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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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bei der Magd vermerkt. Sie hat auf dem Dorfe einen Mann bekommen und
von ihm Kinder erhalten.

Ich ging in die Schule, lernte so viel, als ich vor Wildheit konnte, das
Ingenium war ziemlich, wie sich merken ließ, aber Stetigkeit war nicht vor¬
handen. -- Des Sommers badete ich mich mit meinen Gesellen am Strande,
das sah mein Ohm aus seinem Garten hinter seiner Scheuer und zeigte eS
meinem Vater an, der kam mit einer guten Ruthe deS Morgens auf den
Saal vor mein Bett, während ich schlief, nestelte er sich mittlerweile auf und
redete laut, damit ich erwachen sollte. Wie ich dann erwachte und ihn vor
mir stehn und die Ruthe auf dem Nebenbett liegen sah, verstand ich wohl,
was die Glocke geschlagen hatte, da fing ich an mit bitterlichen Weinen zu
flehn und zu bitten. Er fragte, was ich gethan hatte? Ich gelobte, ich wollte
mein Lebtag am Strande nicht mehr baden. Ja, Junker, sagte er swenn er
mich ihrzte und Junker nannte, wußte ich wohl, daß die Sache zwischen ihm
und mir schlecht stand,) habt ihr gebadet, so muß ich quästen.*) Dabei er¬
griff er die Ruthe, warf mir die Kleider über den Kops und lohnte nach Ver¬
dienst. Meine Eltern erzogen ihre Kinder ganz gut. Mein Vater war etwas
hastig und wenn die Galle überHand nahm, konnte er kein Maß halten. Einst
erzürnte er sich über mich; er stand im Stall, ich aber unter 'der Thüre des
Stalls, da erwischte er die Stackengabel und schoß die nach mir. Ich ent¬
sprang dem Wurf, der war so stark, daß die Gabel in einen eichenen Ständer
der Badestube so tief zu stecken kam, daß man sie mit Gewalt herausziehn
mußte. Damals hat der gnädige Gott des Teufels Vorhaben gegen meinen
Vater und gegen mich vorsorglich verhindert. Die Mutter aber, welche überaus
glimpflich und holdselig war, sprang in solchen Fällen hinzu, sagte wol,
Staupe stärker, der verzweifelte Bub hat es wohl verdient, und unterdeß, ohne
daß eS die Kinder merkten, faßte sie ihm den Arm und die Hand, worin er
die Ruthe hatte, daß er nicht zu stark zuschlagen konnte.

Meines Vaters Haus war noch sehr unfertig, außerdem war eine Bude
hereingebaut, mit dem Eingang hart am Brunnen. Darin wohnte ein Müller,
Lewark genannt, der hatte viele und böse Kinder, die weinten Tag und Nacht. Des
Morgens, wenn der Tag anbrach, fingen die jungen Lerchen an zu zirpen, daS
währte den ganzen Tag, daß man davor weder sehen noch hören konnte, bis mein
Vater die alten Lerchen mit ihren jungen Lewarken,**) herausjagte, die Bude
einriß, und den Bau deS ganzen Hauses mit Ernst, großer Arbeit und Un¬
kosten angriff. Denn meine Eltern bekamen von Greifswald eine ziemliche
Baarschaft, weil meine Mutter alles zu Gelde machen mußte, so daß viele




") Ale Badequastc gebrauchen.
") Wortspiel. Die Lerche heißt plattdeutsch Lewark.

bei der Magd vermerkt. Sie hat auf dem Dorfe einen Mann bekommen und
von ihm Kinder erhalten.

Ich ging in die Schule, lernte so viel, als ich vor Wildheit konnte, das
Ingenium war ziemlich, wie sich merken ließ, aber Stetigkeit war nicht vor¬
handen. — Des Sommers badete ich mich mit meinen Gesellen am Strande,
das sah mein Ohm aus seinem Garten hinter seiner Scheuer und zeigte eS
meinem Vater an, der kam mit einer guten Ruthe deS Morgens auf den
Saal vor mein Bett, während ich schlief, nestelte er sich mittlerweile auf und
redete laut, damit ich erwachen sollte. Wie ich dann erwachte und ihn vor
mir stehn und die Ruthe auf dem Nebenbett liegen sah, verstand ich wohl,
was die Glocke geschlagen hatte, da fing ich an mit bitterlichen Weinen zu
flehn und zu bitten. Er fragte, was ich gethan hatte? Ich gelobte, ich wollte
mein Lebtag am Strande nicht mehr baden. Ja, Junker, sagte er swenn er
mich ihrzte und Junker nannte, wußte ich wohl, daß die Sache zwischen ihm
und mir schlecht stand,) habt ihr gebadet, so muß ich quästen.*) Dabei er¬
griff er die Ruthe, warf mir die Kleider über den Kops und lohnte nach Ver¬
dienst. Meine Eltern erzogen ihre Kinder ganz gut. Mein Vater war etwas
hastig und wenn die Galle überHand nahm, konnte er kein Maß halten. Einst
erzürnte er sich über mich; er stand im Stall, ich aber unter 'der Thüre des
Stalls, da erwischte er die Stackengabel und schoß die nach mir. Ich ent¬
sprang dem Wurf, der war so stark, daß die Gabel in einen eichenen Ständer
der Badestube so tief zu stecken kam, daß man sie mit Gewalt herausziehn
mußte. Damals hat der gnädige Gott des Teufels Vorhaben gegen meinen
Vater und gegen mich vorsorglich verhindert. Die Mutter aber, welche überaus
glimpflich und holdselig war, sprang in solchen Fällen hinzu, sagte wol,
Staupe stärker, der verzweifelte Bub hat es wohl verdient, und unterdeß, ohne
daß eS die Kinder merkten, faßte sie ihm den Arm und die Hand, worin er
die Ruthe hatte, daß er nicht zu stark zuschlagen konnte.

Meines Vaters Haus war noch sehr unfertig, außerdem war eine Bude
hereingebaut, mit dem Eingang hart am Brunnen. Darin wohnte ein Müller,
Lewark genannt, der hatte viele und böse Kinder, die weinten Tag und Nacht. Des
Morgens, wenn der Tag anbrach, fingen die jungen Lerchen an zu zirpen, daS
währte den ganzen Tag, daß man davor weder sehen noch hören konnte, bis mein
Vater die alten Lerchen mit ihren jungen Lewarken,**) herausjagte, die Bude
einriß, und den Bau deS ganzen Hauses mit Ernst, großer Arbeit und Un¬
kosten angriff. Denn meine Eltern bekamen von Greifswald eine ziemliche
Baarschaft, weil meine Mutter alles zu Gelde machen mußte, so daß viele




") Ale Badequastc gebrauchen.
") Wortspiel. Die Lerche heißt plattdeutsch Lewark.
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[0022] bei der Magd vermerkt. Sie hat auf dem Dorfe einen Mann bekommen und von ihm Kinder erhalten. Ich ging in die Schule, lernte so viel, als ich vor Wildheit konnte, das Ingenium war ziemlich, wie sich merken ließ, aber Stetigkeit war nicht vor¬ handen. — Des Sommers badete ich mich mit meinen Gesellen am Strande, das sah mein Ohm aus seinem Garten hinter seiner Scheuer und zeigte eS meinem Vater an, der kam mit einer guten Ruthe deS Morgens auf den Saal vor mein Bett, während ich schlief, nestelte er sich mittlerweile auf und redete laut, damit ich erwachen sollte. Wie ich dann erwachte und ihn vor mir stehn und die Ruthe auf dem Nebenbett liegen sah, verstand ich wohl, was die Glocke geschlagen hatte, da fing ich an mit bitterlichen Weinen zu flehn und zu bitten. Er fragte, was ich gethan hatte? Ich gelobte, ich wollte mein Lebtag am Strande nicht mehr baden. Ja, Junker, sagte er swenn er mich ihrzte und Junker nannte, wußte ich wohl, daß die Sache zwischen ihm und mir schlecht stand,) habt ihr gebadet, so muß ich quästen.*) Dabei er¬ griff er die Ruthe, warf mir die Kleider über den Kops und lohnte nach Ver¬ dienst. Meine Eltern erzogen ihre Kinder ganz gut. Mein Vater war etwas hastig und wenn die Galle überHand nahm, konnte er kein Maß halten. Einst erzürnte er sich über mich; er stand im Stall, ich aber unter 'der Thüre des Stalls, da erwischte er die Stackengabel und schoß die nach mir. Ich ent¬ sprang dem Wurf, der war so stark, daß die Gabel in einen eichenen Ständer der Badestube so tief zu stecken kam, daß man sie mit Gewalt herausziehn mußte. Damals hat der gnädige Gott des Teufels Vorhaben gegen meinen Vater und gegen mich vorsorglich verhindert. Die Mutter aber, welche überaus glimpflich und holdselig war, sprang in solchen Fällen hinzu, sagte wol, Staupe stärker, der verzweifelte Bub hat es wohl verdient, und unterdeß, ohne daß eS die Kinder merkten, faßte sie ihm den Arm und die Hand, worin er die Ruthe hatte, daß er nicht zu stark zuschlagen konnte. Meines Vaters Haus war noch sehr unfertig, außerdem war eine Bude hereingebaut, mit dem Eingang hart am Brunnen. Darin wohnte ein Müller, Lewark genannt, der hatte viele und böse Kinder, die weinten Tag und Nacht. Des Morgens, wenn der Tag anbrach, fingen die jungen Lerchen an zu zirpen, daS währte den ganzen Tag, daß man davor weder sehen noch hören konnte, bis mein Vater die alten Lerchen mit ihren jungen Lewarken,**) herausjagte, die Bude einriß, und den Bau deS ganzen Hauses mit Ernst, großer Arbeit und Un¬ kosten angriff. Denn meine Eltern bekamen von Greifswald eine ziemliche Baarschaft, weil meine Mutter alles zu Gelde machen mußte, so daß viele ") Ale Badequastc gebrauchen. ") Wortspiel. Die Lerche heißt plattdeutsch Lewark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/22>, abgerufen am 25.08.2024.