Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffen, und darauf fingen denn Planeten und Trabanten auch an zu
scheinen.

Wir begreifen zwar nicht, wie bei der fürchterlichen Kalte, welche vor
Existenz des leuchtenden Dunstkreises auf der Erde herrschte, schon Gras,
Kräuter, ja Bäume aufgehen und sich erhalten konnten. Aber auch dafür
hat Wagner gesorgt, er sagt, diese hätten nur das allgemeine Lichtagens
nöthig gehabt. Nun will uns zwar scheinen, als ob dieses fabelhafte Licht¬
agens noch sehr verschieden sein müsse von den concentrirten Licht- und Wärme¬
strahlen der Sonne, aber wer kann daß wissen? ES muß doch wol auch so
haben gehen können, denn sonst wäre ja Bibel und Naturwissenschaft nicht im
Einklange. Das Fell muß sich so lange dehnen und recken, bis eS paßt. Da
bei den folgenden Tagewerken die Auslegung sich weniger um naturwissen¬
schaftliche Erörterungen dreht, so gehen wir gleich zu der Abhandlung von der
Sündflut über.

Man habe, sagt Wagner, zuvörderst die Möglichkeit bestritten, daß so
viel Wasser hätte zusammengebracht werden können, um alle Berge zu über¬
decken, und gefragt, wie Moses hätte wissen können, daß das Wasser Is Ellen
hoch über alle Berge gestanden hätte, da die höchsten Berge der Erde damals
unbekannt waren. Er gesteht dann zu, daß bei den gegenwärtigen physika¬
lischen Verhältnissen der Erdoberfläche und ihrer Atmosphäre schwerlich das
erforderliche Wasser herbeizuschaffen sein würde, aber die Physik könne nicht
beweisen, daß diese Verhältnisse damals ebenso gewesen wären. Es sei aus
dem Bergbau bekannt, baß allenthalben in den unterirdischen Teufen Wasser
zuströmten, und möglich, daß weiter hinab ungeheure Wasserbehälter lägen.
"Wenn diese durch Mittel, über welche die jetzige Weltordnung nicht disponi-
ren kann, hervorbrachen, wenn serner durch Mittel derselben Beschaffenheit
eine immense Negenbildung zu Stande kam, so kann selbst eine solche wissen¬
schaftliche Betrachtung, die eine göttliche Causalität nicht zulassen will, die
Möglichkeit einer dadurch entstehenden totalen Überschwemmung nicht negiren^"

Dieser Satz ist unglücklich gerathen, es ist eben die Frage, ob die biblische
Erzählung mit der jetzigen Weltordnung übereinstimmt oder nicht; wenn man
bei jeder Gelegenheit neue Weltordnungen voraussetzt, leugnet man dadurch
grade die Uebereinstimmung des Erzählten mit der Naturwissenschaft. Wagner
räumt ausdrücklich ein, daß alle Versuche, die Herbeischaffung einer solchen
ungeheuren Flut auf physikalischem Wege zu erklären, völlig gescheitert seien,
und sieht sich daher genöthigt, den alten läppischen Einwand zu wiederholen,
daß die Naturwissenschaft nicht allwissend sei und daher doch manches möglich
sei, was uns unmöglich scheine. Es ist aber völlig gleichgiltig, was die
Naturforscher wissen oder nicht wissen, glauben oder nicht glauben, ob man
an einer gestreiften Hyäne unerwartet ein wunderliches Gebiß gefunden, oder


23*

schaffen, und darauf fingen denn Planeten und Trabanten auch an zu
scheinen.

Wir begreifen zwar nicht, wie bei der fürchterlichen Kalte, welche vor
Existenz des leuchtenden Dunstkreises auf der Erde herrschte, schon Gras,
Kräuter, ja Bäume aufgehen und sich erhalten konnten. Aber auch dafür
hat Wagner gesorgt, er sagt, diese hätten nur das allgemeine Lichtagens
nöthig gehabt. Nun will uns zwar scheinen, als ob dieses fabelhafte Licht¬
agens noch sehr verschieden sein müsse von den concentrirten Licht- und Wärme¬
strahlen der Sonne, aber wer kann daß wissen? ES muß doch wol auch so
haben gehen können, denn sonst wäre ja Bibel und Naturwissenschaft nicht im
Einklange. Das Fell muß sich so lange dehnen und recken, bis eS paßt. Da
bei den folgenden Tagewerken die Auslegung sich weniger um naturwissen¬
schaftliche Erörterungen dreht, so gehen wir gleich zu der Abhandlung von der
Sündflut über.

Man habe, sagt Wagner, zuvörderst die Möglichkeit bestritten, daß so
viel Wasser hätte zusammengebracht werden können, um alle Berge zu über¬
decken, und gefragt, wie Moses hätte wissen können, daß das Wasser Is Ellen
hoch über alle Berge gestanden hätte, da die höchsten Berge der Erde damals
unbekannt waren. Er gesteht dann zu, daß bei den gegenwärtigen physika¬
lischen Verhältnissen der Erdoberfläche und ihrer Atmosphäre schwerlich das
erforderliche Wasser herbeizuschaffen sein würde, aber die Physik könne nicht
beweisen, daß diese Verhältnisse damals ebenso gewesen wären. Es sei aus
dem Bergbau bekannt, baß allenthalben in den unterirdischen Teufen Wasser
zuströmten, und möglich, daß weiter hinab ungeheure Wasserbehälter lägen.
„Wenn diese durch Mittel, über welche die jetzige Weltordnung nicht disponi-
ren kann, hervorbrachen, wenn serner durch Mittel derselben Beschaffenheit
eine immense Negenbildung zu Stande kam, so kann selbst eine solche wissen¬
schaftliche Betrachtung, die eine göttliche Causalität nicht zulassen will, die
Möglichkeit einer dadurch entstehenden totalen Überschwemmung nicht negiren^"

Dieser Satz ist unglücklich gerathen, es ist eben die Frage, ob die biblische
Erzählung mit der jetzigen Weltordnung übereinstimmt oder nicht; wenn man
bei jeder Gelegenheit neue Weltordnungen voraussetzt, leugnet man dadurch
grade die Uebereinstimmung des Erzählten mit der Naturwissenschaft. Wagner
räumt ausdrücklich ein, daß alle Versuche, die Herbeischaffung einer solchen
ungeheuren Flut auf physikalischem Wege zu erklären, völlig gescheitert seien,
und sieht sich daher genöthigt, den alten läppischen Einwand zu wiederholen,
daß die Naturwissenschaft nicht allwissend sei und daher doch manches möglich
sei, was uns unmöglich scheine. Es ist aber völlig gleichgiltig, was die
Naturforscher wissen oder nicht wissen, glauben oder nicht glauben, ob man
an einer gestreiften Hyäne unerwartet ein wunderliches Gebiß gefunden, oder


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104404"/>
          <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> schaffen, und darauf fingen denn Planeten und Trabanten auch an zu<lb/>
scheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_542"> Wir begreifen zwar nicht, wie bei der fürchterlichen Kalte, welche vor<lb/>
Existenz des leuchtenden Dunstkreises auf der Erde herrschte, schon Gras,<lb/>
Kräuter, ja Bäume aufgehen und sich erhalten konnten. Aber auch dafür<lb/>
hat Wagner gesorgt, er sagt, diese hätten nur das allgemeine Lichtagens<lb/>
nöthig gehabt. Nun will uns zwar scheinen, als ob dieses fabelhafte Licht¬<lb/>
agens noch sehr verschieden sein müsse von den concentrirten Licht- und Wärme¬<lb/>
strahlen der Sonne, aber wer kann daß wissen? ES muß doch wol auch so<lb/>
haben gehen können, denn sonst wäre ja Bibel und Naturwissenschaft nicht im<lb/>
Einklange. Das Fell muß sich so lange dehnen und recken, bis eS paßt. Da<lb/>
bei den folgenden Tagewerken die Auslegung sich weniger um naturwissen¬<lb/>
schaftliche Erörterungen dreht, so gehen wir gleich zu der Abhandlung von der<lb/>
Sündflut über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_543"> Man habe, sagt Wagner, zuvörderst die Möglichkeit bestritten, daß so<lb/>
viel Wasser hätte zusammengebracht werden können, um alle Berge zu über¬<lb/>
decken, und gefragt, wie Moses hätte wissen können, daß das Wasser Is Ellen<lb/>
hoch über alle Berge gestanden hätte, da die höchsten Berge der Erde damals<lb/>
unbekannt waren. Er gesteht dann zu, daß bei den gegenwärtigen physika¬<lb/>
lischen Verhältnissen der Erdoberfläche und ihrer Atmosphäre schwerlich das<lb/>
erforderliche Wasser herbeizuschaffen sein würde, aber die Physik könne nicht<lb/>
beweisen, daß diese Verhältnisse damals ebenso gewesen wären. Es sei aus<lb/>
dem Bergbau bekannt, baß allenthalben in den unterirdischen Teufen Wasser<lb/>
zuströmten, und möglich, daß weiter hinab ungeheure Wasserbehälter lägen.<lb/>
&#x201E;Wenn diese durch Mittel, über welche die jetzige Weltordnung nicht disponi-<lb/>
ren kann, hervorbrachen, wenn serner durch Mittel derselben Beschaffenheit<lb/>
eine immense Negenbildung zu Stande kam, so kann selbst eine solche wissen¬<lb/>
schaftliche Betrachtung, die eine göttliche Causalität nicht zulassen will, die<lb/>
Möglichkeit einer dadurch entstehenden totalen Überschwemmung nicht negiren^"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> Dieser Satz ist unglücklich gerathen, es ist eben die Frage, ob die biblische<lb/>
Erzählung mit der jetzigen Weltordnung übereinstimmt oder nicht; wenn man<lb/>
bei jeder Gelegenheit neue Weltordnungen voraussetzt, leugnet man dadurch<lb/>
grade die Uebereinstimmung des Erzählten mit der Naturwissenschaft. Wagner<lb/>
räumt ausdrücklich ein, daß alle Versuche, die Herbeischaffung einer solchen<lb/>
ungeheuren Flut auf physikalischem Wege zu erklären, völlig gescheitert seien,<lb/>
und sieht sich daher genöthigt, den alten läppischen Einwand zu wiederholen,<lb/>
daß die Naturwissenschaft nicht allwissend sei und daher doch manches möglich<lb/>
sei, was uns unmöglich scheine. Es ist aber völlig gleichgiltig, was die<lb/>
Naturforscher wissen oder nicht wissen, glauben oder nicht glauben, ob man<lb/>
an einer gestreiften Hyäne unerwartet ein wunderliches Gebiß gefunden, oder</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0203] schaffen, und darauf fingen denn Planeten und Trabanten auch an zu scheinen. Wir begreifen zwar nicht, wie bei der fürchterlichen Kalte, welche vor Existenz des leuchtenden Dunstkreises auf der Erde herrschte, schon Gras, Kräuter, ja Bäume aufgehen und sich erhalten konnten. Aber auch dafür hat Wagner gesorgt, er sagt, diese hätten nur das allgemeine Lichtagens nöthig gehabt. Nun will uns zwar scheinen, als ob dieses fabelhafte Licht¬ agens noch sehr verschieden sein müsse von den concentrirten Licht- und Wärme¬ strahlen der Sonne, aber wer kann daß wissen? ES muß doch wol auch so haben gehen können, denn sonst wäre ja Bibel und Naturwissenschaft nicht im Einklange. Das Fell muß sich so lange dehnen und recken, bis eS paßt. Da bei den folgenden Tagewerken die Auslegung sich weniger um naturwissen¬ schaftliche Erörterungen dreht, so gehen wir gleich zu der Abhandlung von der Sündflut über. Man habe, sagt Wagner, zuvörderst die Möglichkeit bestritten, daß so viel Wasser hätte zusammengebracht werden können, um alle Berge zu über¬ decken, und gefragt, wie Moses hätte wissen können, daß das Wasser Is Ellen hoch über alle Berge gestanden hätte, da die höchsten Berge der Erde damals unbekannt waren. Er gesteht dann zu, daß bei den gegenwärtigen physika¬ lischen Verhältnissen der Erdoberfläche und ihrer Atmosphäre schwerlich das erforderliche Wasser herbeizuschaffen sein würde, aber die Physik könne nicht beweisen, daß diese Verhältnisse damals ebenso gewesen wären. Es sei aus dem Bergbau bekannt, baß allenthalben in den unterirdischen Teufen Wasser zuströmten, und möglich, daß weiter hinab ungeheure Wasserbehälter lägen. „Wenn diese durch Mittel, über welche die jetzige Weltordnung nicht disponi- ren kann, hervorbrachen, wenn serner durch Mittel derselben Beschaffenheit eine immense Negenbildung zu Stande kam, so kann selbst eine solche wissen¬ schaftliche Betrachtung, die eine göttliche Causalität nicht zulassen will, die Möglichkeit einer dadurch entstehenden totalen Überschwemmung nicht negiren^" Dieser Satz ist unglücklich gerathen, es ist eben die Frage, ob die biblische Erzählung mit der jetzigen Weltordnung übereinstimmt oder nicht; wenn man bei jeder Gelegenheit neue Weltordnungen voraussetzt, leugnet man dadurch grade die Uebereinstimmung des Erzählten mit der Naturwissenschaft. Wagner räumt ausdrücklich ein, daß alle Versuche, die Herbeischaffung einer solchen ungeheuren Flut auf physikalischem Wege zu erklären, völlig gescheitert seien, und sieht sich daher genöthigt, den alten läppischen Einwand zu wiederholen, daß die Naturwissenschaft nicht allwissend sei und daher doch manches möglich sei, was uns unmöglich scheine. Es ist aber völlig gleichgiltig, was die Naturforscher wissen oder nicht wissen, glauben oder nicht glauben, ob man an einer gestreiften Hyäne unerwartet ein wunderliches Gebiß gefunden, oder 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/203
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/203>, abgerufen am 12.12.2024.