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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ist. Ja eS ist nicht unmöglich, daß er den Vortheil Frankreichs und seinen
eignen hoch genug faßt, um eine größere Concentraiion und Kräftigung der
deutschen Politik ohne innere Feindseligkeit zu betrachten. Aber wohl gemerkt,
solche Connivenz hat eine deutsche Politik nur dann zu erwarten, wenn der
Kaiser die Personen und ihr Wollen im Herzen achtet. Sollte die Schwäche
und Zerfahrenheit der deutschen Regierungen ihm Eindrücke geben, welche die
entgegengesetzten von Hochachtung sind, so ist allerdings anzunehmen, daß er
deutsche Ratlosigkeit ohne jede Rücksicht zum eignen Vortheil ausbeuten wird.

So haben wir Deutsche, wie die Sachen bei uns liegen, zur Zeit noch
durchaus keine Ursache, in dem Kaiser Frankreichs einen Gegner unsrer Wünsche
zu sehen, und man kann sagen, daß es jetzt noch von den Deutschen selbst,
ihren Staatsmännern, ihrer Politik und vor allem von der Haltung der deutschen
Nation abhängt, wie Frankreich unter Napoleon III. sich zu der Zukunft Deutsch¬
lands stellen wird. So sind wir im Stande, wenn auch ohne Sympathien, doch
nicht ohne Theilnahme auf die inneren Kämpfe zu blicken, welche dem Kaiser
seine eigenthümliche Stellung zur französischen Nation bereitet.

Und deshalb ist uns auch erlaubt, noch einer Gemüthsstimmung Ausdruck
in geben, welche hier rücksichtsvoll in Form einer Frage erscheint. Der Kaiser
ist ein Mann von bedächtiger kluger Ueberlegung und einer ungewöhnlichen
Willenskraft. Er hat, wie man sagt, etwa einen Punkt ausgenommen, keine
persönliche Freude am Lurus, dem leeren Glänze, der Ueppigkeit und dem
ruchlosen Genußleben, welchem sein Frankreich so sehr versallen ist, ja er hat,
wie erzählt wird, einige Anlagen zu einem guten Hausvater in bürgerlichem
Sinne. Als er Herr von Frankreich wurde, hat er, wie einst Augustus der
Erbe Cäsars, sich mit merkwürdiger innerer Freiheit und Entschlossenheit die
Rolle vorgezeichnet, welche er für Frankreich und in Europa spielen wollte: Wie
kommt es nun, daß er grade die Rolle nicht für sich gesunden hat, die den
Franzosen dauernd imponiren und eine bessere Zukunft für Frankreich vor¬
bereiten mußte? Die Rolle eines sparsamen, sittenstrengen, methodischen Oppo¬
nenten gegen das frivole und liederliche Treiben, daS wüste Börsenspiel und
den gemeinen Egoismus des modernen Paris? Man sage nicht/daß diese
Rolle an sich unmöglich war. So weit man die Natur des Kaisers aus der
Ferne beurtheilen kann, war er persönlich dazu mehr geeignet als zum Leit¬
stern eines glänzenden Hofes und einer verschwenderischen Umgebung. Er
repräsentirt ohne Freude an dem Flitterstaat seines Hofes. Er hat kein
inneres Verhältniß zu den Kunstleistungen der Herren Ponsard und Vernet,
und es ist anzunehmen, daß die gelehrten Stilübungen der Akademiker ihn
"und dann langweilen würden, wenn die Herren nicht zu der literarischen
Fronde gehörten. Man sage auch nicht, daß er durch seine Verbindungen ge¬
zwungen war, seinen Anhängern die Bereicherung in den "Provinzen" des


ist. Ja eS ist nicht unmöglich, daß er den Vortheil Frankreichs und seinen
eignen hoch genug faßt, um eine größere Concentraiion und Kräftigung der
deutschen Politik ohne innere Feindseligkeit zu betrachten. Aber wohl gemerkt,
solche Connivenz hat eine deutsche Politik nur dann zu erwarten, wenn der
Kaiser die Personen und ihr Wollen im Herzen achtet. Sollte die Schwäche
und Zerfahrenheit der deutschen Regierungen ihm Eindrücke geben, welche die
entgegengesetzten von Hochachtung sind, so ist allerdings anzunehmen, daß er
deutsche Ratlosigkeit ohne jede Rücksicht zum eignen Vortheil ausbeuten wird.

So haben wir Deutsche, wie die Sachen bei uns liegen, zur Zeit noch
durchaus keine Ursache, in dem Kaiser Frankreichs einen Gegner unsrer Wünsche
zu sehen, und man kann sagen, daß es jetzt noch von den Deutschen selbst,
ihren Staatsmännern, ihrer Politik und vor allem von der Haltung der deutschen
Nation abhängt, wie Frankreich unter Napoleon III. sich zu der Zukunft Deutsch¬
lands stellen wird. So sind wir im Stande, wenn auch ohne Sympathien, doch
nicht ohne Theilnahme auf die inneren Kämpfe zu blicken, welche dem Kaiser
seine eigenthümliche Stellung zur französischen Nation bereitet.

Und deshalb ist uns auch erlaubt, noch einer Gemüthsstimmung Ausdruck
in geben, welche hier rücksichtsvoll in Form einer Frage erscheint. Der Kaiser
ist ein Mann von bedächtiger kluger Ueberlegung und einer ungewöhnlichen
Willenskraft. Er hat, wie man sagt, etwa einen Punkt ausgenommen, keine
persönliche Freude am Lurus, dem leeren Glänze, der Ueppigkeit und dem
ruchlosen Genußleben, welchem sein Frankreich so sehr versallen ist, ja er hat,
wie erzählt wird, einige Anlagen zu einem guten Hausvater in bürgerlichem
Sinne. Als er Herr von Frankreich wurde, hat er, wie einst Augustus der
Erbe Cäsars, sich mit merkwürdiger innerer Freiheit und Entschlossenheit die
Rolle vorgezeichnet, welche er für Frankreich und in Europa spielen wollte: Wie
kommt es nun, daß er grade die Rolle nicht für sich gesunden hat, die den
Franzosen dauernd imponiren und eine bessere Zukunft für Frankreich vor¬
bereiten mußte? Die Rolle eines sparsamen, sittenstrengen, methodischen Oppo¬
nenten gegen das frivole und liederliche Treiben, daS wüste Börsenspiel und
den gemeinen Egoismus des modernen Paris? Man sage nicht/daß diese
Rolle an sich unmöglich war. So weit man die Natur des Kaisers aus der
Ferne beurtheilen kann, war er persönlich dazu mehr geeignet als zum Leit¬
stern eines glänzenden Hofes und einer verschwenderischen Umgebung. Er
repräsentirt ohne Freude an dem Flitterstaat seines Hofes. Er hat kein
inneres Verhältniß zu den Kunstleistungen der Herren Ponsard und Vernet,
und es ist anzunehmen, daß die gelehrten Stilübungen der Akademiker ihn
"und dann langweilen würden, wenn die Herren nicht zu der literarischen
Fronde gehörten. Man sage auch nicht, daß er durch seine Verbindungen ge¬
zwungen war, seinen Anhängern die Bereicherung in den „Provinzen" des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/173>, abgerufen am 24.08.2024.