tragen etwas zur Verminderung bei. Gefährlich sind sie übrigens dem Reisenden nicht, und blos im Februar, wo sie sich truppweise zusammenfinden, begegnet man ihnen nicht gern, weil sie manchmal so un¬ höflich sind, dem klingelnden Schlitten nicht auszuweichen. — Wir wenden uns zu den andern großen Stallgebäuden, in denen das Hornvieh und die Pferde untergebracht sind. Ersteres ist ebenfalls von kleiner, aber starkknochiger Race. Seine Unterhaltung erfordert einen sehr großen Futtervorrath für den Winter und man muß sich deshalb wundern, daß man hier so spät die Cultur der^Futterpflanzen angenommen hat. Die Heuschläge (Wiesen nach unserem Begriffe gibt es hier gar nicht) sind zwar ungeheuer ausgedehnt, geben aber nur einmal eine Grasernte. Die Weiden sind meist sumpfig und sauer und verführen die Oechslein nicht zur Gourmandise. Werden letztere im Spätherbste eingesperrt, so schneidet man ihnen sehr viel Häcksel unter das Futter, und am Ende ist es wahr, was unser Baron lachend er¬ zählt, daß in manchen Gegenden nach Verlauf des langen Winters daS Vieh auf Schlitten auf die Weide geschleift werden muß, bis eS wieder, durch die frische Luft und den Geruch der keimenden Kräuter gekräftigt, zum Gebrauch seiner Füße gelangt. Seltsam kommt es einem Fremden vor, wenn er vor dem Anfange deö Lenzes in einen Stall geführt wird und plötzlich die Rinder nicht vor, sondern hoch über sich erblickt: der Dünger bleibt den ganzen Win¬ ter über im Stalle liegen und durch die immer erneuerte Streu kommt daS Vieh endlich auf einen Berg zu stehen! An Milchertrag stehen die Kühe tief unter den ausländischen, doch ist die Milch von ausgezeichneter Güte. — Die Pferdezucht ist noch im Zustande der Kindheit; eS gibt keine öffentlichen Stu¬ tereien und die vom Adel ohne besondere Sorgfalt auferzogenen Thiere sind meist nur mittelmäßigen Schlages. Das Bauernpferd, klein, unschön und Plump, ist zwar dauerhaft, kann aber mit den kleinen russischen Steppenpferden weder an Temperament noch an Sehnenstärke wetteifern. Wir werden indeß zu Tisch gerufen und kehren inS Haus zurück. Bevor wir uns setzen, wird die sogenannte „Vorkost" herumgereicht: Käse, Häring oder Wurst mit Brot. Der Anblick einer Liqucurfwsche mahnt an die Vor- Urtheile, welche man in Deutschland von der Neigung der Bewohner auch dieses Theils vom heiligen Rußland zu gebrannten Wassern hegt. Früher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/319>, abgerufen am 12.12.2024.