Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Wortes darf man ihn nicht nennen. Er kämpfte in der ersten Zeit für
die Negierung gegen die Partei der Emigration, und wenn er in der Folge
sich gegen die Ultraliberalen wandte, so war das nur eine Fortführung der¬
selben Idee. Man muß dabei bemerken, daß die letztern damals zum größern
Theil aus dem Bonapartismus hervorgegangen waren, dem Royer-Collard
ebenso abgeneigt war, als dem Pfaffen- und Junkerregiment. ES kam ihm
ausschließlich darauf an, ob die Negierung in den innern und äußern Fragen
die nationale Sache vertrat, den Sinn der Freiheit und Gleichheit, wie er
sich seit 1789 entwickelt hatte. Am entschiedensten verfocht er gegen die Ver¬
suche der Geistlichkeit, sich wieder der Erziehung zu bemächtigen, 1817 das
napoleonische System und gab ihm die präcise Form: "Die Universität ist
nichts Anderes, als die Leitung des Volksunterrichts durch den Staat. Er
umfaßt allgemeine Interessen, und darf nicht gleich der Industrie, der Privat¬
thätigkeit überlassen werden. Die Universität, hat das Monopol der Erziehung,
ungefähr wie die Gerichte das Monopol der Justiz." Dagegen müsse der
Staat in Bezug auf die Dogmen neutral sein. "Sind denn, fragt er 1826,
die Regierungen die Nachfolger der Apostel, und dürfen sie sich rühmen, vom
heiligen Geist erleuchtet zu sein? Wenn sie das nicht wagen, so sind sie auch
nicht berechtigt, zu entscheiden, was sür .ein Glaube der wahre ist. Die
Freiheit jedes Cultus, daS ist der sogenannte Atheismus unserer Verfassung."
Als Organ des geistigen Fortschritts fordert er 1821 die freie Presse; sie sei
das nothwendige Gegengewicht gegen die Centralisation. "Die Centralisation
ist aus der Zertrümmerung der alten Gesellschaft hervorgegangen; mit dieser
sind eine Menge municipaler Einrichtungen und unabhängiger Magistraturen
gefallen, die als Knotenpunkte von Privatrechten wahre Republiken innerhalb
der Monarchie bildeten . . Nun aber nähert sich der Strom der Demokratie,
von schwachen Dämmen eingedeicht. Die Demokratie ist überall, in der In¬
dustrie, im Besitz, in den Gesetzen, in den Erinnerungen. Die Mittelclassen
haben fortdauernd an Macht und Einfluß, an Besitz und Einsicht zugenommen,
sie haben mit dem Verlangen auch das Recht der Theilnahme am Staat. Das
ist die Demokratie, wie ich sie verstehe: cui, eile coule " pleins boräg clans
eetts Kelle I^rsnee, plus que Sinais kavoiisee "Zu ciel. Mögen andere da¬
rüber grollen, ich freue mich, daß die Vorsehung eine größere Zahl ihrer Ge¬
schöpfe an den Wohlthaten der Bildung Theil nehmen läßt." -- Als er so
sprach, war er nicht mehr im Dienst; die Reaction hatte ihn 1819 mit seinen
Anhängern entfernt. Man wollte ihm den Titel und eine Penston von
10,000 Fr. lassen, erwies diese Entschädigung ebenso ernst zurück, als früher
den Adelsbrief. Als Haupt der parlamentarischen Opposition wurde er bei
einem neuen Umschwung 1827 von sieben Departements zugleich gewählt; er
trat in die Akademie (13. Nov. 1827) und wurde Präsident der zweiten Kam-


des Wortes darf man ihn nicht nennen. Er kämpfte in der ersten Zeit für
die Negierung gegen die Partei der Emigration, und wenn er in der Folge
sich gegen die Ultraliberalen wandte, so war das nur eine Fortführung der¬
selben Idee. Man muß dabei bemerken, daß die letztern damals zum größern
Theil aus dem Bonapartismus hervorgegangen waren, dem Royer-Collard
ebenso abgeneigt war, als dem Pfaffen- und Junkerregiment. ES kam ihm
ausschließlich darauf an, ob die Negierung in den innern und äußern Fragen
die nationale Sache vertrat, den Sinn der Freiheit und Gleichheit, wie er
sich seit 1789 entwickelt hatte. Am entschiedensten verfocht er gegen die Ver¬
suche der Geistlichkeit, sich wieder der Erziehung zu bemächtigen, 1817 das
napoleonische System und gab ihm die präcise Form: „Die Universität ist
nichts Anderes, als die Leitung des Volksunterrichts durch den Staat. Er
umfaßt allgemeine Interessen, und darf nicht gleich der Industrie, der Privat¬
thätigkeit überlassen werden. Die Universität, hat das Monopol der Erziehung,
ungefähr wie die Gerichte das Monopol der Justiz." Dagegen müsse der
Staat in Bezug auf die Dogmen neutral sein. „Sind denn, fragt er 1826,
die Regierungen die Nachfolger der Apostel, und dürfen sie sich rühmen, vom
heiligen Geist erleuchtet zu sein? Wenn sie das nicht wagen, so sind sie auch
nicht berechtigt, zu entscheiden, was sür .ein Glaube der wahre ist. Die
Freiheit jedes Cultus, daS ist der sogenannte Atheismus unserer Verfassung."
Als Organ des geistigen Fortschritts fordert er 1821 die freie Presse; sie sei
das nothwendige Gegengewicht gegen die Centralisation. „Die Centralisation
ist aus der Zertrümmerung der alten Gesellschaft hervorgegangen; mit dieser
sind eine Menge municipaler Einrichtungen und unabhängiger Magistraturen
gefallen, die als Knotenpunkte von Privatrechten wahre Republiken innerhalb
der Monarchie bildeten . . Nun aber nähert sich der Strom der Demokratie,
von schwachen Dämmen eingedeicht. Die Demokratie ist überall, in der In¬
dustrie, im Besitz, in den Gesetzen, in den Erinnerungen. Die Mittelclassen
haben fortdauernd an Macht und Einfluß, an Besitz und Einsicht zugenommen,
sie haben mit dem Verlangen auch das Recht der Theilnahme am Staat. Das
ist die Demokratie, wie ich sie verstehe: cui, eile coule » pleins boräg clans
eetts Kelle I^rsnee, plus que Sinais kavoiisee «Zu ciel. Mögen andere da¬
rüber grollen, ich freue mich, daß die Vorsehung eine größere Zahl ihrer Ge¬
schöpfe an den Wohlthaten der Bildung Theil nehmen läßt." — Als er so
sprach, war er nicht mehr im Dienst; die Reaction hatte ihn 1819 mit seinen
Anhängern entfernt. Man wollte ihm den Titel und eine Penston von
10,000 Fr. lassen, erwies diese Entschädigung ebenso ernst zurück, als früher
den Adelsbrief. Als Haupt der parlamentarischen Opposition wurde er bei
einem neuen Umschwung 1827 von sieben Departements zugleich gewählt; er
trat in die Akademie (13. Nov. 1827) und wurde Präsident der zweiten Kam-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104511"/>
            <p xml:id="ID_827" prev="#ID_826" next="#ID_828"> des Wortes darf man ihn nicht nennen.  Er kämpfte in der ersten Zeit für<lb/>
die Negierung gegen die Partei der Emigration, und wenn er in der Folge<lb/>
sich gegen die Ultraliberalen wandte, so war das nur eine Fortführung der¬<lb/>
selben Idee.  Man muß dabei bemerken, daß die letztern damals zum größern<lb/>
Theil aus dem Bonapartismus hervorgegangen waren, dem Royer-Collard<lb/>
ebenso abgeneigt war, als dem Pfaffen- und Junkerregiment.  ES kam ihm<lb/>
ausschließlich darauf an, ob die Negierung in den innern und äußern Fragen<lb/>
die nationale Sache vertrat, den Sinn der Freiheit und Gleichheit, wie er<lb/>
sich seit 1789 entwickelt hatte.  Am entschiedensten verfocht er gegen die Ver¬<lb/>
suche der Geistlichkeit, sich wieder der Erziehung zu bemächtigen, 1817 das<lb/>
napoleonische System und gab ihm die präcise Form: &#x201E;Die Universität ist<lb/>
nichts Anderes, als die Leitung des Volksunterrichts durch den Staat. Er<lb/>
umfaßt allgemeine Interessen, und darf nicht gleich der Industrie, der Privat¬<lb/>
thätigkeit überlassen werden. Die Universität, hat das Monopol der Erziehung,<lb/>
ungefähr wie die Gerichte das Monopol der Justiz."  Dagegen müsse der<lb/>
Staat in Bezug auf die Dogmen neutral sein.  &#x201E;Sind denn, fragt er 1826,<lb/>
die Regierungen die Nachfolger der Apostel, und dürfen sie sich rühmen, vom<lb/>
heiligen Geist erleuchtet zu sein? Wenn sie das nicht wagen, so sind sie auch<lb/>
nicht berechtigt, zu entscheiden, was sür .ein Glaube der wahre ist. Die<lb/>
Freiheit jedes Cultus, daS ist der sogenannte Atheismus unserer Verfassung."<lb/>
Als Organ des geistigen Fortschritts fordert er 1821 die freie Presse; sie sei<lb/>
das nothwendige Gegengewicht gegen die Centralisation.  &#x201E;Die Centralisation<lb/>
ist aus der Zertrümmerung der alten Gesellschaft hervorgegangen; mit dieser<lb/>
sind eine Menge municipaler Einrichtungen und unabhängiger Magistraturen<lb/>
gefallen, die als Knotenpunkte von Privatrechten wahre Republiken innerhalb<lb/>
der Monarchie bildeten . . Nun aber nähert sich der Strom der Demokratie,<lb/>
von schwachen Dämmen eingedeicht.  Die Demokratie ist überall, in der In¬<lb/>
dustrie, im Besitz, in den Gesetzen, in den Erinnerungen.  Die Mittelclassen<lb/>
haben fortdauernd an Macht und Einfluß, an Besitz und Einsicht zugenommen,<lb/>
sie haben mit dem Verlangen auch das Recht der Theilnahme am Staat. Das<lb/>
ist die Demokratie, wie ich sie verstehe: cui, eile coule » pleins boräg clans<lb/>
eetts Kelle I^rsnee, plus que Sinais kavoiisee «Zu ciel.  Mögen andere da¬<lb/>
rüber grollen, ich freue mich, daß die Vorsehung eine größere Zahl ihrer Ge¬<lb/>
schöpfe an den Wohlthaten der Bildung Theil nehmen läßt." &#x2014; Als er so<lb/>
sprach, war er nicht mehr im Dienst; die Reaction hatte ihn 1819 mit seinen<lb/>
Anhängern entfernt.  Man wollte ihm den Titel und eine Penston von<lb/>
10,000 Fr. lassen, erwies diese Entschädigung ebenso ernst zurück, als früher<lb/>
den Adelsbrief.  Als Haupt der parlamentarischen Opposition wurde er bei<lb/>
einem neuen Umschwung 1827 von sieben Departements zugleich gewählt; er<lb/>
trat in die Akademie (13. Nov. 1827) und wurde Präsident der zweiten Kam-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] des Wortes darf man ihn nicht nennen. Er kämpfte in der ersten Zeit für die Negierung gegen die Partei der Emigration, und wenn er in der Folge sich gegen die Ultraliberalen wandte, so war das nur eine Fortführung der¬ selben Idee. Man muß dabei bemerken, daß die letztern damals zum größern Theil aus dem Bonapartismus hervorgegangen waren, dem Royer-Collard ebenso abgeneigt war, als dem Pfaffen- und Junkerregiment. ES kam ihm ausschließlich darauf an, ob die Negierung in den innern und äußern Fragen die nationale Sache vertrat, den Sinn der Freiheit und Gleichheit, wie er sich seit 1789 entwickelt hatte. Am entschiedensten verfocht er gegen die Ver¬ suche der Geistlichkeit, sich wieder der Erziehung zu bemächtigen, 1817 das napoleonische System und gab ihm die präcise Form: „Die Universität ist nichts Anderes, als die Leitung des Volksunterrichts durch den Staat. Er umfaßt allgemeine Interessen, und darf nicht gleich der Industrie, der Privat¬ thätigkeit überlassen werden. Die Universität, hat das Monopol der Erziehung, ungefähr wie die Gerichte das Monopol der Justiz." Dagegen müsse der Staat in Bezug auf die Dogmen neutral sein. „Sind denn, fragt er 1826, die Regierungen die Nachfolger der Apostel, und dürfen sie sich rühmen, vom heiligen Geist erleuchtet zu sein? Wenn sie das nicht wagen, so sind sie auch nicht berechtigt, zu entscheiden, was sür .ein Glaube der wahre ist. Die Freiheit jedes Cultus, daS ist der sogenannte Atheismus unserer Verfassung." Als Organ des geistigen Fortschritts fordert er 1821 die freie Presse; sie sei das nothwendige Gegengewicht gegen die Centralisation. „Die Centralisation ist aus der Zertrümmerung der alten Gesellschaft hervorgegangen; mit dieser sind eine Menge municipaler Einrichtungen und unabhängiger Magistraturen gefallen, die als Knotenpunkte von Privatrechten wahre Republiken innerhalb der Monarchie bildeten . . Nun aber nähert sich der Strom der Demokratie, von schwachen Dämmen eingedeicht. Die Demokratie ist überall, in der In¬ dustrie, im Besitz, in den Gesetzen, in den Erinnerungen. Die Mittelclassen haben fortdauernd an Macht und Einfluß, an Besitz und Einsicht zugenommen, sie haben mit dem Verlangen auch das Recht der Theilnahme am Staat. Das ist die Demokratie, wie ich sie verstehe: cui, eile coule » pleins boräg clans eetts Kelle I^rsnee, plus que Sinais kavoiisee «Zu ciel. Mögen andere da¬ rüber grollen, ich freue mich, daß die Vorsehung eine größere Zahl ihrer Ge¬ schöpfe an den Wohlthaten der Bildung Theil nehmen läßt." — Als er so sprach, war er nicht mehr im Dienst; die Reaction hatte ihn 1819 mit seinen Anhängern entfernt. Man wollte ihm den Titel und eine Penston von 10,000 Fr. lassen, erwies diese Entschädigung ebenso ernst zurück, als früher den Adelsbrief. Als Haupt der parlamentarischen Opposition wurde er bei einem neuen Umschwung 1827 von sieben Departements zugleich gewählt; er trat in die Akademie (13. Nov. 1827) und wurde Präsident der zweiten Kam-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/310>, abgerufen am 22.07.2024.