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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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aber für die ersten drei Tage der Maßstab nicht aufbewahrt worden sei, weil
die Sonne erst am vierten Tage auftrete, also auch erst von diesem Tage an
als Regulator der TageslÄnge (!) angesehen werden könne. Hiernach
scheint Wagner zu glauben, daß Gott, der dem Moses doch die Schöpfungs¬
geschichte offenbart haben soll, die Länge eines Tages (einer Erdumdrehung)
nicht beurtheilen konnte, weil noch keine Sonne schien.

Beim zweiten Tagewerk hält eS der Vf. für nothwendig, den Einwand
zu widerlegen, daß die Scheidung deS> oberen und unteren Wassers zu un>
bedeutend für ein ganzes Tagewerk wäre, darunter sei nämlich die Constitui-
rung der Atmosphäre zu verstehen, und damit sei ein Großes geschehen. Wir
können uns also darüber beruhigen, daß der liebe Gott am zweiten Tage auch
eine ausreichende Arbeit vollbracht habe.

Beim dritten Tagewerke heißt es "die moderne Aufklärung hat die große
Entdeckung gemacht, daß der Tod lange vor dem Auftreten der Menschen in
der Schöpfung geherrscht habe, und demnach keine Folge des Sündenfalles
des letzteren sei. Dieser Einwurf ist zwar an sich begründet, aber doch, in¬
sofern er gegen die Bibel gerichtet wird, völlig ungerechtfertigt, weil damit
zwei verschiedene Weltordnungen confundirt werden, vo" denen die erste vor
den Zeiten deS Menschen abgelaufen und daher auch außer aller Wechsel¬
beziehung mit ihm gebracht ist. Was den Untergang dieser ersten Weltordnung
mit ihrer Thierwelt herbeigeführt hat, dies hat uns die Offenbarung nicht
enthüllt, und die Naturwissenschaft weiß hierüber nichts zu sagen. Was da¬
gegen die Disharmonie in den gegenwärtigen Zustand der Schöpfung ge¬
bracht hat, wissen wir mit voller Gewißheit, denn hierüber schweigt die Bibel
nicht, sondern sie gibt als Grund den Fall des Menschen an, der, was sich
von selbst versteht, nur auf die gleichzeitig, mit ihm auf der Erde lebenden,
keineswegs aber auf die schon lange vor ihm erloschenen Geschöpfe einen
Einfluß ausüben konnte. Die Bibel aber, wie schon mehrmals erwähnt, gibt
lediglich Auskunft über die dermalige Weltordnung und in diese ist der Tod
allerdings erst durch den Fall der Menschen gekommen. Die heilige Schrift
steht daher in keinem Widerspruche mit der Naturforschung, sondern diese ist
nur unberechtigterweise in sie hineingetragen worden." Die Weltgeschichte
zwischen dem ersten und zweiten Bibelverse war doch ein glücklicher Griff, jetzt
erfahren wir schon, daß damals auch eine ganz andere, mit der jetzigen nicht
einmal in Wechselbeziehung gebrachte, Weltordnung eristirte, wovon weder die
Bibel, noch die Naturwissenschaft etwas sagt. Wir bedauern nur die armen
Thiere, welche unschuldigerweise einmal durch die bösen Engel und ein zweites
Mal durch den Sündenfall zum Tode verurtheilt worden.

Die vorweltlichen Thiere sind überhaupt daS Kreuz der Ausleger. Sie
haben nämlich auffallend große Augen, und eS muß daher, damit sie diese


Grenzboten. III. -1867. 2S

aber für die ersten drei Tage der Maßstab nicht aufbewahrt worden sei, weil
die Sonne erst am vierten Tage auftrete, also auch erst von diesem Tage an
als Regulator der TageslÄnge (!) angesehen werden könne. Hiernach
scheint Wagner zu glauben, daß Gott, der dem Moses doch die Schöpfungs¬
geschichte offenbart haben soll, die Länge eines Tages (einer Erdumdrehung)
nicht beurtheilen konnte, weil noch keine Sonne schien.

Beim zweiten Tagewerk hält eS der Vf. für nothwendig, den Einwand
zu widerlegen, daß die Scheidung deS> oberen und unteren Wassers zu un>
bedeutend für ein ganzes Tagewerk wäre, darunter sei nämlich die Constitui-
rung der Atmosphäre zu verstehen, und damit sei ein Großes geschehen. Wir
können uns also darüber beruhigen, daß der liebe Gott am zweiten Tage auch
eine ausreichende Arbeit vollbracht habe.

Beim dritten Tagewerke heißt es „die moderne Aufklärung hat die große
Entdeckung gemacht, daß der Tod lange vor dem Auftreten der Menschen in
der Schöpfung geherrscht habe, und demnach keine Folge des Sündenfalles
des letzteren sei. Dieser Einwurf ist zwar an sich begründet, aber doch, in¬
sofern er gegen die Bibel gerichtet wird, völlig ungerechtfertigt, weil damit
zwei verschiedene Weltordnungen confundirt werden, vo» denen die erste vor
den Zeiten deS Menschen abgelaufen und daher auch außer aller Wechsel¬
beziehung mit ihm gebracht ist. Was den Untergang dieser ersten Weltordnung
mit ihrer Thierwelt herbeigeführt hat, dies hat uns die Offenbarung nicht
enthüllt, und die Naturwissenschaft weiß hierüber nichts zu sagen. Was da¬
gegen die Disharmonie in den gegenwärtigen Zustand der Schöpfung ge¬
bracht hat, wissen wir mit voller Gewißheit, denn hierüber schweigt die Bibel
nicht, sondern sie gibt als Grund den Fall des Menschen an, der, was sich
von selbst versteht, nur auf die gleichzeitig, mit ihm auf der Erde lebenden,
keineswegs aber auf die schon lange vor ihm erloschenen Geschöpfe einen
Einfluß ausüben konnte. Die Bibel aber, wie schon mehrmals erwähnt, gibt
lediglich Auskunft über die dermalige Weltordnung und in diese ist der Tod
allerdings erst durch den Fall der Menschen gekommen. Die heilige Schrift
steht daher in keinem Widerspruche mit der Naturforschung, sondern diese ist
nur unberechtigterweise in sie hineingetragen worden." Die Weltgeschichte
zwischen dem ersten und zweiten Bibelverse war doch ein glücklicher Griff, jetzt
erfahren wir schon, daß damals auch eine ganz andere, mit der jetzigen nicht
einmal in Wechselbeziehung gebrachte, Weltordnung eristirte, wovon weder die
Bibel, noch die Naturwissenschaft etwas sagt. Wir bedauern nur die armen
Thiere, welche unschuldigerweise einmal durch die bösen Engel und ein zweites
Mal durch den Sündenfall zum Tode verurtheilt worden.

Die vorweltlichen Thiere sind überhaupt daS Kreuz der Ausleger. Sie
haben nämlich auffallend große Augen, und eS muß daher, damit sie diese


Grenzboten. III. -1867. 2S
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[0201] aber für die ersten drei Tage der Maßstab nicht aufbewahrt worden sei, weil die Sonne erst am vierten Tage auftrete, also auch erst von diesem Tage an als Regulator der TageslÄnge (!) angesehen werden könne. Hiernach scheint Wagner zu glauben, daß Gott, der dem Moses doch die Schöpfungs¬ geschichte offenbart haben soll, die Länge eines Tages (einer Erdumdrehung) nicht beurtheilen konnte, weil noch keine Sonne schien. Beim zweiten Tagewerk hält eS der Vf. für nothwendig, den Einwand zu widerlegen, daß die Scheidung deS> oberen und unteren Wassers zu un> bedeutend für ein ganzes Tagewerk wäre, darunter sei nämlich die Constitui- rung der Atmosphäre zu verstehen, und damit sei ein Großes geschehen. Wir können uns also darüber beruhigen, daß der liebe Gott am zweiten Tage auch eine ausreichende Arbeit vollbracht habe. Beim dritten Tagewerke heißt es „die moderne Aufklärung hat die große Entdeckung gemacht, daß der Tod lange vor dem Auftreten der Menschen in der Schöpfung geherrscht habe, und demnach keine Folge des Sündenfalles des letzteren sei. Dieser Einwurf ist zwar an sich begründet, aber doch, in¬ sofern er gegen die Bibel gerichtet wird, völlig ungerechtfertigt, weil damit zwei verschiedene Weltordnungen confundirt werden, vo» denen die erste vor den Zeiten deS Menschen abgelaufen und daher auch außer aller Wechsel¬ beziehung mit ihm gebracht ist. Was den Untergang dieser ersten Weltordnung mit ihrer Thierwelt herbeigeführt hat, dies hat uns die Offenbarung nicht enthüllt, und die Naturwissenschaft weiß hierüber nichts zu sagen. Was da¬ gegen die Disharmonie in den gegenwärtigen Zustand der Schöpfung ge¬ bracht hat, wissen wir mit voller Gewißheit, denn hierüber schweigt die Bibel nicht, sondern sie gibt als Grund den Fall des Menschen an, der, was sich von selbst versteht, nur auf die gleichzeitig, mit ihm auf der Erde lebenden, keineswegs aber auf die schon lange vor ihm erloschenen Geschöpfe einen Einfluß ausüben konnte. Die Bibel aber, wie schon mehrmals erwähnt, gibt lediglich Auskunft über die dermalige Weltordnung und in diese ist der Tod allerdings erst durch den Fall der Menschen gekommen. Die heilige Schrift steht daher in keinem Widerspruche mit der Naturforschung, sondern diese ist nur unberechtigterweise in sie hineingetragen worden." Die Weltgeschichte zwischen dem ersten und zweiten Bibelverse war doch ein glücklicher Griff, jetzt erfahren wir schon, daß damals auch eine ganz andere, mit der jetzigen nicht einmal in Wechselbeziehung gebrachte, Weltordnung eristirte, wovon weder die Bibel, noch die Naturwissenschaft etwas sagt. Wir bedauern nur die armen Thiere, welche unschuldigerweise einmal durch die bösen Engel und ein zweites Mal durch den Sündenfall zum Tode verurtheilt worden. Die vorweltlichen Thiere sind überhaupt daS Kreuz der Ausleger. Sie haben nämlich auffallend große Augen, und eS muß daher, damit sie diese Grenzboten. III. -1867. 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/201>, abgerufen am 01.10.2024.