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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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chen im Monat 500 bis 1000 Gulden ein. Schon seit dem vorigen Jahr¬
hundert ist es die Politik der Regierung, der Vermehrung der Chinesen durch
möglichst hohe Lasten entgegenzuarbeiten. Wie sehr man schon damals die
Chinesen und ihre Vermehrung fürchtete, beweist der verabscheuungswürdige
Blutact, den die holländische Negierung im Jahre -1740 gegen dieselben voll¬
zog, wir meinen die Ermordung von 30,000 Chinesen in der Hauptstadt Ba-
tavia, die an einem festgesetzten Tage aus Befehl des Generalgouverneurö
Valkenier unter dem Vorwande, man habe eine Verschwörung entdeckt, durch
holländische Truppen vollzogen wurde, und die wenigstens dafür.zu sprechen
scheint, daß die Chinesen nur durch das härteste Einschüchterungssystem im
Zaume gehalten werden können.




Korrespondenzen.
8b.

Der so viel belobte conservative Sinn der Engländer, die Abneigung
nach rein theoretischen Grundsätzen Bestehendes umzugestalten, überhaupt nichts zu
ändern, bevor nicht die Praxis directe Beweise sür die Schadhaftigkeit des Vor¬
handenen gegeben, hat doch auch seine nachtheilige Seite. Reformen von Grund aus
widerstehen ihnen, denn der Engländer ist überhaupt mißtrauisch gegen die Anwendung
allgemeiner Grundsätze aus das praktische Leben, und er begnügt sich nach dem vor¬
kommenden Bedürfniß im Einzelnen auszubessern, oder duldet gar aus Vorliebe sür
die organische Entwicklung seiner Institutionen das Emporwuchern von allerlei
Mißbräuchen, die infolge der der menschlichen Natur angeborenen Trägheit und Selbst¬
sucht allerdings ganz naturwüchsig, aber dennoch nicht minder schädlich sind. So
geschieht es wol, daß ursprünglich 'ganz vortreffliche Einrichtungen im Verlauf der
Zeit entweder durch die Sorglosigkeit und Schlaffheit derjenigen, welchen die Pflege
derselben zufällt, ausarten und morsch, oder durch Umgestaltungen, die Laune
oder Noth ohne Rücksicht aus ein höheres Princip dictirt, ihrem Zwecke entfremdet
werden. Verborgen bleiben diese Mängel nun zwar nicht, und es fehlt selten oder
nie an Stimmen, die laut genug daraus aufmerksam machen, aber sie spielen nur zu
häufig die Rolle der Cafsandra und verhallen unbeachtet, bis ihre Warnungen sich
bewahrheiten. Das neueste Beispiel dieser Art gibt uns die eingeborene ostindische
Armee, durch ihre Meuterei, die zwar schwerlich die englische Herrschaft in
Ostindien umstürzen wird, sie aber jedenfalls einer gefährlichen, langwierigen und
kostspieligen Krisis entgegenführt, eine Katastrophe, welche sowol die osttndische
wie die heimische Regierung offenbar überrascht hat, obgleich es schon seit Jahren
weder an Vorzeichen noch an Prophezeihungen vo" ihrem bevorstehenden Eintreten
gefehlt hat.

Die englische Herrschaft in Ostindien ist mit Recht der Gegenstand des Neides


chen im Monat 500 bis 1000 Gulden ein. Schon seit dem vorigen Jahr¬
hundert ist es die Politik der Regierung, der Vermehrung der Chinesen durch
möglichst hohe Lasten entgegenzuarbeiten. Wie sehr man schon damals die
Chinesen und ihre Vermehrung fürchtete, beweist der verabscheuungswürdige
Blutact, den die holländische Negierung im Jahre -1740 gegen dieselben voll¬
zog, wir meinen die Ermordung von 30,000 Chinesen in der Hauptstadt Ba-
tavia, die an einem festgesetzten Tage aus Befehl des Generalgouverneurö
Valkenier unter dem Vorwande, man habe eine Verschwörung entdeckt, durch
holländische Truppen vollzogen wurde, und die wenigstens dafür.zu sprechen
scheint, daß die Chinesen nur durch das härteste Einschüchterungssystem im
Zaume gehalten werden können.




Korrespondenzen.
8b.

Der so viel belobte conservative Sinn der Engländer, die Abneigung
nach rein theoretischen Grundsätzen Bestehendes umzugestalten, überhaupt nichts zu
ändern, bevor nicht die Praxis directe Beweise sür die Schadhaftigkeit des Vor¬
handenen gegeben, hat doch auch seine nachtheilige Seite. Reformen von Grund aus
widerstehen ihnen, denn der Engländer ist überhaupt mißtrauisch gegen die Anwendung
allgemeiner Grundsätze aus das praktische Leben, und er begnügt sich nach dem vor¬
kommenden Bedürfniß im Einzelnen auszubessern, oder duldet gar aus Vorliebe sür
die organische Entwicklung seiner Institutionen das Emporwuchern von allerlei
Mißbräuchen, die infolge der der menschlichen Natur angeborenen Trägheit und Selbst¬
sucht allerdings ganz naturwüchsig, aber dennoch nicht minder schädlich sind. So
geschieht es wol, daß ursprünglich 'ganz vortreffliche Einrichtungen im Verlauf der
Zeit entweder durch die Sorglosigkeit und Schlaffheit derjenigen, welchen die Pflege
derselben zufällt, ausarten und morsch, oder durch Umgestaltungen, die Laune
oder Noth ohne Rücksicht aus ein höheres Princip dictirt, ihrem Zwecke entfremdet
werden. Verborgen bleiben diese Mängel nun zwar nicht, und es fehlt selten oder
nie an Stimmen, die laut genug daraus aufmerksam machen, aber sie spielen nur zu
häufig die Rolle der Cafsandra und verhallen unbeachtet, bis ihre Warnungen sich
bewahrheiten. Das neueste Beispiel dieser Art gibt uns die eingeborene ostindische
Armee, durch ihre Meuterei, die zwar schwerlich die englische Herrschaft in
Ostindien umstürzen wird, sie aber jedenfalls einer gefährlichen, langwierigen und
kostspieligen Krisis entgegenführt, eine Katastrophe, welche sowol die osttndische
wie die heimische Regierung offenbar überrascht hat, obgleich es schon seit Jahren
weder an Vorzeichen noch an Prophezeihungen vo» ihrem bevorstehenden Eintreten
gefehlt hat.

Die englische Herrschaft in Ostindien ist mit Recht der Gegenstand des Neides


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[0236] chen im Monat 500 bis 1000 Gulden ein. Schon seit dem vorigen Jahr¬ hundert ist es die Politik der Regierung, der Vermehrung der Chinesen durch möglichst hohe Lasten entgegenzuarbeiten. Wie sehr man schon damals die Chinesen und ihre Vermehrung fürchtete, beweist der verabscheuungswürdige Blutact, den die holländische Negierung im Jahre -1740 gegen dieselben voll¬ zog, wir meinen die Ermordung von 30,000 Chinesen in der Hauptstadt Ba- tavia, die an einem festgesetzten Tage aus Befehl des Generalgouverneurö Valkenier unter dem Vorwande, man habe eine Verschwörung entdeckt, durch holländische Truppen vollzogen wurde, und die wenigstens dafür.zu sprechen scheint, daß die Chinesen nur durch das härteste Einschüchterungssystem im Zaume gehalten werden können. Korrespondenzen. 8b. Der so viel belobte conservative Sinn der Engländer, die Abneigung nach rein theoretischen Grundsätzen Bestehendes umzugestalten, überhaupt nichts zu ändern, bevor nicht die Praxis directe Beweise sür die Schadhaftigkeit des Vor¬ handenen gegeben, hat doch auch seine nachtheilige Seite. Reformen von Grund aus widerstehen ihnen, denn der Engländer ist überhaupt mißtrauisch gegen die Anwendung allgemeiner Grundsätze aus das praktische Leben, und er begnügt sich nach dem vor¬ kommenden Bedürfniß im Einzelnen auszubessern, oder duldet gar aus Vorliebe sür die organische Entwicklung seiner Institutionen das Emporwuchern von allerlei Mißbräuchen, die infolge der der menschlichen Natur angeborenen Trägheit und Selbst¬ sucht allerdings ganz naturwüchsig, aber dennoch nicht minder schädlich sind. So geschieht es wol, daß ursprünglich 'ganz vortreffliche Einrichtungen im Verlauf der Zeit entweder durch die Sorglosigkeit und Schlaffheit derjenigen, welchen die Pflege derselben zufällt, ausarten und morsch, oder durch Umgestaltungen, die Laune oder Noth ohne Rücksicht aus ein höheres Princip dictirt, ihrem Zwecke entfremdet werden. Verborgen bleiben diese Mängel nun zwar nicht, und es fehlt selten oder nie an Stimmen, die laut genug daraus aufmerksam machen, aber sie spielen nur zu häufig die Rolle der Cafsandra und verhallen unbeachtet, bis ihre Warnungen sich bewahrheiten. Das neueste Beispiel dieser Art gibt uns die eingeborene ostindische Armee, durch ihre Meuterei, die zwar schwerlich die englische Herrschaft in Ostindien umstürzen wird, sie aber jedenfalls einer gefährlichen, langwierigen und kostspieligen Krisis entgegenführt, eine Katastrophe, welche sowol die osttndische wie die heimische Regierung offenbar überrascht hat, obgleich es schon seit Jahren weder an Vorzeichen noch an Prophezeihungen vo» ihrem bevorstehenden Eintreten gefehlt hat. Die englische Herrschaft in Ostindien ist mit Recht der Gegenstand des Neides

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/236>, abgerufen am 12.12.2024.