Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.den bon s<zu" sollte jetzt das Gefühl und das Gewisse wieder in ihre Rechte Die Studirenden waren bisher an den liebenswürdigen, geschmeidigen den bon s<zu» sollte jetzt das Gefühl und das Gewisse wieder in ihre Rechte Die Studirenden waren bisher an den liebenswürdigen, geschmeidigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104509"/> <p xml:id="ID_823" prev="#ID_822"> den bon s<zu» sollte jetzt das Gefühl und das Gewisse wieder in ihre Rechte<lb/> eingesetzt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_824" next="#ID_825"> Die Studirenden waren bisher an den liebenswürdigen, geschmeidigen<lb/> Vortrag des Sensualisten Laromiguiere gewöhnt, der sie auf das anmuthigste<lb/> unterhielt, indem er sie über die Grundsätze Cvndillacs belehrte. Der neue<lb/> Lehrer ersetzte die unterhaltende Improvisation durch eine ernste, geschlossene<lb/> Borlesung, die glänzenden Einfälle durch mühsame Untersuchungen, die Bilder¬<lb/> sprache durch den Stil eines Gesetzgebers. Die Jugend wurde befremdet, aber<lb/> zugleich durch die Kühnheit und Evidenz des Ausdrucks und den Ton einer<lb/> sichern und ehrlichen Ueberzeugung gefesselt. Auch der Kaiser wurde auf den<lb/> jungen Professor aufmerksam, und weil er einige von den Sensualisten (Tra-<lb/> cy :c.) als unruhige Köpfe kannte, hoffte er von der neuen Lehre eine gün¬<lb/> stige Widerlegung der „Ideologen". Mit Recht bemerkte Royer-Collard, daß<lb/> grade der Idealismus die Stütze der Freiheit, der systematische Feind der Des¬<lb/> poten sei. — Uebrigens eröffnete er seine Vorlesungen nicht durch jene blenden¬<lb/> den Fragen der höhern Metaphysik, mit denen die philosophischen Neuerer<lb/> gewöhnlich die Jugend fesseln. Die ersten beiden Jahre waren ausschließlich<lb/> der Untersuchung gewidmet, ob man durch das Raisonnement die Existenz der<lb/> äußeren Welt beweisen kann. Er zeigte, daß der Sensualismus, der die<lb/> äußere Welt als die einzige Quelle unserer Ideen betrachtet, nicht einmal die<lb/> Eristenz dieser Welt zu beweisen im Stande ist, daß eine strenge Dialektik<lb/> unwiderleglich die tiefern Sensualisten dahin bringt, die Realität, die Materie<lb/> zu bestreiten,-daß die Principien Condillacö nothwendig zum absoluten Zweifel<lb/> über alle Dinge, die uns umgeben, führen. Er zeigte, daß die sinnlichen<lb/> Eindrücke der Seele nur das rohe Material überliefern, aus dem an und für<lb/> sich gar nichts zu machen wäre, wenn sie nicht das Gesetz für dieselben und<lb/> die, leitenden Grundbegriffe: Raum, Zeit, Substantialitcit und Kausalität,<lb/> bereits in sich trüge. Diese Grundbegriffe seien der feste Punkt, auf dem alles<lb/> Wissen und Erkennen beruht, und sie seien uns mit einer unmittelbaren Ge¬<lb/> wißheit eigen, mit einer Gewißheit, die über die aller Sinneseindrücke hin¬<lb/> ausgehe. Die Philosophie habe nicht die Aufgabe, sie weiter zu begründen,<lb/> sie zeige nur, daß in ihnen der Quell aller Autorität enthalten sei. — Alle<lb/> diese Lehren waren aus Neid genommen. Was aber Royer-Collard eigen an¬<lb/> gehörte, war die hinreißende Gewalt der Beredsamkeit. Aus Condillac hatte<lb/> er die Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks, aus seinen mathematischen<lb/> Studien Präcision und Schärfe der Beweisführung gelernt; wenn er aber<lb/> einen Satz logisch begründet hatte, so erläuterte er ihn durch eine Bilder¬<lb/> sprache und eine Eremplisication, die an plastischer Kraft ihres Gleichen sucht.<lb/> Er hatte die schöne Gabe, einfache Wahrheiten in einem schlagenden Ausdruck<lb/> zusammenzufassen, der die Phantasie ergreift, und den man nicht wieder</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
den bon s<zu» sollte jetzt das Gefühl und das Gewisse wieder in ihre Rechte
eingesetzt werden.
Die Studirenden waren bisher an den liebenswürdigen, geschmeidigen
Vortrag des Sensualisten Laromiguiere gewöhnt, der sie auf das anmuthigste
unterhielt, indem er sie über die Grundsätze Cvndillacs belehrte. Der neue
Lehrer ersetzte die unterhaltende Improvisation durch eine ernste, geschlossene
Borlesung, die glänzenden Einfälle durch mühsame Untersuchungen, die Bilder¬
sprache durch den Stil eines Gesetzgebers. Die Jugend wurde befremdet, aber
zugleich durch die Kühnheit und Evidenz des Ausdrucks und den Ton einer
sichern und ehrlichen Ueberzeugung gefesselt. Auch der Kaiser wurde auf den
jungen Professor aufmerksam, und weil er einige von den Sensualisten (Tra-
cy :c.) als unruhige Köpfe kannte, hoffte er von der neuen Lehre eine gün¬
stige Widerlegung der „Ideologen". Mit Recht bemerkte Royer-Collard, daß
grade der Idealismus die Stütze der Freiheit, der systematische Feind der Des¬
poten sei. — Uebrigens eröffnete er seine Vorlesungen nicht durch jene blenden¬
den Fragen der höhern Metaphysik, mit denen die philosophischen Neuerer
gewöhnlich die Jugend fesseln. Die ersten beiden Jahre waren ausschließlich
der Untersuchung gewidmet, ob man durch das Raisonnement die Existenz der
äußeren Welt beweisen kann. Er zeigte, daß der Sensualismus, der die
äußere Welt als die einzige Quelle unserer Ideen betrachtet, nicht einmal die
Eristenz dieser Welt zu beweisen im Stande ist, daß eine strenge Dialektik
unwiderleglich die tiefern Sensualisten dahin bringt, die Realität, die Materie
zu bestreiten,-daß die Principien Condillacö nothwendig zum absoluten Zweifel
über alle Dinge, die uns umgeben, führen. Er zeigte, daß die sinnlichen
Eindrücke der Seele nur das rohe Material überliefern, aus dem an und für
sich gar nichts zu machen wäre, wenn sie nicht das Gesetz für dieselben und
die, leitenden Grundbegriffe: Raum, Zeit, Substantialitcit und Kausalität,
bereits in sich trüge. Diese Grundbegriffe seien der feste Punkt, auf dem alles
Wissen und Erkennen beruht, und sie seien uns mit einer unmittelbaren Ge¬
wißheit eigen, mit einer Gewißheit, die über die aller Sinneseindrücke hin¬
ausgehe. Die Philosophie habe nicht die Aufgabe, sie weiter zu begründen,
sie zeige nur, daß in ihnen der Quell aller Autorität enthalten sei. — Alle
diese Lehren waren aus Neid genommen. Was aber Royer-Collard eigen an¬
gehörte, war die hinreißende Gewalt der Beredsamkeit. Aus Condillac hatte
er die Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks, aus seinen mathematischen
Studien Präcision und Schärfe der Beweisführung gelernt; wenn er aber
einen Satz logisch begründet hatte, so erläuterte er ihn durch eine Bilder¬
sprache und eine Eremplisication, die an plastischer Kraft ihres Gleichen sucht.
Er hatte die schöne Gabe, einfache Wahrheiten in einem schlagenden Ausdruck
zusammenzufassen, der die Phantasie ergreift, und den man nicht wieder
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |