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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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wußte, daß die eine Seite des Balkens kürzer wurde, oder indem er durch
Heraufschnellen und langsames Herunterlassen der Wagschalen trotz dem loth¬
rechten Stand des Züngleins die Waare um einige Loth leichter machte, oder er
fälschte gar die Gewichte. Und was der Meister nicht that, das wagten die
Münzjungen. Wenn der Lieferant noch so vorsichtig war, sie wußten ihm un¬
ter die Schmelzprvben des bereits abgewogenen Silbers Kupferstaub zu mischen,
um die Probe schlechter zu machen, als sie wirklich war. -- In solcher Weise
war der Verkehr auch bei den Münzstätten, welche auf das Gesetz noch Rück¬
sicht nahmen.

Außer den approbirten Münzern aber gab es in den meisten der zehn
Kreise noch andere von leichterem Gewissen und kühnerer Thätigkeit. Nicht
gradezu Falschmünzer in unserem Sinne, obgleich auch dergleichen Privatin¬
dustrie mit großer Rücksichtslosigkeit betrieben wurde. Es waren Münzer im
Dienst eines Kreisstandes, welcher das Recht zu prägen hatte; dieser Standes-
herrn und Städte waren aber zur Zeit sehr viele, und allen lag ihr Münz¬
recht am Herzen, weil es Einnahme brachte. Deshalb wurde von ihnen auch
gegen die Neichsbeschlüfse, welche die Pflicht auferlegten, das Geld in einer
approbirten KreiSmünze prägen zu lassen, auf ihrem eignen Territorium kräftig
gemünzt. Zuweilen verpachteten sie ihr Münzrecht gegen eine Jahresrente,
ja sie verkauften ihre Münzstätte sogar an andere Herren. Dergleichen
unregelmäßige Prägstcllen wurden "Heckenmünzen" genannt. Und in ihnen
fand eine systematische Korruption des Geldes statt. Nach der Berech¬
tigung deS Münzers wurde wenig gefragt, wer mit Feuer und Eisen umzu¬
gehen wußte, verbarg sich zu solchem Werk. Aus den vorgeschriebenen Fein¬
gehalt und das Gewicht des Geldes ward wenig Rücksicht genommen, eS
ward mit falschen Stempeln geprägt und auf leichte Münzen Bild des Landes-
herrn und Jahreszahl aus einer bessern Zeit geschlagen, ja es wurden in wirk¬
licher Falschmünzerei die Stempel fremder Münzen nachgestochen. Den neu¬
geprägten Münzen ward dann durch Weinstein oder Lothwasser der neue Glanz
genommen. Alles unter dem Schutz des Landesherrn. DaS Vertreiben des
so geprägten Geldes erforderte alle Schlauheit und Vorsicht der Agenten, und
es bildete sich hier eine Industrie, bei welcher, wie sich vermuthen läßt, viele
Unterhändler und Zwischenträger beschäftigt waren. Auf Reichstagen und
Kreisversammlungen hatte man seit siebzig Jahren gegen die Heckenmünzen
donnernde Decrete erlassen, aber ohne Erfolg. Ja, seit Einführung des guten
Reichsgeldes waren sie häufiger und arbeitsamer geworden, denn seit der Zeit
lohnte ihre Arbeit besser.

Da kam das Jahr 1618, der Krieg, die Zerstörung des Reichsverbandes.
Die kleinen wie die großen Landeöherrrn brauchten Geld daS Kriegsvolk zu
bezahlen und doch brachten die Landessteuern weniger als sonst. Da singen einige


wußte, daß die eine Seite des Balkens kürzer wurde, oder indem er durch
Heraufschnellen und langsames Herunterlassen der Wagschalen trotz dem loth¬
rechten Stand des Züngleins die Waare um einige Loth leichter machte, oder er
fälschte gar die Gewichte. Und was der Meister nicht that, das wagten die
Münzjungen. Wenn der Lieferant noch so vorsichtig war, sie wußten ihm un¬
ter die Schmelzprvben des bereits abgewogenen Silbers Kupferstaub zu mischen,
um die Probe schlechter zu machen, als sie wirklich war. — In solcher Weise
war der Verkehr auch bei den Münzstätten, welche auf das Gesetz noch Rück¬
sicht nahmen.

Außer den approbirten Münzern aber gab es in den meisten der zehn
Kreise noch andere von leichterem Gewissen und kühnerer Thätigkeit. Nicht
gradezu Falschmünzer in unserem Sinne, obgleich auch dergleichen Privatin¬
dustrie mit großer Rücksichtslosigkeit betrieben wurde. Es waren Münzer im
Dienst eines Kreisstandes, welcher das Recht zu prägen hatte; dieser Standes-
herrn und Städte waren aber zur Zeit sehr viele, und allen lag ihr Münz¬
recht am Herzen, weil es Einnahme brachte. Deshalb wurde von ihnen auch
gegen die Neichsbeschlüfse, welche die Pflicht auferlegten, das Geld in einer
approbirten KreiSmünze prägen zu lassen, auf ihrem eignen Territorium kräftig
gemünzt. Zuweilen verpachteten sie ihr Münzrecht gegen eine Jahresrente,
ja sie verkauften ihre Münzstätte sogar an andere Herren. Dergleichen
unregelmäßige Prägstcllen wurden „Heckenmünzen" genannt. Und in ihnen
fand eine systematische Korruption des Geldes statt. Nach der Berech¬
tigung deS Münzers wurde wenig gefragt, wer mit Feuer und Eisen umzu¬
gehen wußte, verbarg sich zu solchem Werk. Aus den vorgeschriebenen Fein¬
gehalt und das Gewicht des Geldes ward wenig Rücksicht genommen, eS
ward mit falschen Stempeln geprägt und auf leichte Münzen Bild des Landes-
herrn und Jahreszahl aus einer bessern Zeit geschlagen, ja es wurden in wirk¬
licher Falschmünzerei die Stempel fremder Münzen nachgestochen. Den neu¬
geprägten Münzen ward dann durch Weinstein oder Lothwasser der neue Glanz
genommen. Alles unter dem Schutz des Landesherrn. DaS Vertreiben des
so geprägten Geldes erforderte alle Schlauheit und Vorsicht der Agenten, und
es bildete sich hier eine Industrie, bei welcher, wie sich vermuthen läßt, viele
Unterhändler und Zwischenträger beschäftigt waren. Auf Reichstagen und
Kreisversammlungen hatte man seit siebzig Jahren gegen die Heckenmünzen
donnernde Decrete erlassen, aber ohne Erfolg. Ja, seit Einführung des guten
Reichsgeldes waren sie häufiger und arbeitsamer geworden, denn seit der Zeit
lohnte ihre Arbeit besser.

Da kam das Jahr 1618, der Krieg, die Zerstörung des Reichsverbandes.
Die kleinen wie die großen Landeöherrrn brauchten Geld daS Kriegsvolk zu
bezahlen und doch brachten die Landessteuern weniger als sonst. Da singen einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/294>, abgerufen am 22.07.2024.