Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

daß seine Mutter ihr Haus räumen mußte, hat dieser junge, übelerzogene,
gottlose Lenker auf ihn gewartet, als er nach der Kirche zu Haus gehn wollte,
und ist ihm mit seiner Wehre gefolgt, ihn zu erstechen oder gröblich zu ver¬
wunden, mein Vater aber ist nach Haus geeilt und hat die Thür gewonnen,
ehe er an ihn gelangen konnte. Als nun dieser Sohn alles durchgejagt, ist
er in großer Armuth gestorben und hat seine oben gemeldete Tochter Maria
hinterlassen, die man jetzt manchmal auf dem Markte sitzen sieht, Fische zu
verkaufen. Das hat daraus folgen müsse", daß Mutter und Sohn in die
Fußtapfen ihrer Voreltern getreten und nicht durch ihre Exempel gewitzigt
worden sind. Denn die Mutter ist von des Bürgermeisters Wulf Wulflam
Freundschaft und Geblüt gewesen, von dem geschrieben ward, daß er in
Reichthum keinen Gleichen an der Seeküste hatte. Seine Frau ist so stolzen
Geistes gewesen, daß sie des Fürsten zu Pommern Spielleute von Stettin
holen ließ, als sie zur zweiten Ehe schritt, und an ihrem Brauttage auf einem
englischen Stücke Tuch, das sie von ihrem Hause bis zur Kirche breiten ließ, nach
der Kirche ging; item daß sie den reinsten, weichsten rigaschen Flachs aus dem heim¬
lichen Gemache gebraucht hat, den H-- damit zu wischen. Aber von dem gerechten
Gott, der die Hoffart vom Himmel verstoßen hat, wurde sie mit Armuth ge¬
straft, daß sie nur noch eine silberne Schale gehabt hat; mit derselben hat sie
von Haus zu Haus die Almosen gebeten mit diesen Worten: "Gebet der
armen reichen Frau etwas!" und hat ihre alte Dienstmagd flehend angerufen,
ihr um Gottes Willen Leinenzeug zum Halskragen und ein Hemde zu geben.
Als diese ihr solches brachte, hat sie gesagt: "Sehet, Frau, das Garn, woraus
diese Leinwand gemacht ist, habe ich von dem Flachs gesponnen, womit Ihr
den H-- Pflegtet zu wischen; den ich aber mit Fleiß aufhob, verwahrte und
rein aushechelte."

Während dem Nechtstreit ist mein Bruder Johannes zu Wittcnbng Ma¬
gister geworden, wo er unter dreizehn die erste Nummer gehabt, und darum von
meinen Eltern aufgefordert worden nach Hauses zu kommen. Vor seinem Ab¬
gange von Wittenberg hat er von l)r. Martin Luther ein Schreiben an mei¬
nen Vater erbeten, weil dieser wegen deS Rechtsstreites mit Hermann Bruser
und den Lewelingschen etliche Jahre sich vom Tisch des Herrn enthalten hatte/)
Welches Schreiben wörtlich also lautet:


"Dem ehrbaren, fürstchtigen Nicolaus Sastrow, Bürger zu Stralsund,
meinem günstigen, guten Freund, (irutm et ?ax. -- ES hat mir Euer lieber
Sohn M. Johannes angezeigt mit beweglicher Klage, lieber Freund, wie Ihr
Euch deS Sacraments so viele Jahre enthaltet, zu großem ärgerlichem Exem¬
pel für andere, und hat mich gebeten, Euch zu vermahnen von solchem gc-


Der Vater Sastrow ging aus Gewissenhaftigkeit nicht zum Abendmahl, weil er die
Bedingung nicht erfüllen wollte, seinen Feinden zu vergeben.

daß seine Mutter ihr Haus räumen mußte, hat dieser junge, übelerzogene,
gottlose Lenker auf ihn gewartet, als er nach der Kirche zu Haus gehn wollte,
und ist ihm mit seiner Wehre gefolgt, ihn zu erstechen oder gröblich zu ver¬
wunden, mein Vater aber ist nach Haus geeilt und hat die Thür gewonnen,
ehe er an ihn gelangen konnte. Als nun dieser Sohn alles durchgejagt, ist
er in großer Armuth gestorben und hat seine oben gemeldete Tochter Maria
hinterlassen, die man jetzt manchmal auf dem Markte sitzen sieht, Fische zu
verkaufen. Das hat daraus folgen müsse», daß Mutter und Sohn in die
Fußtapfen ihrer Voreltern getreten und nicht durch ihre Exempel gewitzigt
worden sind. Denn die Mutter ist von des Bürgermeisters Wulf Wulflam
Freundschaft und Geblüt gewesen, von dem geschrieben ward, daß er in
Reichthum keinen Gleichen an der Seeküste hatte. Seine Frau ist so stolzen
Geistes gewesen, daß sie des Fürsten zu Pommern Spielleute von Stettin
holen ließ, als sie zur zweiten Ehe schritt, und an ihrem Brauttage auf einem
englischen Stücke Tuch, das sie von ihrem Hause bis zur Kirche breiten ließ, nach
der Kirche ging; item daß sie den reinsten, weichsten rigaschen Flachs aus dem heim¬
lichen Gemache gebraucht hat, den H— damit zu wischen. Aber von dem gerechten
Gott, der die Hoffart vom Himmel verstoßen hat, wurde sie mit Armuth ge¬
straft, daß sie nur noch eine silberne Schale gehabt hat; mit derselben hat sie
von Haus zu Haus die Almosen gebeten mit diesen Worten: „Gebet der
armen reichen Frau etwas!" und hat ihre alte Dienstmagd flehend angerufen,
ihr um Gottes Willen Leinenzeug zum Halskragen und ein Hemde zu geben.
Als diese ihr solches brachte, hat sie gesagt: „Sehet, Frau, das Garn, woraus
diese Leinwand gemacht ist, habe ich von dem Flachs gesponnen, womit Ihr
den H— Pflegtet zu wischen; den ich aber mit Fleiß aufhob, verwahrte und
rein aushechelte."

Während dem Nechtstreit ist mein Bruder Johannes zu Wittcnbng Ma¬
gister geworden, wo er unter dreizehn die erste Nummer gehabt, und darum von
meinen Eltern aufgefordert worden nach Hauses zu kommen. Vor seinem Ab¬
gange von Wittenberg hat er von l)r. Martin Luther ein Schreiben an mei¬
nen Vater erbeten, weil dieser wegen deS Rechtsstreites mit Hermann Bruser
und den Lewelingschen etliche Jahre sich vom Tisch des Herrn enthalten hatte/)
Welches Schreiben wörtlich also lautet:


„Dem ehrbaren, fürstchtigen Nicolaus Sastrow, Bürger zu Stralsund,
meinem günstigen, guten Freund, (irutm et ?ax. — ES hat mir Euer lieber
Sohn M. Johannes angezeigt mit beweglicher Klage, lieber Freund, wie Ihr
Euch deS Sacraments so viele Jahre enthaltet, zu großem ärgerlichem Exem¬
pel für andere, und hat mich gebeten, Euch zu vermahnen von solchem gc-


Der Vater Sastrow ging aus Gewissenhaftigkeit nicht zum Abendmahl, weil er die
Bedingung nicht erfüllen wollte, seinen Feinden zu vergeben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104227"/>
            <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> daß seine Mutter ihr Haus räumen mußte, hat dieser junge, übelerzogene,<lb/>
gottlose Lenker auf ihn gewartet, als er nach der Kirche zu Haus gehn wollte,<lb/>
und ist ihm mit seiner Wehre gefolgt, ihn zu erstechen oder gröblich zu ver¬<lb/>
wunden, mein Vater aber ist nach Haus geeilt und hat die Thür gewonnen,<lb/>
ehe er an ihn gelangen konnte. Als nun dieser Sohn alles durchgejagt, ist<lb/>
er in großer Armuth gestorben und hat seine oben gemeldete Tochter Maria<lb/>
hinterlassen, die man jetzt manchmal auf dem Markte sitzen sieht, Fische zu<lb/>
verkaufen. Das hat daraus folgen müsse», daß Mutter und Sohn in die<lb/>
Fußtapfen ihrer Voreltern getreten und nicht durch ihre Exempel gewitzigt<lb/>
worden sind. Denn die Mutter ist von des Bürgermeisters Wulf Wulflam<lb/>
Freundschaft und Geblüt gewesen, von dem geschrieben ward, daß er in<lb/>
Reichthum keinen Gleichen an der Seeküste hatte. Seine Frau ist so stolzen<lb/>
Geistes gewesen, daß sie des Fürsten zu Pommern Spielleute von Stettin<lb/>
holen ließ, als sie zur zweiten Ehe schritt, und an ihrem Brauttage auf einem<lb/>
englischen Stücke Tuch, das sie von ihrem Hause bis zur Kirche breiten ließ, nach<lb/>
der Kirche ging; item daß sie den reinsten, weichsten rigaschen Flachs aus dem heim¬<lb/>
lichen Gemache gebraucht hat, den H&#x2014; damit zu wischen. Aber von dem gerechten<lb/>
Gott, der die Hoffart vom Himmel verstoßen hat, wurde sie mit Armuth ge¬<lb/>
straft, daß sie nur noch eine silberne Schale gehabt hat; mit derselben hat sie<lb/>
von Haus zu Haus die Almosen gebeten mit diesen Worten: &#x201E;Gebet der<lb/>
armen reichen Frau etwas!" und hat ihre alte Dienstmagd flehend angerufen,<lb/>
ihr um Gottes Willen Leinenzeug zum Halskragen und ein Hemde zu geben.<lb/>
Als diese ihr solches brachte, hat sie gesagt: &#x201E;Sehet, Frau, das Garn, woraus<lb/>
diese Leinwand gemacht ist, habe ich von dem Flachs gesponnen, womit Ihr<lb/>
den H&#x2014; Pflegtet zu wischen; den ich aber mit Fleiß aufhob, verwahrte und<lb/>
rein aushechelte."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_61"> Während dem Nechtstreit ist mein Bruder Johannes zu Wittcnbng Ma¬<lb/>
gister geworden, wo er unter dreizehn die erste Nummer gehabt, und darum von<lb/>
meinen Eltern aufgefordert worden nach Hauses zu kommen. Vor seinem Ab¬<lb/>
gange von Wittenberg hat er von l)r. Martin Luther ein Schreiben an mei¬<lb/>
nen Vater erbeten, weil dieser wegen deS Rechtsstreites mit Hermann Bruser<lb/>
und den Lewelingschen etliche Jahre sich vom Tisch des Herrn enthalten hatte/)<lb/>
Welches Schreiben wörtlich also lautet:</p><lb/>
            <quote> &#x201E;Dem ehrbaren, fürstchtigen Nicolaus Sastrow, Bürger zu Stralsund,<lb/>
meinem günstigen, guten Freund, (irutm et ?ax. &#x2014; ES hat mir Euer lieber<lb/>
Sohn M. Johannes angezeigt mit beweglicher Klage, lieber Freund, wie Ihr<lb/>
Euch deS Sacraments so viele Jahre enthaltet, zu großem ärgerlichem Exem¬<lb/>
pel für andere, und hat mich gebeten, Euch zu vermahnen von solchem gc-</quote><lb/>
            <note xml:id="FID_5" place="foot"> Der Vater Sastrow ging aus Gewissenhaftigkeit nicht zum Abendmahl, weil er die<lb/>
Bedingung nicht erfüllen wollte, seinen Feinden zu vergeben.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] daß seine Mutter ihr Haus räumen mußte, hat dieser junge, übelerzogene, gottlose Lenker auf ihn gewartet, als er nach der Kirche zu Haus gehn wollte, und ist ihm mit seiner Wehre gefolgt, ihn zu erstechen oder gröblich zu ver¬ wunden, mein Vater aber ist nach Haus geeilt und hat die Thür gewonnen, ehe er an ihn gelangen konnte. Als nun dieser Sohn alles durchgejagt, ist er in großer Armuth gestorben und hat seine oben gemeldete Tochter Maria hinterlassen, die man jetzt manchmal auf dem Markte sitzen sieht, Fische zu verkaufen. Das hat daraus folgen müsse», daß Mutter und Sohn in die Fußtapfen ihrer Voreltern getreten und nicht durch ihre Exempel gewitzigt worden sind. Denn die Mutter ist von des Bürgermeisters Wulf Wulflam Freundschaft und Geblüt gewesen, von dem geschrieben ward, daß er in Reichthum keinen Gleichen an der Seeküste hatte. Seine Frau ist so stolzen Geistes gewesen, daß sie des Fürsten zu Pommern Spielleute von Stettin holen ließ, als sie zur zweiten Ehe schritt, und an ihrem Brauttage auf einem englischen Stücke Tuch, das sie von ihrem Hause bis zur Kirche breiten ließ, nach der Kirche ging; item daß sie den reinsten, weichsten rigaschen Flachs aus dem heim¬ lichen Gemache gebraucht hat, den H— damit zu wischen. Aber von dem gerechten Gott, der die Hoffart vom Himmel verstoßen hat, wurde sie mit Armuth ge¬ straft, daß sie nur noch eine silberne Schale gehabt hat; mit derselben hat sie von Haus zu Haus die Almosen gebeten mit diesen Worten: „Gebet der armen reichen Frau etwas!" und hat ihre alte Dienstmagd flehend angerufen, ihr um Gottes Willen Leinenzeug zum Halskragen und ein Hemde zu geben. Als diese ihr solches brachte, hat sie gesagt: „Sehet, Frau, das Garn, woraus diese Leinwand gemacht ist, habe ich von dem Flachs gesponnen, womit Ihr den H— Pflegtet zu wischen; den ich aber mit Fleiß aufhob, verwahrte und rein aushechelte." Während dem Nechtstreit ist mein Bruder Johannes zu Wittcnbng Ma¬ gister geworden, wo er unter dreizehn die erste Nummer gehabt, und darum von meinen Eltern aufgefordert worden nach Hauses zu kommen. Vor seinem Ab¬ gange von Wittenberg hat er von l)r. Martin Luther ein Schreiben an mei¬ nen Vater erbeten, weil dieser wegen deS Rechtsstreites mit Hermann Bruser und den Lewelingschen etliche Jahre sich vom Tisch des Herrn enthalten hatte/) Welches Schreiben wörtlich also lautet: „Dem ehrbaren, fürstchtigen Nicolaus Sastrow, Bürger zu Stralsund, meinem günstigen, guten Freund, (irutm et ?ax. — ES hat mir Euer lieber Sohn M. Johannes angezeigt mit beweglicher Klage, lieber Freund, wie Ihr Euch deS Sacraments so viele Jahre enthaltet, zu großem ärgerlichem Exem¬ pel für andere, und hat mich gebeten, Euch zu vermahnen von solchem gc- Der Vater Sastrow ging aus Gewissenhaftigkeit nicht zum Abendmahl, weil er die Bedingung nicht erfüllen wollte, seinen Feinden zu vergeben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/26>, abgerufen am 26.08.2024.