Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.Herrschaft, hat an innerer Tüchtigkeit viel verloren, und seit dem großen Militär- Die Verwendung der Sipoys als reguläre Truppen in Ostindien ist nicht Die Zusammensetzung der eingebornen Armee war aber damals ganz anders Herrschaft, hat an innerer Tüchtigkeit viel verloren, und seit dem großen Militär- Die Verwendung der Sipoys als reguläre Truppen in Ostindien ist nicht Die Zusammensetzung der eingebornen Armee war aber damals ganz anders <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104439"/> <p xml:id="ID_643" prev="#ID_642"> Herrschaft, hat an innerer Tüchtigkeit viel verloren, und seit dem großen Militär-<lb/> anfstand in Vellore im Jahr 1806, haben sich Meutereien von größerem oder ge¬<lb/> ringerem Umfang in immer kürzeren Zwischenräumen wiederholt. Auf dem Schlacht¬<lb/> feld haben die Sipoys unter europäischer Führung immer große Tapferkeit gezeigt,<lb/> aber dabei hat sich unter ihnen ein Geist der Unzufriedenheit verbreitet, der gern<lb/> launenhaft die geringfügigsten Vorwände benutzt, um den Offizieren den Gehorsam<lb/> zu verweigern. Bald findet der Sipoy, daß er Kaste verliert, wenn er zur See<lb/> von Ostindien transportirt wird, oder er verlangt Extralohnung, oder Fuhrwerk,<lb/> oder er will seine -Familie mitnehmen. Im Frieden gibt ihm seine Religion reich¬<lb/> lichen Vorwand, seine Widerspenstigkeit an den Tag zu legen. Man hat Beispiele,<lb/> daß er plötzlich einen entsetzlichen Abscheu vor Leder gefaßt hat. und jetzt fühlt er<lb/> Gewissensskrupel bei dem Abbeißen von Patronen, bet deren Verfertigung Ninds-<lb/> talg oder Schweineschmecr verwendet sein könnte. Jahr sür Jahr hat dieser Geist<lb/> der Widersetzlichkeit zugenommen, und die einzige Schuld der Verschlechterung der<lb/> früher so vortrefflichen Waffe trifft die ostindische Compagnie, die ein neues Prin¬<lb/> cip in der. Organisation der Sipoys grade so weit durchgeführt hat, daß die immer<lb/> noch nothwendigen eingebornen Offiziere sich verletzt und zurückgesetzt fühlen und die<lb/> europäischen Offiziere weder zahlreich noch tüchtig genug sind, um jene ganz ent¬<lb/> behrlich zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_644"> Die Verwendung der Sipoys als reguläre Truppen in Ostindien ist nicht<lb/> älter als hundert Jahr. 17i6, bei der Belagerung von Cuddalore, traten die Fran¬<lb/> zosen zuerst mit einer Abtheilung eingeborner Truppen, ans europäische Weise be¬<lb/> waffnet und exercirt, auf. Der Werth und die Tüchtigkeit» dieses Bataillons<lb/> machte sich den Engländern bald fühlbar und sie beschlossen ein ähnliches zu organi-<lb/> siren, was auch noch in demselben Jahre geschah. Und so treffliche Dienste leistete<lb/> das Sipoyscorps in den militärischen Operationen, welche mit der Einnahme von<lb/> Madras endigten, daß man bald noch andere Bataillone formirte. Diese zeigten<lb/> sich nnter der Führung Clives und seiner Zeitgenossen zu jeder Leistung sähig.<lb/> Die Vertheidigung von Arcot, die Schlacht von Wolcvnda und zahlreiche andere Ge¬<lb/> fechte lieferten den Beweis, daß sie als militärisches Corps nichts zu wünschen<lb/> übrig ließen, und daß die Compagnie in den Eingebornen eine unerschöpfliche<lb/> Quelle von Recruten sich öffnen konnte. Dem Beispiel von Madras folgten die<lb/> anderen Präsidentschaften. Nach der Wiedereinnähme von Kalkutta organisirte auch<lb/> Bombay und Bengalen Sivoybataillone und gemeinschaftlich mit ihren europäischen<lb/> und Madraskameraden gewannen sie die Schlacht von Plassy und legten den Grund<lb/> zu der Macht, die jetzt alleinherrschend in Ostindien ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_645" next="#ID_646"> Die Zusammensetzung der eingebornen Armee war aber damals ganz anders<lb/> als gegenwärtig. Sie bestand zu jener Zeit ausschließlich aus Infanterie, die obgleich<lb/> nach europäischer Weise exercirt, im Krieg und im Frieden unter Führern stand,<lb/> die mit der Mannschaft durch Bande des Bluts oder durch eine Art Clanverhältniß<lb/> verknüpft waren. Zwar ward gelegentlich, aber nicht immer, einem Bataillon ein<lb/> mit der Sprache und den Sitten der Eingebornen vertrauter Offizier beigegeben;<lb/> aber er war mehr eine Art militärischer Kommissar, als Befehlshaber, er erläuterte<lb/> dem eingebornen Commandanten die Befehle des Generals, mischte sich aber nicht<lb/> in die dienstlichen Anordnungen, die zu ihrer Ausführung nothwendig wurden. In</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Herrschaft, hat an innerer Tüchtigkeit viel verloren, und seit dem großen Militär-
anfstand in Vellore im Jahr 1806, haben sich Meutereien von größerem oder ge¬
ringerem Umfang in immer kürzeren Zwischenräumen wiederholt. Auf dem Schlacht¬
feld haben die Sipoys unter europäischer Führung immer große Tapferkeit gezeigt,
aber dabei hat sich unter ihnen ein Geist der Unzufriedenheit verbreitet, der gern
launenhaft die geringfügigsten Vorwände benutzt, um den Offizieren den Gehorsam
zu verweigern. Bald findet der Sipoy, daß er Kaste verliert, wenn er zur See
von Ostindien transportirt wird, oder er verlangt Extralohnung, oder Fuhrwerk,
oder er will seine -Familie mitnehmen. Im Frieden gibt ihm seine Religion reich¬
lichen Vorwand, seine Widerspenstigkeit an den Tag zu legen. Man hat Beispiele,
daß er plötzlich einen entsetzlichen Abscheu vor Leder gefaßt hat. und jetzt fühlt er
Gewissensskrupel bei dem Abbeißen von Patronen, bet deren Verfertigung Ninds-
talg oder Schweineschmecr verwendet sein könnte. Jahr sür Jahr hat dieser Geist
der Widersetzlichkeit zugenommen, und die einzige Schuld der Verschlechterung der
früher so vortrefflichen Waffe trifft die ostindische Compagnie, die ein neues Prin¬
cip in der. Organisation der Sipoys grade so weit durchgeführt hat, daß die immer
noch nothwendigen eingebornen Offiziere sich verletzt und zurückgesetzt fühlen und die
europäischen Offiziere weder zahlreich noch tüchtig genug sind, um jene ganz ent¬
behrlich zu machen.
Die Verwendung der Sipoys als reguläre Truppen in Ostindien ist nicht
älter als hundert Jahr. 17i6, bei der Belagerung von Cuddalore, traten die Fran¬
zosen zuerst mit einer Abtheilung eingeborner Truppen, ans europäische Weise be¬
waffnet und exercirt, auf. Der Werth und die Tüchtigkeit» dieses Bataillons
machte sich den Engländern bald fühlbar und sie beschlossen ein ähnliches zu organi-
siren, was auch noch in demselben Jahre geschah. Und so treffliche Dienste leistete
das Sipoyscorps in den militärischen Operationen, welche mit der Einnahme von
Madras endigten, daß man bald noch andere Bataillone formirte. Diese zeigten
sich nnter der Führung Clives und seiner Zeitgenossen zu jeder Leistung sähig.
Die Vertheidigung von Arcot, die Schlacht von Wolcvnda und zahlreiche andere Ge¬
fechte lieferten den Beweis, daß sie als militärisches Corps nichts zu wünschen
übrig ließen, und daß die Compagnie in den Eingebornen eine unerschöpfliche
Quelle von Recruten sich öffnen konnte. Dem Beispiel von Madras folgten die
anderen Präsidentschaften. Nach der Wiedereinnähme von Kalkutta organisirte auch
Bombay und Bengalen Sivoybataillone und gemeinschaftlich mit ihren europäischen
und Madraskameraden gewannen sie die Schlacht von Plassy und legten den Grund
zu der Macht, die jetzt alleinherrschend in Ostindien ist.
Die Zusammensetzung der eingebornen Armee war aber damals ganz anders
als gegenwärtig. Sie bestand zu jener Zeit ausschließlich aus Infanterie, die obgleich
nach europäischer Weise exercirt, im Krieg und im Frieden unter Führern stand,
die mit der Mannschaft durch Bande des Bluts oder durch eine Art Clanverhältniß
verknüpft waren. Zwar ward gelegentlich, aber nicht immer, einem Bataillon ein
mit der Sprache und den Sitten der Eingebornen vertrauter Offizier beigegeben;
aber er war mehr eine Art militärischer Kommissar, als Befehlshaber, er erläuterte
dem eingebornen Commandanten die Befehle des Generals, mischte sich aber nicht
in die dienstlichen Anordnungen, die zu ihrer Ausführung nothwendig wurden. In
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