Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.betrifft, so läßt sich die nicht bei Leuten erwarten, die seil Jahrhunderten eine betrifft, so läßt sich die nicht bei Leuten erwarten, die seil Jahrhunderten eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104447"/> <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664" next="#ID_666"> betrifft, so läßt sich die nicht bei Leuten erwarten, die seil Jahrhunderten eine<lb/> Dynastie nach der andern wie in einem Wirbelsturm sich folgen sahen, die ab¬<lb/> wechselnd unter indischer, heidnischer, mongolischer Maratten- und Sikhhcrrschast ge¬<lb/> standen, und bei allem Wechsel der Herren immer unter demselben Druck gelebt<lb/> haben. Wenn wir sagen, die Naives leben im Ganzen unter gerechten und milden<lb/> Gesetzen, so hören wir schon unsere Gegner voll Hohn ausrufen: Gehören dazu<lb/> auch die zahlreichen Fälle von Tortur, welche im vorigen Jahre im Parlament<lb/> enthüllt wurden und welche die Welt mit Abscheu vor dem englischen Namen erfüllt<lb/> haben,? Uns ist das Wehgeschrei, das damals über England und die ostindische Com¬<lb/> pagnie erschollen ist, noch recht wohl erinnerlich, und das: „Herr Gott, wir danken<lb/> dir, daß wir nicht sind wie diese Zöllner und Sünder" einiger Diplomaten<lb/> war zu interessant, um so bald vergessen zu werden. Aber leider müssen wir<lb/> unsern Gegnern sagen, daß sie ihre tugendhafte Entrüstung nie mehr an den unrechten<lb/> Mann gebracht haben, als damals. Alle diese Mlle von Tortur find vorgekommen,<lb/> das ist unleugbar. Aber die Praxis ist weder von den Engländern eingeführt,<lb/> noch von ihnen geübt. Es ist ein Erbstück aus der frühern indischen Verwaltung,<lb/> ein Rest alter Mißbräuche, der übrig geblieben ist, weil sämmtliche niedrige Ver¬<lb/> waltungsstellen von Einheimischen besetzt find, und die Zahl der europäischen Be¬<lb/> amten leider zu gering ist, als daß sie ihr Auge überall haben könnten. Und die<lb/> Zustände des indischen Naives sind seit Jahrhunderten so, daß er sich eher über<lb/> das Aufhören solcher Praktiken wundern, als wegen der Fortdauer, selbst wenn die<lb/> Engländer sich dazu erniedrigten, auflehnen würde. Um zu sehen, welche Behand¬<lb/> lung ein ostindischer Raiot gewohnt geworden war, braucht man z. B. nur einen<lb/> Blick in die dem Parlament vorgelegten Documente über die Regierung des zuletzt<lb/> abgesetzten Königs von Audh zu werfen. Die Ohnmacht der Negierung hatte<lb/> aus deu Scmindars, den erblichen Steuereinnehmern, eine Näubcraristokratie werden<lb/> lassen, welche ganz unabhängig dastand und das Land aus eigne Rechnung bis auf<lb/> das Blut aussog. Der erste Schritt eines solchen Scmindars war, sich mit<lb/> einem bewaffneten Gefolge zu umgeben und eine feste Burg zu erbauen, um sich<lb/> der Bezahlung der Steuern zu entziehen, die er für den König einsammeln sollte.<lb/> Häufig verwandelte er weite Strecken fruchtbaren Bodens in Dschungelland als mi¬<lb/> litärisches Vertheidigungsmittel. Einige dieser künstlichen Einöden sind Strecken von<lb/> 10—20 englische Meilen Länge und i—8 Meilen Breite. „Diese Dschungeln,"<lb/> sagt Oberst Slcemann, „und die Burgen, die sich darin befinden, find die Schlupf¬<lb/> winkel von Räuber», die alle Theile des Landes heimsuchen, den Regierungsbe¬<lb/> hörden Trotz bieten, allen Gewerbsleuten und Reisenden unerträgliche Steuern<lb/> auflegen und Leben und Eigenthum überall unsicher machen." Eine Heldenthat<lb/> des Guugavuksch, eines dieser unruhigen Grundbesitzer, mag als Beispiel dienen.<lb/> Er hauste in seiner Burg ungefähr 16 englische Meilen von den Cantonnirnngs-<lb/> auartieren von Lacknau und im ruhigen Besitz einer großen Herrschaft, aus der er<lb/> die rechtmäßigen Eigenthümer mit Gewalt vertrieben hatte. Ohne irgendeinen Be¬<lb/> schwerdegrund gegen die Negierung von Audh, die ihrer Schwäche sich bewußt, sich<lb/> alle seine Uebergriffe und Gewaltthaten hatte gefallen lassen, bemächtigte er sich im<lb/> October 18i9 einer andern Besitzung in seiner Nähe und ermordete nicht weniger<lb/> als 29 der Eigenthümer. „Er und die andern Mitglieder seiner zahlreichen Fa-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
betrifft, so läßt sich die nicht bei Leuten erwarten, die seil Jahrhunderten eine
Dynastie nach der andern wie in einem Wirbelsturm sich folgen sahen, die ab¬
wechselnd unter indischer, heidnischer, mongolischer Maratten- und Sikhhcrrschast ge¬
standen, und bei allem Wechsel der Herren immer unter demselben Druck gelebt
haben. Wenn wir sagen, die Naives leben im Ganzen unter gerechten und milden
Gesetzen, so hören wir schon unsere Gegner voll Hohn ausrufen: Gehören dazu
auch die zahlreichen Fälle von Tortur, welche im vorigen Jahre im Parlament
enthüllt wurden und welche die Welt mit Abscheu vor dem englischen Namen erfüllt
haben,? Uns ist das Wehgeschrei, das damals über England und die ostindische Com¬
pagnie erschollen ist, noch recht wohl erinnerlich, und das: „Herr Gott, wir danken
dir, daß wir nicht sind wie diese Zöllner und Sünder" einiger Diplomaten
war zu interessant, um so bald vergessen zu werden. Aber leider müssen wir
unsern Gegnern sagen, daß sie ihre tugendhafte Entrüstung nie mehr an den unrechten
Mann gebracht haben, als damals. Alle diese Mlle von Tortur find vorgekommen,
das ist unleugbar. Aber die Praxis ist weder von den Engländern eingeführt,
noch von ihnen geübt. Es ist ein Erbstück aus der frühern indischen Verwaltung,
ein Rest alter Mißbräuche, der übrig geblieben ist, weil sämmtliche niedrige Ver¬
waltungsstellen von Einheimischen besetzt find, und die Zahl der europäischen Be¬
amten leider zu gering ist, als daß sie ihr Auge überall haben könnten. Und die
Zustände des indischen Naives sind seit Jahrhunderten so, daß er sich eher über
das Aufhören solcher Praktiken wundern, als wegen der Fortdauer, selbst wenn die
Engländer sich dazu erniedrigten, auflehnen würde. Um zu sehen, welche Behand¬
lung ein ostindischer Raiot gewohnt geworden war, braucht man z. B. nur einen
Blick in die dem Parlament vorgelegten Documente über die Regierung des zuletzt
abgesetzten Königs von Audh zu werfen. Die Ohnmacht der Negierung hatte
aus deu Scmindars, den erblichen Steuereinnehmern, eine Näubcraristokratie werden
lassen, welche ganz unabhängig dastand und das Land aus eigne Rechnung bis auf
das Blut aussog. Der erste Schritt eines solchen Scmindars war, sich mit
einem bewaffneten Gefolge zu umgeben und eine feste Burg zu erbauen, um sich
der Bezahlung der Steuern zu entziehen, die er für den König einsammeln sollte.
Häufig verwandelte er weite Strecken fruchtbaren Bodens in Dschungelland als mi¬
litärisches Vertheidigungsmittel. Einige dieser künstlichen Einöden sind Strecken von
10—20 englische Meilen Länge und i—8 Meilen Breite. „Diese Dschungeln,"
sagt Oberst Slcemann, „und die Burgen, die sich darin befinden, find die Schlupf¬
winkel von Räuber», die alle Theile des Landes heimsuchen, den Regierungsbe¬
hörden Trotz bieten, allen Gewerbsleuten und Reisenden unerträgliche Steuern
auflegen und Leben und Eigenthum überall unsicher machen." Eine Heldenthat
des Guugavuksch, eines dieser unruhigen Grundbesitzer, mag als Beispiel dienen.
Er hauste in seiner Burg ungefähr 16 englische Meilen von den Cantonnirnngs-
auartieren von Lacknau und im ruhigen Besitz einer großen Herrschaft, aus der er
die rechtmäßigen Eigenthümer mit Gewalt vertrieben hatte. Ohne irgendeinen Be¬
schwerdegrund gegen die Negierung von Audh, die ihrer Schwäche sich bewußt, sich
alle seine Uebergriffe und Gewaltthaten hatte gefallen lassen, bemächtigte er sich im
October 18i9 einer andern Besitzung in seiner Nähe und ermordete nicht weniger
als 29 der Eigenthümer. „Er und die andern Mitglieder seiner zahlreichen Fa-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |