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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Wohnsitze thun können. Fast überall beschränkt man sich auf einen Garten
hinter dem Hause, und nur selten trifft man auf Parkanlagen.

Treten wir in das Haus, so werden wir vom Baron mit leutseliger Zu¬
vorkommenheit, von der Hausfrau mit gemessener, aber freundlicher Höflichkeit
empfangen und in den "Saal" geführt. So heißt das Gesellschaftszimmer,
ohne grade immer durch seine Größe Anspruch auf jenen Namen machen zu
können. Er ist gewöhnlich weiß, selten mit Stuccaturarbeit geziert; auch die
übrigen Zimmer sind bis in die neuere Zeit fast überall ohne Tapeten und
Malerei gebliebe". Dazu kommt, daß sie, mit Ausnahme der Schlafgemächer
alle offen stehen und dadurch wol im Winter den Vortheil gleichmäßiger Er¬
wärmung und Raum zu einem Stubenspaziergang bei schlechter Witterung
gewähren, aber auch vor dem Lärm der jungen Generation keinen Schutz bie¬
ten, überhaupt das Gefühl des ungestörten Alleinseins nicht aufkommen lassen.
Aus das Meublement wendet man nicht viel; es ist meist ein buntes Gemisch
von Roccoco und Modernen: neben dem neuen Piano steht die seit des Gro߬
vaters Zeit hier eingewöhnte englische Wanduhr, und kaum können wir uns
des Lächelns enthalten, wenn wir es uns in den bequemen Petersburger Lehn¬
stühlen wohl sein lassen, während die Damen der unterdessen angelangten Ge¬
sellschaft genöthigt werden, auf dem Ehrenplatze, dem harten, mit Wachstuch
überzogenen Divan Platz zu nehmen. Recht zweckmäßig sind aber jedenfalls
die bekannten, großen Oesen, welche, meist mehre Zimmer zugleich beizend, eine
Gleichmäßigkeit der Temperatur bewirken, die wir in Mittel- und Süddeutsch¬
land gar nicht kennen. Freilich sind sie erstaunliche Holzverwüster, und wenn man
ihren Bedarf mit der Abnahme der Wälder vergleicht, dann glaubt man den
Klagen der Städter über die Höhe dieser Ausgabe im Wirthschaftsetat und zweifelt
gelinde an der Ewigkeit dieser HeizungSart en xros. -- Das Erscheinen der Thee¬
maschine macht unsern Betrachtungen ein Ende und zwingt uns, an der Un¬
terhaltung Theil zu nehmen. Sie dreht sich bei den Männern um Landwirth¬
schaft und Politik, Kartoffelfäule und Getreidepreise. Es sind eben lauter
Producenten und selbst der Städter, welcher das Brot kaufen muß, fühlt eine
Geldklemme des Adels empfindlicher, als einen Ausschlag der ohnehin wohl¬
feilen Lebensmittel. Da jedoch die meisten Producte crportirt werden müssen
und die Ausfuhr ins eigentliche Rußland durch die schlechten Eommunications-
mittel sehr erschwert ist, so steigt und fällt die Erntefreude dort mit der schlech¬
ten oder guten Ernte des Auslandes und die Landedelleute sind außerdem da¬
durch sehr in den Händen der Ausläufer, wenn sie auch dabei verhältnißmäßig we¬
niger übervortheilt werden, als ihre Bauern, welche den Ueberschuß ihrer Ernten
an die Krämer gegen Waare zu vertrödeln pflegen. Groß waren die Einbußen,
laut die Klagen während VeS letzten Krieges, wo nur die LieferuiWen sür die
in den Ostseeländern stehenden Armeen einigen Ersatz für den Stillstand deS


Wohnsitze thun können. Fast überall beschränkt man sich auf einen Garten
hinter dem Hause, und nur selten trifft man auf Parkanlagen.

Treten wir in das Haus, so werden wir vom Baron mit leutseliger Zu¬
vorkommenheit, von der Hausfrau mit gemessener, aber freundlicher Höflichkeit
empfangen und in den „Saal" geführt. So heißt das Gesellschaftszimmer,
ohne grade immer durch seine Größe Anspruch auf jenen Namen machen zu
können. Er ist gewöhnlich weiß, selten mit Stuccaturarbeit geziert; auch die
übrigen Zimmer sind bis in die neuere Zeit fast überall ohne Tapeten und
Malerei gebliebe». Dazu kommt, daß sie, mit Ausnahme der Schlafgemächer
alle offen stehen und dadurch wol im Winter den Vortheil gleichmäßiger Er¬
wärmung und Raum zu einem Stubenspaziergang bei schlechter Witterung
gewähren, aber auch vor dem Lärm der jungen Generation keinen Schutz bie¬
ten, überhaupt das Gefühl des ungestörten Alleinseins nicht aufkommen lassen.
Aus das Meublement wendet man nicht viel; es ist meist ein buntes Gemisch
von Roccoco und Modernen: neben dem neuen Piano steht die seit des Gro߬
vaters Zeit hier eingewöhnte englische Wanduhr, und kaum können wir uns
des Lächelns enthalten, wenn wir es uns in den bequemen Petersburger Lehn¬
stühlen wohl sein lassen, während die Damen der unterdessen angelangten Ge¬
sellschaft genöthigt werden, auf dem Ehrenplatze, dem harten, mit Wachstuch
überzogenen Divan Platz zu nehmen. Recht zweckmäßig sind aber jedenfalls
die bekannten, großen Oesen, welche, meist mehre Zimmer zugleich beizend, eine
Gleichmäßigkeit der Temperatur bewirken, die wir in Mittel- und Süddeutsch¬
land gar nicht kennen. Freilich sind sie erstaunliche Holzverwüster, und wenn man
ihren Bedarf mit der Abnahme der Wälder vergleicht, dann glaubt man den
Klagen der Städter über die Höhe dieser Ausgabe im Wirthschaftsetat und zweifelt
gelinde an der Ewigkeit dieser HeizungSart en xros. — Das Erscheinen der Thee¬
maschine macht unsern Betrachtungen ein Ende und zwingt uns, an der Un¬
terhaltung Theil zu nehmen. Sie dreht sich bei den Männern um Landwirth¬
schaft und Politik, Kartoffelfäule und Getreidepreise. Es sind eben lauter
Producenten und selbst der Städter, welcher das Brot kaufen muß, fühlt eine
Geldklemme des Adels empfindlicher, als einen Ausschlag der ohnehin wohl¬
feilen Lebensmittel. Da jedoch die meisten Producte crportirt werden müssen
und die Ausfuhr ins eigentliche Rußland durch die schlechten Eommunications-
mittel sehr erschwert ist, so steigt und fällt die Erntefreude dort mit der schlech¬
ten oder guten Ernte des Auslandes und die Landedelleute sind außerdem da¬
durch sehr in den Händen der Ausläufer, wenn sie auch dabei verhältnißmäßig we¬
niger übervortheilt werden, als ihre Bauern, welche den Ueberschuß ihrer Ernten
an die Krämer gegen Waare zu vertrödeln pflegen. Groß waren die Einbußen,
laut die Klagen während VeS letzten Krieges, wo nur die LieferuiWen sür die
in den Ostseeländern stehenden Armeen einigen Ersatz für den Stillstand deS


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[0314] Wohnsitze thun können. Fast überall beschränkt man sich auf einen Garten hinter dem Hause, und nur selten trifft man auf Parkanlagen. Treten wir in das Haus, so werden wir vom Baron mit leutseliger Zu¬ vorkommenheit, von der Hausfrau mit gemessener, aber freundlicher Höflichkeit empfangen und in den „Saal" geführt. So heißt das Gesellschaftszimmer, ohne grade immer durch seine Größe Anspruch auf jenen Namen machen zu können. Er ist gewöhnlich weiß, selten mit Stuccaturarbeit geziert; auch die übrigen Zimmer sind bis in die neuere Zeit fast überall ohne Tapeten und Malerei gebliebe». Dazu kommt, daß sie, mit Ausnahme der Schlafgemächer alle offen stehen und dadurch wol im Winter den Vortheil gleichmäßiger Er¬ wärmung und Raum zu einem Stubenspaziergang bei schlechter Witterung gewähren, aber auch vor dem Lärm der jungen Generation keinen Schutz bie¬ ten, überhaupt das Gefühl des ungestörten Alleinseins nicht aufkommen lassen. Aus das Meublement wendet man nicht viel; es ist meist ein buntes Gemisch von Roccoco und Modernen: neben dem neuen Piano steht die seit des Gro߬ vaters Zeit hier eingewöhnte englische Wanduhr, und kaum können wir uns des Lächelns enthalten, wenn wir es uns in den bequemen Petersburger Lehn¬ stühlen wohl sein lassen, während die Damen der unterdessen angelangten Ge¬ sellschaft genöthigt werden, auf dem Ehrenplatze, dem harten, mit Wachstuch überzogenen Divan Platz zu nehmen. Recht zweckmäßig sind aber jedenfalls die bekannten, großen Oesen, welche, meist mehre Zimmer zugleich beizend, eine Gleichmäßigkeit der Temperatur bewirken, die wir in Mittel- und Süddeutsch¬ land gar nicht kennen. Freilich sind sie erstaunliche Holzverwüster, und wenn man ihren Bedarf mit der Abnahme der Wälder vergleicht, dann glaubt man den Klagen der Städter über die Höhe dieser Ausgabe im Wirthschaftsetat und zweifelt gelinde an der Ewigkeit dieser HeizungSart en xros. — Das Erscheinen der Thee¬ maschine macht unsern Betrachtungen ein Ende und zwingt uns, an der Un¬ terhaltung Theil zu nehmen. Sie dreht sich bei den Männern um Landwirth¬ schaft und Politik, Kartoffelfäule und Getreidepreise. Es sind eben lauter Producenten und selbst der Städter, welcher das Brot kaufen muß, fühlt eine Geldklemme des Adels empfindlicher, als einen Ausschlag der ohnehin wohl¬ feilen Lebensmittel. Da jedoch die meisten Producte crportirt werden müssen und die Ausfuhr ins eigentliche Rußland durch die schlechten Eommunications- mittel sehr erschwert ist, so steigt und fällt die Erntefreude dort mit der schlech¬ ten oder guten Ernte des Auslandes und die Landedelleute sind außerdem da¬ durch sehr in den Händen der Ausläufer, wenn sie auch dabei verhältnißmäßig we¬ niger übervortheilt werden, als ihre Bauern, welche den Ueberschuß ihrer Ernten an die Krämer gegen Waare zu vertrödeln pflegen. Groß waren die Einbußen, laut die Klagen während VeS letzten Krieges, wo nur die LieferuiWen sür die in den Ostseeländern stehenden Armeen einigen Ersatz für den Stillstand deS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/314>, abgerufen am 12.12.2024.