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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ivinnes wurde im Wirthshaus verjubelt. Auch geneigt zu.geben war man in
solcher Zeit. Die sächsischen Städte bewilligten auf dem Landtage zu Torgau
mit Leichtigkeit einen hohen Zuschlag zur Landsteuer, war doch Geld überall im
Ueberfluß zu haben! Auch zum Schuldenmachen war man sehr bereit, denn
überall wurde Geld zu günstigen Bedingungen angeboten und überall konnte
man Geschäfte damit machen. Deshalb wurden von allen Seiten große Ver¬
pflichtungen übernommen. -- So trieb das Volk in starker Strömung zum
Verderben.

Aber es kam die Gegenströmung, zuerst leise, dann immer stärker. Zuerst
klagten alle die, welche von festem Gehalt ihr Leben bestreiten mußten, am
lautesten die Pfarrgeistlichen, am schmerzlichsten die Schullehrer, die armen
Kalmäuser. Wer sonst von 200 Gulden gutes Neichsgeld ehrlich gelebt hatte,
der bekam jetzt 200 Gulden leichtes Geld und wenn auch, wie allerdings oft
geschah, die Gehalte um einiges, bis zum vierten Theil erhöht wurden, er
konnte selbst mit dem Zuschuß nicht die Hälfte, ja bald nicht den vierten Theil
der nothwendigsten Ausgaben bestreiten. Die geistlichen Herrn.schlugen wegen
diesem unerhörten Fall in der Bibel nach, fanden darin einen unverkennbaren
Widerwillen gegen alle Heckenmünzerei, und begannen gegen das leichte Geld
von' den Kanzeln zu predigen. Die Schullehrer auf den Dörfern hungerten,
so lange es gehn wollte, dann entliefen sie und vermehrten den Troß der
Vagabunden, Bettler, Soldaten. Die Dienstboten wurden zunächst aussätzig.
Der Lohn von durchschnittlich 10 Gulden*) aufs Jahr, reichte ihnen jetzt kaum
hin, ihre Schuhe zu bezahlen. In allen Häusern gab eS Gezänk mit der
Brotherrschaft, Knechte und Mägde entliefen; die Knechte ließen sich anwerben,
die Mägde versuchten es auf eigne Hand. Unterdeß verlor sich die Jugend
von den Schulen und Universitäten. Wenige bürgerliche Eltern waren damals
so wohlhabend, daß sie ihre Söhne in der Studienzeit ganz aus eignen Mit¬
teln erhalten konnten. Dafür gab es eine Menge Stipendien, seit Jahrhun¬
derten hatten fromme Leute den armen Studenten Geld gestiftet. Der Werth
der Stipendien schwand dem Schüler jetzt plötzlich dahin, sein Credit in der
fremden Stadt war bald erschöpft, vielen Studirenden wurde die Eristenz un¬
möglich, sie verfielen der Armseligkeit und den Versuchungen der blutigen Zeit.
Noch kann man in mehren Selbstbiographien ehrbarer Theologen lesen, welche
Noth sie damals ertragen mußten. Dem einen wurde zur Rettung, daß er in
Jena alle Tage für 4 Pfennige Semmel auf das Kerbholz seines Magisters
schneiden durfte, ein anderer vermochte durch Stundengeben in der Woche 18
Batzen zu erwerben, die er aber sämmtlich sür trocknes Brot ausgeben mußte.

Die Unzufriedenheit griff weiter. Zunächst die Kapitalisten, welche ihr Geld



Der Silberwerth von -I Gulden gutes Neichsgeld ist lo^/z Sgr. unsers Geldes.

ivinnes wurde im Wirthshaus verjubelt. Auch geneigt zu.geben war man in
solcher Zeit. Die sächsischen Städte bewilligten auf dem Landtage zu Torgau
mit Leichtigkeit einen hohen Zuschlag zur Landsteuer, war doch Geld überall im
Ueberfluß zu haben! Auch zum Schuldenmachen war man sehr bereit, denn
überall wurde Geld zu günstigen Bedingungen angeboten und überall konnte
man Geschäfte damit machen. Deshalb wurden von allen Seiten große Ver¬
pflichtungen übernommen. — So trieb das Volk in starker Strömung zum
Verderben.

Aber es kam die Gegenströmung, zuerst leise, dann immer stärker. Zuerst
klagten alle die, welche von festem Gehalt ihr Leben bestreiten mußten, am
lautesten die Pfarrgeistlichen, am schmerzlichsten die Schullehrer, die armen
Kalmäuser. Wer sonst von 200 Gulden gutes Neichsgeld ehrlich gelebt hatte,
der bekam jetzt 200 Gulden leichtes Geld und wenn auch, wie allerdings oft
geschah, die Gehalte um einiges, bis zum vierten Theil erhöht wurden, er
konnte selbst mit dem Zuschuß nicht die Hälfte, ja bald nicht den vierten Theil
der nothwendigsten Ausgaben bestreiten. Die geistlichen Herrn.schlugen wegen
diesem unerhörten Fall in der Bibel nach, fanden darin einen unverkennbaren
Widerwillen gegen alle Heckenmünzerei, und begannen gegen das leichte Geld
von' den Kanzeln zu predigen. Die Schullehrer auf den Dörfern hungerten,
so lange es gehn wollte, dann entliefen sie und vermehrten den Troß der
Vagabunden, Bettler, Soldaten. Die Dienstboten wurden zunächst aussätzig.
Der Lohn von durchschnittlich 10 Gulden*) aufs Jahr, reichte ihnen jetzt kaum
hin, ihre Schuhe zu bezahlen. In allen Häusern gab eS Gezänk mit der
Brotherrschaft, Knechte und Mägde entliefen; die Knechte ließen sich anwerben,
die Mägde versuchten es auf eigne Hand. Unterdeß verlor sich die Jugend
von den Schulen und Universitäten. Wenige bürgerliche Eltern waren damals
so wohlhabend, daß sie ihre Söhne in der Studienzeit ganz aus eignen Mit¬
teln erhalten konnten. Dafür gab es eine Menge Stipendien, seit Jahrhun¬
derten hatten fromme Leute den armen Studenten Geld gestiftet. Der Werth
der Stipendien schwand dem Schüler jetzt plötzlich dahin, sein Credit in der
fremden Stadt war bald erschöpft, vielen Studirenden wurde die Eristenz un¬
möglich, sie verfielen der Armseligkeit und den Versuchungen der blutigen Zeit.
Noch kann man in mehren Selbstbiographien ehrbarer Theologen lesen, welche
Noth sie damals ertragen mußten. Dem einen wurde zur Rettung, daß er in
Jena alle Tage für 4 Pfennige Semmel auf das Kerbholz seines Magisters
schneiden durfte, ein anderer vermochte durch Stundengeben in der Woche 18
Batzen zu erwerben, die er aber sämmtlich sür trocknes Brot ausgeben mußte.

Die Unzufriedenheit griff weiter. Zunächst die Kapitalisten, welche ihr Geld



Der Silberwerth von -I Gulden gutes Neichsgeld ist lo^/z Sgr. unsers Geldes.
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[0296] ivinnes wurde im Wirthshaus verjubelt. Auch geneigt zu.geben war man in solcher Zeit. Die sächsischen Städte bewilligten auf dem Landtage zu Torgau mit Leichtigkeit einen hohen Zuschlag zur Landsteuer, war doch Geld überall im Ueberfluß zu haben! Auch zum Schuldenmachen war man sehr bereit, denn überall wurde Geld zu günstigen Bedingungen angeboten und überall konnte man Geschäfte damit machen. Deshalb wurden von allen Seiten große Ver¬ pflichtungen übernommen. — So trieb das Volk in starker Strömung zum Verderben. Aber es kam die Gegenströmung, zuerst leise, dann immer stärker. Zuerst klagten alle die, welche von festem Gehalt ihr Leben bestreiten mußten, am lautesten die Pfarrgeistlichen, am schmerzlichsten die Schullehrer, die armen Kalmäuser. Wer sonst von 200 Gulden gutes Neichsgeld ehrlich gelebt hatte, der bekam jetzt 200 Gulden leichtes Geld und wenn auch, wie allerdings oft geschah, die Gehalte um einiges, bis zum vierten Theil erhöht wurden, er konnte selbst mit dem Zuschuß nicht die Hälfte, ja bald nicht den vierten Theil der nothwendigsten Ausgaben bestreiten. Die geistlichen Herrn.schlugen wegen diesem unerhörten Fall in der Bibel nach, fanden darin einen unverkennbaren Widerwillen gegen alle Heckenmünzerei, und begannen gegen das leichte Geld von' den Kanzeln zu predigen. Die Schullehrer auf den Dörfern hungerten, so lange es gehn wollte, dann entliefen sie und vermehrten den Troß der Vagabunden, Bettler, Soldaten. Die Dienstboten wurden zunächst aussätzig. Der Lohn von durchschnittlich 10 Gulden*) aufs Jahr, reichte ihnen jetzt kaum hin, ihre Schuhe zu bezahlen. In allen Häusern gab eS Gezänk mit der Brotherrschaft, Knechte und Mägde entliefen; die Knechte ließen sich anwerben, die Mägde versuchten es auf eigne Hand. Unterdeß verlor sich die Jugend von den Schulen und Universitäten. Wenige bürgerliche Eltern waren damals so wohlhabend, daß sie ihre Söhne in der Studienzeit ganz aus eignen Mit¬ teln erhalten konnten. Dafür gab es eine Menge Stipendien, seit Jahrhun¬ derten hatten fromme Leute den armen Studenten Geld gestiftet. Der Werth der Stipendien schwand dem Schüler jetzt plötzlich dahin, sein Credit in der fremden Stadt war bald erschöpft, vielen Studirenden wurde die Eristenz un¬ möglich, sie verfielen der Armseligkeit und den Versuchungen der blutigen Zeit. Noch kann man in mehren Selbstbiographien ehrbarer Theologen lesen, welche Noth sie damals ertragen mußten. Dem einen wurde zur Rettung, daß er in Jena alle Tage für 4 Pfennige Semmel auf das Kerbholz seines Magisters schneiden durfte, ein anderer vermochte durch Stundengeben in der Woche 18 Batzen zu erwerben, die er aber sämmtlich sür trocknes Brot ausgeben mußte. Die Unzufriedenheit griff weiter. Zunächst die Kapitalisten, welche ihr Geld Der Silberwerth von -I Gulden gutes Neichsgeld ist lo^/z Sgr. unsers Geldes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/296>, abgerufen am 22.07.2024.