Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

grämen sollte. Meine Eltern nun, die beiden jungen Eheleute, hatten sich
wohl eingerichtet, alles fertig gebaut, saßen in voller Nahrung und Gedeihen
mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, hatten ihr stattliches Mull- und
Brauwerk, -- da wendete sich ihre Glückseligkeit in einen betrübten, gar üb¬
len Zustand.

Denn in demselben Jahr kauft Georg Hartmann, der Tochtermann
des Doctor Stocitentin, von meinem Vater ein Viertel Butter und geräth
darüber mit ihm in Wortwechsel. Um solches zu klagen geht Hartmann, der
ohne dies einen Kurzdegen*) zu Herrn Peter Korchschwantz trug, zu seiner
Schwiegermutter. Diese, von Natur hochtrabend und sehr reich, hatte einen
Doctor, des Landesfürsten Rath, zur Ehe, achtete also geringere Leute wenig.
Sie gibt ihm ein Handbeil mit diesen Worten in die Hand: "Sieh, da hast
Du ein Viertelstück, geh auf den Markt und lauf Dir ein Herz." -- So be¬
gegnet ihm mein Vater, der nach der Wage gehen wollte, sich einen Kessel
Honig wägen zu lassen, oben in der Gasse, wo die Kleinschmiede wohnen,
ohne Wehr, er hatte kein Brodmesser bei sich. Den überfällt Hartmann mit
dem Dussek und Handbeil bewaffnet. Mein Vater entspringt ihm in das
Haus eines Kleinschmiedes, erwischt die Fleischgabel, die nehmen ihm die
Schmiedeknechte, desgleichen wehren sie ihm auch die Leiter, die an der Gale¬
rie stand, er aber reißt von der Wand einen Knebelspieß, läuft damit zum
Haus hinaus auf die Gasse und ruft, wo der sei, der ihm sein Leib und
Leben habe nehmen wollen? Daraus springt Hartmann aus des Neben¬
schmiedes Haus, hat zu seinen beiden vorigen Wehren noch vom Ambos einen
Hammer genommen, wirst mit demselben nach meinem Vater und obgleich
dieser den Wurf mit dem Spieß parirt, so gleitet doch der Hammer längs
dem Spieß auf die Brust, daß er etliche Tage Blut spie. Gleich darauf trifft
ihn Hartmann mit dem Handbeil in die Schulter. Da dieser nun mir Ham¬
mer und Handbeil getroffen hat, vermeinet er, es könne ihm nicht mehr mi߬
rathen, entblößt den Dussek und läuft damit meinem Vater aus den Spieß.
Dieser stößt ihm den Spieß bis an den Knebel in den Leib, daß er stürzt.
Dies ist dieser kläglichen Historie wahrhaftige narration. Ich weiß wol, daß
die Gegner das anders berichten, mein Vater habe den Hartmann erstochen,
als dieser sich in des Schmieds Stube wehrlos hinter dem Ofen versteckt ge¬
habt; es klingt nicht, nuFse sunt, tabulae sunt.

Mein Vater eilte stracks nach dem Kloster der schwarzen Mönche, er war
mit den Mönchen bekannt; die führten ihn in die Kirche oben unter dem Ge¬
wölbe in ein Steinspiut. Doctor Stocitentin mit großem Beistand und Die¬
nern durchsuchte alle Winkel des Klosters und kam auch in die Kirche. Mein



*) Im Original Taßhake", locale Umformung von Dussek.
Grenzboten. III. 18S7.

grämen sollte. Meine Eltern nun, die beiden jungen Eheleute, hatten sich
wohl eingerichtet, alles fertig gebaut, saßen in voller Nahrung und Gedeihen
mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, hatten ihr stattliches Mull- und
Brauwerk, — da wendete sich ihre Glückseligkeit in einen betrübten, gar üb¬
len Zustand.

Denn in demselben Jahr kauft Georg Hartmann, der Tochtermann
des Doctor Stocitentin, von meinem Vater ein Viertel Butter und geräth
darüber mit ihm in Wortwechsel. Um solches zu klagen geht Hartmann, der
ohne dies einen Kurzdegen*) zu Herrn Peter Korchschwantz trug, zu seiner
Schwiegermutter. Diese, von Natur hochtrabend und sehr reich, hatte einen
Doctor, des Landesfürsten Rath, zur Ehe, achtete also geringere Leute wenig.
Sie gibt ihm ein Handbeil mit diesen Worten in die Hand: „Sieh, da hast
Du ein Viertelstück, geh auf den Markt und lauf Dir ein Herz." — So be¬
gegnet ihm mein Vater, der nach der Wage gehen wollte, sich einen Kessel
Honig wägen zu lassen, oben in der Gasse, wo die Kleinschmiede wohnen,
ohne Wehr, er hatte kein Brodmesser bei sich. Den überfällt Hartmann mit
dem Dussek und Handbeil bewaffnet. Mein Vater entspringt ihm in das
Haus eines Kleinschmiedes, erwischt die Fleischgabel, die nehmen ihm die
Schmiedeknechte, desgleichen wehren sie ihm auch die Leiter, die an der Gale¬
rie stand, er aber reißt von der Wand einen Knebelspieß, läuft damit zum
Haus hinaus auf die Gasse und ruft, wo der sei, der ihm sein Leib und
Leben habe nehmen wollen? Daraus springt Hartmann aus des Neben¬
schmiedes Haus, hat zu seinen beiden vorigen Wehren noch vom Ambos einen
Hammer genommen, wirst mit demselben nach meinem Vater und obgleich
dieser den Wurf mit dem Spieß parirt, so gleitet doch der Hammer längs
dem Spieß auf die Brust, daß er etliche Tage Blut spie. Gleich darauf trifft
ihn Hartmann mit dem Handbeil in die Schulter. Da dieser nun mir Ham¬
mer und Handbeil getroffen hat, vermeinet er, es könne ihm nicht mehr mi߬
rathen, entblößt den Dussek und läuft damit meinem Vater aus den Spieß.
Dieser stößt ihm den Spieß bis an den Knebel in den Leib, daß er stürzt.
Dies ist dieser kläglichen Historie wahrhaftige narration. Ich weiß wol, daß
die Gegner das anders berichten, mein Vater habe den Hartmann erstochen,
als dieser sich in des Schmieds Stube wehrlos hinter dem Ofen versteckt ge¬
habt; es klingt nicht, nuFse sunt, tabulae sunt.

Mein Vater eilte stracks nach dem Kloster der schwarzen Mönche, er war
mit den Mönchen bekannt; die führten ihn in die Kirche oben unter dem Ge¬
wölbe in ein Steinspiut. Doctor Stocitentin mit großem Beistand und Die¬
nern durchsuchte alle Winkel des Klosters und kam auch in die Kirche. Mein



*) Im Original Taßhake», locale Umformung von Dussek.
Grenzboten. III. 18S7.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104218"/>
            <p xml:id="ID_34" prev="#ID_33"> grämen sollte. Meine Eltern nun, die beiden jungen Eheleute, hatten sich<lb/>
wohl eingerichtet, alles fertig gebaut, saßen in voller Nahrung und Gedeihen<lb/>
mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, hatten ihr stattliches Mull- und<lb/>
Brauwerk, &#x2014; da wendete sich ihre Glückseligkeit in einen betrübten, gar üb¬<lb/>
len Zustand.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_35"> Denn in demselben Jahr kauft Georg Hartmann, der Tochtermann<lb/>
des Doctor Stocitentin, von meinem Vater ein Viertel Butter und geräth<lb/>
darüber mit ihm in Wortwechsel. Um solches zu klagen geht Hartmann, der<lb/>
ohne dies einen Kurzdegen*) zu Herrn Peter Korchschwantz trug, zu seiner<lb/>
Schwiegermutter. Diese, von Natur hochtrabend und sehr reich, hatte einen<lb/>
Doctor, des Landesfürsten Rath, zur Ehe, achtete also geringere Leute wenig.<lb/>
Sie gibt ihm ein Handbeil mit diesen Worten in die Hand: &#x201E;Sieh, da hast<lb/>
Du ein Viertelstück, geh auf den Markt und lauf Dir ein Herz." &#x2014; So be¬<lb/>
gegnet ihm mein Vater, der nach der Wage gehen wollte, sich einen Kessel<lb/>
Honig wägen zu lassen, oben in der Gasse, wo die Kleinschmiede wohnen,<lb/>
ohne Wehr, er hatte kein Brodmesser bei sich. Den überfällt Hartmann mit<lb/>
dem Dussek und Handbeil bewaffnet. Mein Vater entspringt ihm in das<lb/>
Haus eines Kleinschmiedes, erwischt die Fleischgabel, die nehmen ihm die<lb/>
Schmiedeknechte, desgleichen wehren sie ihm auch die Leiter, die an der Gale¬<lb/>
rie stand, er aber reißt von der Wand einen Knebelspieß, läuft damit zum<lb/>
Haus hinaus auf die Gasse und ruft, wo der sei, der ihm sein Leib und<lb/>
Leben habe nehmen wollen? Daraus springt Hartmann aus des Neben¬<lb/>
schmiedes Haus, hat zu seinen beiden vorigen Wehren noch vom Ambos einen<lb/>
Hammer genommen, wirst mit demselben nach meinem Vater und obgleich<lb/>
dieser den Wurf mit dem Spieß parirt, so gleitet doch der Hammer längs<lb/>
dem Spieß auf die Brust, daß er etliche Tage Blut spie. Gleich darauf trifft<lb/>
ihn Hartmann mit dem Handbeil in die Schulter. Da dieser nun mir Ham¬<lb/>
mer und Handbeil getroffen hat, vermeinet er, es könne ihm nicht mehr mi߬<lb/>
rathen, entblößt den Dussek und läuft damit meinem Vater aus den Spieß.<lb/>
Dieser stößt ihm den Spieß bis an den Knebel in den Leib, daß er stürzt.<lb/>
Dies ist dieser kläglichen Historie wahrhaftige narration. Ich weiß wol, daß<lb/>
die Gegner das anders berichten, mein Vater habe den Hartmann erstochen,<lb/>
als dieser sich in des Schmieds Stube wehrlos hinter dem Ofen versteckt ge¬<lb/>
habt;    es klingt nicht, nuFse sunt, tabulae sunt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_36" next="#ID_37"> Mein Vater eilte stracks nach dem Kloster der schwarzen Mönche, er war<lb/>
mit den Mönchen bekannt; die führten ihn in die Kirche oben unter dem Ge¬<lb/>
wölbe in ein Steinspiut. Doctor Stocitentin mit großem Beistand und Die¬<lb/>
nern durchsuchte alle Winkel des Klosters und kam auch in die Kirche. Mein</p><lb/>
            <note xml:id="FID_2" place="foot"> *) Im Original Taßhake», locale Umformung von Dussek.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18S7.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] grämen sollte. Meine Eltern nun, die beiden jungen Eheleute, hatten sich wohl eingerichtet, alles fertig gebaut, saßen in voller Nahrung und Gedeihen mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, hatten ihr stattliches Mull- und Brauwerk, — da wendete sich ihre Glückseligkeit in einen betrübten, gar üb¬ len Zustand. Denn in demselben Jahr kauft Georg Hartmann, der Tochtermann des Doctor Stocitentin, von meinem Vater ein Viertel Butter und geräth darüber mit ihm in Wortwechsel. Um solches zu klagen geht Hartmann, der ohne dies einen Kurzdegen*) zu Herrn Peter Korchschwantz trug, zu seiner Schwiegermutter. Diese, von Natur hochtrabend und sehr reich, hatte einen Doctor, des Landesfürsten Rath, zur Ehe, achtete also geringere Leute wenig. Sie gibt ihm ein Handbeil mit diesen Worten in die Hand: „Sieh, da hast Du ein Viertelstück, geh auf den Markt und lauf Dir ein Herz." — So be¬ gegnet ihm mein Vater, der nach der Wage gehen wollte, sich einen Kessel Honig wägen zu lassen, oben in der Gasse, wo die Kleinschmiede wohnen, ohne Wehr, er hatte kein Brodmesser bei sich. Den überfällt Hartmann mit dem Dussek und Handbeil bewaffnet. Mein Vater entspringt ihm in das Haus eines Kleinschmiedes, erwischt die Fleischgabel, die nehmen ihm die Schmiedeknechte, desgleichen wehren sie ihm auch die Leiter, die an der Gale¬ rie stand, er aber reißt von der Wand einen Knebelspieß, läuft damit zum Haus hinaus auf die Gasse und ruft, wo der sei, der ihm sein Leib und Leben habe nehmen wollen? Daraus springt Hartmann aus des Neben¬ schmiedes Haus, hat zu seinen beiden vorigen Wehren noch vom Ambos einen Hammer genommen, wirst mit demselben nach meinem Vater und obgleich dieser den Wurf mit dem Spieß parirt, so gleitet doch der Hammer längs dem Spieß auf die Brust, daß er etliche Tage Blut spie. Gleich darauf trifft ihn Hartmann mit dem Handbeil in die Schulter. Da dieser nun mir Ham¬ mer und Handbeil getroffen hat, vermeinet er, es könne ihm nicht mehr mi߬ rathen, entblößt den Dussek und läuft damit meinem Vater aus den Spieß. Dieser stößt ihm den Spieß bis an den Knebel in den Leib, daß er stürzt. Dies ist dieser kläglichen Historie wahrhaftige narration. Ich weiß wol, daß die Gegner das anders berichten, mein Vater habe den Hartmann erstochen, als dieser sich in des Schmieds Stube wehrlos hinter dem Ofen versteckt ge¬ habt; es klingt nicht, nuFse sunt, tabulae sunt. Mein Vater eilte stracks nach dem Kloster der schwarzen Mönche, er war mit den Mönchen bekannt; die führten ihn in die Kirche oben unter dem Ge¬ wölbe in ein Steinspiut. Doctor Stocitentin mit großem Beistand und Die¬ nern durchsuchte alle Winkel des Klosters und kam auch in die Kirche. Mein *) Im Original Taßhake», locale Umformung von Dussek. Grenzboten. III. 18S7.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/17>, abgerufen am 25.08.2024.