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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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natürlich, und der Klang prägt sich so unmittelbar der Seele ein, daß wir fast
mit derselben Begeisterung wie die Franzosen in jene nationalen Melodien
einstimmen, in denen uns selbst die schlimmsten Dinge nachgesagt werden, in
denen der Dichter uns nicht blos mit den Kvscicken, sondern mit den Räubern
von Tunis und Algier in eine Reihe stellt. Der Grund dieser Theilnahme ist
keineswegs in der politischen Sympathie zu suchen, wenn diese auch in früherer
Zeit wol mitgewirkt haben mag, sondern lediglich in der schönen Form jener
Lieder.

Hier ist es nun eine angenehme Erfahrung, daß im Wesentlichen daS
Urtheil der Franzosen mit dem unsrigen übereinstimmt. Gegen alle übrigen
Lyriker hat die Kritik starke Einwendungen gemacht. Mit Beranger ist ein
Cultus getrieben, der gar keine Einschränkungen zuließ. Unzweifelhaft hat
man vor etwa zwanzig Jahren den Dichter überschätzt, und das hat neuer¬
dings eine gewisse Reaction hervorgerufen, für die wir den besten Beleg in
den Montagsplaudereien von Se. Beuve finden. Wenn dieser im Jahre 1833
über B6ranger einen Dithyrambus schrieb, in welchem alle seine Dichtungen
als classisch gepriesen wurden, so corrigirte er das 1830 in einer neuen Re¬
cension, die bei aller Anerkennung doch mehr die Schattenseiten als die Vor¬
züge des Dichters hervorhob.

Beranger wurde 1780 in Paris geboren, in dem Hause eines armen
Schneiders, seines Großvaters. Er machte als Gassenjunge die Erstürmung
der Bastille mit und besuchte dann eine republikanische Schule, in welcher die
hoffnungsvollen jungen Herren in Reden, Adressen und Deputationen mit den
Jakobinew wetteiferten. Im 14. Jahre trat er als Lehrling in eine Druckerei,
seit 1798 kehrte er nach Paris zurück und lebte dort, da sein Vater in eine
bessere Lage gekommen war, in jenem heitern Müßiggang, den er in seinen
Liedern so anmuthig schildert. Seine Lieder verschafften ihm die Protection
Lucian Bonapartes, eine Penston 1803--1812 und ein Aemtchen 1809--1821.
Seine ersten Lieder waren heiter, lebenslustig, übermüthig, wie die altfranzösische
Chanson, bereits mit einer starken Dosis von voltciireschem Spott zersetzt, aber
ohne bestimmte politische Beziehungen. AIS nun in der Restauration vie
Partei der Ultras um sich griff, als der Junkerübermuth und die schleichende
Priesterherrschaft miteinander wetteiferten, begann der Voltairianer seine
satirischen Feldzüge, die ihn sein Amt kosteten und ihn zweimal inS Gefäng¬
niß brachten, die ihn aber nicht blos zu einem geistigen Führer der Opposition
erhoben, sondern ihm auch bei seinen Gegnern hohes Ansehn verschafften.
Der heroische Hintergrund, mit dem er seine Bilder staffirte, war nicht die
Revolution, nicht die Republik, sondern das Kaiserreich mit seinen glänzenden
Feldzügen, deren Erinnerung er mit einer Lebhaftigkeit der Phantasie ein¬
prägte, daß die bonapartistische Partei, die zum allgemeinen Erstaunen 1848


natürlich, und der Klang prägt sich so unmittelbar der Seele ein, daß wir fast
mit derselben Begeisterung wie die Franzosen in jene nationalen Melodien
einstimmen, in denen uns selbst die schlimmsten Dinge nachgesagt werden, in
denen der Dichter uns nicht blos mit den Kvscicken, sondern mit den Räubern
von Tunis und Algier in eine Reihe stellt. Der Grund dieser Theilnahme ist
keineswegs in der politischen Sympathie zu suchen, wenn diese auch in früherer
Zeit wol mitgewirkt haben mag, sondern lediglich in der schönen Form jener
Lieder.

Hier ist es nun eine angenehme Erfahrung, daß im Wesentlichen daS
Urtheil der Franzosen mit dem unsrigen übereinstimmt. Gegen alle übrigen
Lyriker hat die Kritik starke Einwendungen gemacht. Mit Beranger ist ein
Cultus getrieben, der gar keine Einschränkungen zuließ. Unzweifelhaft hat
man vor etwa zwanzig Jahren den Dichter überschätzt, und das hat neuer¬
dings eine gewisse Reaction hervorgerufen, für die wir den besten Beleg in
den Montagsplaudereien von Se. Beuve finden. Wenn dieser im Jahre 1833
über B6ranger einen Dithyrambus schrieb, in welchem alle seine Dichtungen
als classisch gepriesen wurden, so corrigirte er das 1830 in einer neuen Re¬
cension, die bei aller Anerkennung doch mehr die Schattenseiten als die Vor¬
züge des Dichters hervorhob.

Beranger wurde 1780 in Paris geboren, in dem Hause eines armen
Schneiders, seines Großvaters. Er machte als Gassenjunge die Erstürmung
der Bastille mit und besuchte dann eine republikanische Schule, in welcher die
hoffnungsvollen jungen Herren in Reden, Adressen und Deputationen mit den
Jakobinew wetteiferten. Im 14. Jahre trat er als Lehrling in eine Druckerei,
seit 1798 kehrte er nach Paris zurück und lebte dort, da sein Vater in eine
bessere Lage gekommen war, in jenem heitern Müßiggang, den er in seinen
Liedern so anmuthig schildert. Seine Lieder verschafften ihm die Protection
Lucian Bonapartes, eine Penston 1803—1812 und ein Aemtchen 1809—1821.
Seine ersten Lieder waren heiter, lebenslustig, übermüthig, wie die altfranzösische
Chanson, bereits mit einer starken Dosis von voltciireschem Spott zersetzt, aber
ohne bestimmte politische Beziehungen. AIS nun in der Restauration vie
Partei der Ultras um sich griff, als der Junkerübermuth und die schleichende
Priesterherrschaft miteinander wetteiferten, begann der Voltairianer seine
satirischen Feldzüge, die ihn sein Amt kosteten und ihn zweimal inS Gefäng¬
niß brachten, die ihn aber nicht blos zu einem geistigen Führer der Opposition
erhoben, sondern ihm auch bei seinen Gegnern hohes Ansehn verschafften.
Der heroische Hintergrund, mit dem er seine Bilder staffirte, war nicht die
Revolution, nicht die Republik, sondern das Kaiserreich mit seinen glänzenden
Feldzügen, deren Erinnerung er mit einer Lebhaftigkeit der Phantasie ein¬
prägte, daß die bonapartistische Partei, die zum allgemeinen Erstaunen 1848


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[0189] natürlich, und der Klang prägt sich so unmittelbar der Seele ein, daß wir fast mit derselben Begeisterung wie die Franzosen in jene nationalen Melodien einstimmen, in denen uns selbst die schlimmsten Dinge nachgesagt werden, in denen der Dichter uns nicht blos mit den Kvscicken, sondern mit den Räubern von Tunis und Algier in eine Reihe stellt. Der Grund dieser Theilnahme ist keineswegs in der politischen Sympathie zu suchen, wenn diese auch in früherer Zeit wol mitgewirkt haben mag, sondern lediglich in der schönen Form jener Lieder. Hier ist es nun eine angenehme Erfahrung, daß im Wesentlichen daS Urtheil der Franzosen mit dem unsrigen übereinstimmt. Gegen alle übrigen Lyriker hat die Kritik starke Einwendungen gemacht. Mit Beranger ist ein Cultus getrieben, der gar keine Einschränkungen zuließ. Unzweifelhaft hat man vor etwa zwanzig Jahren den Dichter überschätzt, und das hat neuer¬ dings eine gewisse Reaction hervorgerufen, für die wir den besten Beleg in den Montagsplaudereien von Se. Beuve finden. Wenn dieser im Jahre 1833 über B6ranger einen Dithyrambus schrieb, in welchem alle seine Dichtungen als classisch gepriesen wurden, so corrigirte er das 1830 in einer neuen Re¬ cension, die bei aller Anerkennung doch mehr die Schattenseiten als die Vor¬ züge des Dichters hervorhob. Beranger wurde 1780 in Paris geboren, in dem Hause eines armen Schneiders, seines Großvaters. Er machte als Gassenjunge die Erstürmung der Bastille mit und besuchte dann eine republikanische Schule, in welcher die hoffnungsvollen jungen Herren in Reden, Adressen und Deputationen mit den Jakobinew wetteiferten. Im 14. Jahre trat er als Lehrling in eine Druckerei, seit 1798 kehrte er nach Paris zurück und lebte dort, da sein Vater in eine bessere Lage gekommen war, in jenem heitern Müßiggang, den er in seinen Liedern so anmuthig schildert. Seine Lieder verschafften ihm die Protection Lucian Bonapartes, eine Penston 1803—1812 und ein Aemtchen 1809—1821. Seine ersten Lieder waren heiter, lebenslustig, übermüthig, wie die altfranzösische Chanson, bereits mit einer starken Dosis von voltciireschem Spott zersetzt, aber ohne bestimmte politische Beziehungen. AIS nun in der Restauration vie Partei der Ultras um sich griff, als der Junkerübermuth und die schleichende Priesterherrschaft miteinander wetteiferten, begann der Voltairianer seine satirischen Feldzüge, die ihn sein Amt kosteten und ihn zweimal inS Gefäng¬ niß brachten, die ihn aber nicht blos zu einem geistigen Führer der Opposition erhoben, sondern ihm auch bei seinen Gegnern hohes Ansehn verschafften. Der heroische Hintergrund, mit dem er seine Bilder staffirte, war nicht die Revolution, nicht die Republik, sondern das Kaiserreich mit seinen glänzenden Feldzügen, deren Erinnerung er mit einer Lebhaftigkeit der Phantasie ein¬ prägte, daß die bonapartistische Partei, die zum allgemeinen Erstaunen 1848

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/189>, abgerufen am 25.08.2024.