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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Es ist von hohem Interesse, die Berichte der Zeitgenossen zu vergleichen.
Hier sei zunächst die gelegentliche Erzählung des Superintendenten Samuel
Müller von Sangerhausen mit einigen Abkürzungen und in der Sprache
unsrer Tage, sonst wortgetreu mitgetheilt. Müller war ein tüchtiger Mann
und scharfer Beobachter menschlicher Schwächen, er schrieb von 1627 ab die
lehrreiche "Chronika der uralten Bergstadt Sangerhausen Leipzig,
1731," und spricht darin von der Kipperzeit bereits so kühl, wie man damals
vergangene nationale Leiden zu betrachten pflegte. Sein Bericht beginnt
S. 10 der Chronik folgendermaßen:

"Aus dem Schloß spor Sangerhausen) ist Anno 1621 eine Münze er¬
baut worden, denn damals hatte der Satan die Münzen schlecht gemacht. Der
Anfang dieses Münzunwesens war im Lande Braunschweig. Im Kurfürsten-
thum Sachsen kam es zuletzt auf, als die benachbarten Länder aufhörten. fBei
uns war^ Carl Christoph von Brandenstein, Kammerrath und nachmals Graf,
der Director. Es wurden an Münzsorten geschlagen: halbe Guldenstücke,
Engelthaler, einer zu drei und endlich zu fünf Gulden, halbe Engelthaler, von
den Engeln so genannt, die darauf geprägt waren, Achtgroschen- und Vier¬
groschenstücke, Groschen und Pfennige. ES war aber alles fast lauter Kupfer,
nur gesotten und weiß gemacht, das hielt etwa acht Tage, dann wurde es
zunderroth. Da wurden die Blasen, Kessel, Röhren, Rinnen und was sonst
von Kupfer war, ausgehoben, in die Münzen getragen und zu Gelde gemacht.
Ein ehrlicher Mann durfte sich nicht mehr getrauen, jemanden zu beherbergen,
denn er mußte Sorge tragen, der Gast breche ihm in der Nacht die Ofen¬
blase aus und lief ihm davon. Wo eine Kirche ein altes, kupfernes Tauf¬
becken hatte, das mußte fort zur Münze und half ihm keine Heiligkeit, eS
verkaustens, die darin getauft waren. Es kam dahin, daß man lauter kupfer¬
nes Geld aus den Dreiern, Zweiern und Pfennigen schlug, und eine Zeit
lang wollte kein ander Geld gehn als dieses. Es währte aber nicht lange.

Mit dem Gelde wurde Handel und Wandel getrieben, Schul- und Kirchen¬
diener bezahlt, so lange bis es der Bauer merkte und der Kaufmann daS
Geld so hoch nicht annehmen wollte. Hingegen galt ein guter Reichsthaler sehr
hoch und stieg von 24 Groschen bis zu 10 und 12 solcher neuer sogenannter
Gulden. Darauf speculirten die Leute endlich und wurde allenthalben viel
Unzufriedenheit und Verwirrung durch die Soldaten und Bergleute. Die
Soldaten, die damals dem Kurfürsten in der Lausitz dienten, wollten es nicht
nehmen. Die Bergleute stürmten die Häuser derer, die man Kipper nannte,
weil sie das gute Geld auswechselten und in die Münze trugen. Die Geist¬
lichen, ja alle Welt klagte. Denn weil der Betrug offenbar wurde mit
dem Gelde, daß es fast nichts als Schaum, Kupfer und Blech war und wenig
Silber hatte, wollten es die Leute nicht vor gut nehmen, rechneten einen


Es ist von hohem Interesse, die Berichte der Zeitgenossen zu vergleichen.
Hier sei zunächst die gelegentliche Erzählung des Superintendenten Samuel
Müller von Sangerhausen mit einigen Abkürzungen und in der Sprache
unsrer Tage, sonst wortgetreu mitgetheilt. Müller war ein tüchtiger Mann
und scharfer Beobachter menschlicher Schwächen, er schrieb von 1627 ab die
lehrreiche „Chronika der uralten Bergstadt Sangerhausen Leipzig,
1731," und spricht darin von der Kipperzeit bereits so kühl, wie man damals
vergangene nationale Leiden zu betrachten pflegte. Sein Bericht beginnt
S. 10 der Chronik folgendermaßen:

„Aus dem Schloß spor Sangerhausen) ist Anno 1621 eine Münze er¬
baut worden, denn damals hatte der Satan die Münzen schlecht gemacht. Der
Anfang dieses Münzunwesens war im Lande Braunschweig. Im Kurfürsten-
thum Sachsen kam es zuletzt auf, als die benachbarten Länder aufhörten. fBei
uns war^ Carl Christoph von Brandenstein, Kammerrath und nachmals Graf,
der Director. Es wurden an Münzsorten geschlagen: halbe Guldenstücke,
Engelthaler, einer zu drei und endlich zu fünf Gulden, halbe Engelthaler, von
den Engeln so genannt, die darauf geprägt waren, Achtgroschen- und Vier¬
groschenstücke, Groschen und Pfennige. ES war aber alles fast lauter Kupfer,
nur gesotten und weiß gemacht, das hielt etwa acht Tage, dann wurde es
zunderroth. Da wurden die Blasen, Kessel, Röhren, Rinnen und was sonst
von Kupfer war, ausgehoben, in die Münzen getragen und zu Gelde gemacht.
Ein ehrlicher Mann durfte sich nicht mehr getrauen, jemanden zu beherbergen,
denn er mußte Sorge tragen, der Gast breche ihm in der Nacht die Ofen¬
blase aus und lief ihm davon. Wo eine Kirche ein altes, kupfernes Tauf¬
becken hatte, das mußte fort zur Münze und half ihm keine Heiligkeit, eS
verkaustens, die darin getauft waren. Es kam dahin, daß man lauter kupfer¬
nes Geld aus den Dreiern, Zweiern und Pfennigen schlug, und eine Zeit
lang wollte kein ander Geld gehn als dieses. Es währte aber nicht lange.

Mit dem Gelde wurde Handel und Wandel getrieben, Schul- und Kirchen¬
diener bezahlt, so lange bis es der Bauer merkte und der Kaufmann daS
Geld so hoch nicht annehmen wollte. Hingegen galt ein guter Reichsthaler sehr
hoch und stieg von 24 Groschen bis zu 10 und 12 solcher neuer sogenannter
Gulden. Darauf speculirten die Leute endlich und wurde allenthalben viel
Unzufriedenheit und Verwirrung durch die Soldaten und Bergleute. Die
Soldaten, die damals dem Kurfürsten in der Lausitz dienten, wollten es nicht
nehmen. Die Bergleute stürmten die Häuser derer, die man Kipper nannte,
weil sie das gute Geld auswechselten und in die Münze trugen. Die Geist¬
lichen, ja alle Welt klagte. Denn weil der Betrug offenbar wurde mit
dem Gelde, daß es fast nichts als Schaum, Kupfer und Blech war und wenig
Silber hatte, wollten es die Leute nicht vor gut nehmen, rechneten einen


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[0298] Es ist von hohem Interesse, die Berichte der Zeitgenossen zu vergleichen. Hier sei zunächst die gelegentliche Erzählung des Superintendenten Samuel Müller von Sangerhausen mit einigen Abkürzungen und in der Sprache unsrer Tage, sonst wortgetreu mitgetheilt. Müller war ein tüchtiger Mann und scharfer Beobachter menschlicher Schwächen, er schrieb von 1627 ab die lehrreiche „Chronika der uralten Bergstadt Sangerhausen Leipzig, 1731," und spricht darin von der Kipperzeit bereits so kühl, wie man damals vergangene nationale Leiden zu betrachten pflegte. Sein Bericht beginnt S. 10 der Chronik folgendermaßen: „Aus dem Schloß spor Sangerhausen) ist Anno 1621 eine Münze er¬ baut worden, denn damals hatte der Satan die Münzen schlecht gemacht. Der Anfang dieses Münzunwesens war im Lande Braunschweig. Im Kurfürsten- thum Sachsen kam es zuletzt auf, als die benachbarten Länder aufhörten. fBei uns war^ Carl Christoph von Brandenstein, Kammerrath und nachmals Graf, der Director. Es wurden an Münzsorten geschlagen: halbe Guldenstücke, Engelthaler, einer zu drei und endlich zu fünf Gulden, halbe Engelthaler, von den Engeln so genannt, die darauf geprägt waren, Achtgroschen- und Vier¬ groschenstücke, Groschen und Pfennige. ES war aber alles fast lauter Kupfer, nur gesotten und weiß gemacht, das hielt etwa acht Tage, dann wurde es zunderroth. Da wurden die Blasen, Kessel, Röhren, Rinnen und was sonst von Kupfer war, ausgehoben, in die Münzen getragen und zu Gelde gemacht. Ein ehrlicher Mann durfte sich nicht mehr getrauen, jemanden zu beherbergen, denn er mußte Sorge tragen, der Gast breche ihm in der Nacht die Ofen¬ blase aus und lief ihm davon. Wo eine Kirche ein altes, kupfernes Tauf¬ becken hatte, das mußte fort zur Münze und half ihm keine Heiligkeit, eS verkaustens, die darin getauft waren. Es kam dahin, daß man lauter kupfer¬ nes Geld aus den Dreiern, Zweiern und Pfennigen schlug, und eine Zeit lang wollte kein ander Geld gehn als dieses. Es währte aber nicht lange. Mit dem Gelde wurde Handel und Wandel getrieben, Schul- und Kirchen¬ diener bezahlt, so lange bis es der Bauer merkte und der Kaufmann daS Geld so hoch nicht annehmen wollte. Hingegen galt ein guter Reichsthaler sehr hoch und stieg von 24 Groschen bis zu 10 und 12 solcher neuer sogenannter Gulden. Darauf speculirten die Leute endlich und wurde allenthalben viel Unzufriedenheit und Verwirrung durch die Soldaten und Bergleute. Die Soldaten, die damals dem Kurfürsten in der Lausitz dienten, wollten es nicht nehmen. Die Bergleute stürmten die Häuser derer, die man Kipper nannte, weil sie das gute Geld auswechselten und in die Münze trugen. Die Geist¬ lichen, ja alle Welt klagte. Denn weil der Betrug offenbar wurde mit dem Gelde, daß es fast nichts als Schaum, Kupfer und Blech war und wenig Silber hatte, wollten es die Leute nicht vor gut nehmen, rechneten einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/298>, abgerufen am 23.07.2024.