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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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mit einem Kometen. Man lernte die langgedehnten Bahnen der Irrsterne
kennen, welche die Ebene unserer Erdbahn in allen Richtungen durchschneiden,
man erkannte die Störungen dieser Bahnen, welche durch große Annäherung
an manche Planeten, z. B. den Jupiter veranlaßt sind, und man glaubte
darin einen realen Grund für die Möglichkeit eines dereinstigen Zusammen¬
treffens von Schweifsteruen mit unserm Planeten zu haben. Dadurch kam man in
Conflicte mit der eignen Erkenntniß und der durch dieselbe angeregten Furcht
der großen Menge. Als Lalande 1773 anzeigte, daß er eine Schrift über
die Kometen veröffentlichen werde, welche der Erde nahe kommen könnten, hieß
es sogleich, er habe entdeckt, es werde bald ein Komet erscheinen, welcher den
Untergang der Welt herbeiführen werde, und der berühmte Astronom mußte
öffentlich erklären, daß er nichts prophezeihen wolle. Daß die Welt seitdem
nicht sehr fortgeschritten ist, haben wir in diesem Jahre gesehen, wo die ge-
sammte pariser Presse wochenlang ihre Spalten mit Speculationen über den
seit 1848 erwarteten Kometen und seine Wirkung auf die Erde füllte und wo
auch der deutsche Büchermarkt von literarischen Machwerken wimmelte, welche
das Für und Wider des Untergangs der Erde durch einen Kometen erwogen.
Die Astronomie hat festgestellt, daß ein Zusammenstoß dieser Art einen äußerst
geringen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat und daß ein solcher Zu¬
sammenstoß, wenn er einträte, kaum irgend welche gefahrbringende Folgen
haben würde. Hinsichtlich derer aber, welche der Wissenschaft fernstehen, wird
-- man erinnere sich an die vielen Gläubigen, welche die Prophezeihungen
eines anonymen Spaßvogels*) vom Weltuntergange am 13. Juni fanden --
vielfach das Urtheil Aragos in seiner Schrift über den halleyschen Kometen
Geltung haben, wo er die Widerlegung jener sorsterschen Behauptung und
verwandter Meinungen nicht für überflüssig erklärt und dann fortfährt: "Ueber-
dies leihe man in den Versammlungen, welche man xranä monäs zu nennen
gewohnt ist, einen Augenblick den langen Unterredungen sein Ohr, deren Tert
der zu erwartende Komet ist, und entscheide man sodann, ob wir uns wirklich
der vorgeblichen Verbreitung der Aufklärung rühmen dürfen, welche so viele
Optimisten als das charakteristische Zeichen unseres Jahrhunderts zu bezeichnen
Pflegen."

Die obenerwähnte kleine Schrift ist der Aufklärung über das Wesen der
Kometen gewidmet. Sie ist, da jene Unzahl von Broschüren über die Mög¬
lichkeit deS Weltuntergangs am 13. Juni fast nur aus Compilationen litera¬
rischer Handlanger bestand, da die populären Schriften der Astronomie die
Kometen meist kurz behandeln und die gelehrten Arbeiten über diesen Gegen¬
stand dem Laien nicht verständlich genug sind, willkommen zu heißen. Der



") Die anfängliche Meinung, es sei der belgische Geistliche Laehnsberg der Urheber, hat
sich nicht bestätigt.

mit einem Kometen. Man lernte die langgedehnten Bahnen der Irrsterne
kennen, welche die Ebene unserer Erdbahn in allen Richtungen durchschneiden,
man erkannte die Störungen dieser Bahnen, welche durch große Annäherung
an manche Planeten, z. B. den Jupiter veranlaßt sind, und man glaubte
darin einen realen Grund für die Möglichkeit eines dereinstigen Zusammen¬
treffens von Schweifsteruen mit unserm Planeten zu haben. Dadurch kam man in
Conflicte mit der eignen Erkenntniß und der durch dieselbe angeregten Furcht
der großen Menge. Als Lalande 1773 anzeigte, daß er eine Schrift über
die Kometen veröffentlichen werde, welche der Erde nahe kommen könnten, hieß
es sogleich, er habe entdeckt, es werde bald ein Komet erscheinen, welcher den
Untergang der Welt herbeiführen werde, und der berühmte Astronom mußte
öffentlich erklären, daß er nichts prophezeihen wolle. Daß die Welt seitdem
nicht sehr fortgeschritten ist, haben wir in diesem Jahre gesehen, wo die ge-
sammte pariser Presse wochenlang ihre Spalten mit Speculationen über den
seit 1848 erwarteten Kometen und seine Wirkung auf die Erde füllte und wo
auch der deutsche Büchermarkt von literarischen Machwerken wimmelte, welche
das Für und Wider des Untergangs der Erde durch einen Kometen erwogen.
Die Astronomie hat festgestellt, daß ein Zusammenstoß dieser Art einen äußerst
geringen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat und daß ein solcher Zu¬
sammenstoß, wenn er einträte, kaum irgend welche gefahrbringende Folgen
haben würde. Hinsichtlich derer aber, welche der Wissenschaft fernstehen, wird
— man erinnere sich an die vielen Gläubigen, welche die Prophezeihungen
eines anonymen Spaßvogels*) vom Weltuntergange am 13. Juni fanden —
vielfach das Urtheil Aragos in seiner Schrift über den halleyschen Kometen
Geltung haben, wo er die Widerlegung jener sorsterschen Behauptung und
verwandter Meinungen nicht für überflüssig erklärt und dann fortfährt: „Ueber-
dies leihe man in den Versammlungen, welche man xranä monäs zu nennen
gewohnt ist, einen Augenblick den langen Unterredungen sein Ohr, deren Tert
der zu erwartende Komet ist, und entscheide man sodann, ob wir uns wirklich
der vorgeblichen Verbreitung der Aufklärung rühmen dürfen, welche so viele
Optimisten als das charakteristische Zeichen unseres Jahrhunderts zu bezeichnen
Pflegen."

Die obenerwähnte kleine Schrift ist der Aufklärung über das Wesen der
Kometen gewidmet. Sie ist, da jene Unzahl von Broschüren über die Mög¬
lichkeit deS Weltuntergangs am 13. Juni fast nur aus Compilationen litera¬
rischer Handlanger bestand, da die populären Schriften der Astronomie die
Kometen meist kurz behandeln und die gelehrten Arbeiten über diesen Gegen¬
stand dem Laien nicht verständlich genug sind, willkommen zu heißen. Der



") Die anfängliche Meinung, es sei der belgische Geistliche Laehnsberg der Urheber, hat
sich nicht bestätigt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/277>, abgerufen am 01.10.2024.