Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Napoleon III. aus der Höhe seiner Macht.

Die erste Aufregung der Oppositionswahlen ist vorüber, ein finsterer
Mordanschlag auf daS Leben des Kaisers vereitelt, sein persönliches Befinden
besser als seit Jahren. Die hohen Zolleinnahmen verkünden, daß Frankreichs
Handel und Industrie in starker Zunahme begriffen ist, und bis in die Zurück¬
gezogenheit eines ländlichen Bades suchen den Beherrscher Frankreichs die
Besuche deutscher Rheinbundfürsten.

Seit dem orientalischen Kriege ist eS der Klugheit des Kaisers gelungen, die
Machtstellung nach außen, welche er den Heeren Frankreichs verdankte, durch
friedliche Diplomatie noch zu erhöhen. In der Beflissenheit, mit welcher er
die politischen Fragen Europas vor sein Forum zu ziehen suchte, lag wenig¬
stens nichts Kleinliches, die Knoten, welche seine Hand berührte, hat er bis
jetzt so gelöst, daß ihm auch seine Gegner eine widerwillige Achtung nicht
versagen können. Und weder die fremden Souveräne, noch die hadernden
Cabinete Europas haben bei ihren Verhandlungen zu Paris die Tugenden
einer legitimen und gewiegten Regierung zu vermissen Ursache gehabt, weder
die Besonnenheit fehlte, noch daS sichere Urtheil über Persönlichkeiten und
fremde Situationen, noch jene Billigkeit und wohlwollende Behandlung fremder
Interessen, welche das letzte Resultat eines sicheren fürstlichen Selbstgefühles
zu sein pflegt. Wer vor dem Kaiser zu verhandeln hatte, der mußte genau
zusehen, um zu erkennen, daß der letzte Grund des kriegerischen und diploma¬
tischen Ehrgeizes, den der Kaiser mit so großer Haltung entwickelte, aus einer
sehr bürgerlichen Gemüthsstimmung hervorging, aus dem Bestreben, den hon¬
netten Leuten seines Landes zu imponiren.

Merkwürdiges Schicksal! Ein kräftiger Geist müht sich unablässig und
ohne Erfolg, durch die Achtung, welche er Europa abzwingt, die Gebildeten
seiner Nation vergessen zu machen, auf welche Weise er ihr Herr wende. Ueber
dem dichten Schwarm seiner Höflinge und gefälligen Anhänger lauscht der
Kaiser mit Spannung auf jeden Ton in den Weinschenken der Arbeiter, wie
in den Gesellschaftszimmern der Akademiker, und das polizeiliche Telegraphen-
netz, welches er über Frankreich gezogen hat, führt mit Blitzesschnelle jeden Mi߬
ton in das Ohr des Schweigsamen und sammelt Wolken auf seiner bleichen Stirn.


Grenzboten III. 18ö7. 21
Napoleon III. aus der Höhe seiner Macht.

Die erste Aufregung der Oppositionswahlen ist vorüber, ein finsterer
Mordanschlag auf daS Leben des Kaisers vereitelt, sein persönliches Befinden
besser als seit Jahren. Die hohen Zolleinnahmen verkünden, daß Frankreichs
Handel und Industrie in starker Zunahme begriffen ist, und bis in die Zurück¬
gezogenheit eines ländlichen Bades suchen den Beherrscher Frankreichs die
Besuche deutscher Rheinbundfürsten.

Seit dem orientalischen Kriege ist eS der Klugheit des Kaisers gelungen, die
Machtstellung nach außen, welche er den Heeren Frankreichs verdankte, durch
friedliche Diplomatie noch zu erhöhen. In der Beflissenheit, mit welcher er
die politischen Fragen Europas vor sein Forum zu ziehen suchte, lag wenig¬
stens nichts Kleinliches, die Knoten, welche seine Hand berührte, hat er bis
jetzt so gelöst, daß ihm auch seine Gegner eine widerwillige Achtung nicht
versagen können. Und weder die fremden Souveräne, noch die hadernden
Cabinete Europas haben bei ihren Verhandlungen zu Paris die Tugenden
einer legitimen und gewiegten Regierung zu vermissen Ursache gehabt, weder
die Besonnenheit fehlte, noch daS sichere Urtheil über Persönlichkeiten und
fremde Situationen, noch jene Billigkeit und wohlwollende Behandlung fremder
Interessen, welche das letzte Resultat eines sicheren fürstlichen Selbstgefühles
zu sein pflegt. Wer vor dem Kaiser zu verhandeln hatte, der mußte genau
zusehen, um zu erkennen, daß der letzte Grund des kriegerischen und diploma¬
tischen Ehrgeizes, den der Kaiser mit so großer Haltung entwickelte, aus einer
sehr bürgerlichen Gemüthsstimmung hervorging, aus dem Bestreben, den hon¬
netten Leuten seines Landes zu imponiren.

Merkwürdiges Schicksal! Ein kräftiger Geist müht sich unablässig und
ohne Erfolg, durch die Achtung, welche er Europa abzwingt, die Gebildeten
seiner Nation vergessen zu machen, auf welche Weise er ihr Herr wende. Ueber
dem dichten Schwarm seiner Höflinge und gefälligen Anhänger lauscht der
Kaiser mit Spannung auf jeden Ton in den Weinschenken der Arbeiter, wie
in den Gesellschaftszimmern der Akademiker, und das polizeiliche Telegraphen-
netz, welches er über Frankreich gezogen hat, führt mit Blitzesschnelle jeden Mi߬
ton in das Ohr des Schweigsamen und sammelt Wolken auf seiner bleichen Stirn.


Grenzboten III. 18ö7. 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104370"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Napoleon III. aus der Höhe seiner Macht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_450"> Die erste Aufregung der Oppositionswahlen ist vorüber, ein finsterer<lb/>
Mordanschlag auf daS Leben des Kaisers vereitelt, sein persönliches Befinden<lb/>
besser als seit Jahren. Die hohen Zolleinnahmen verkünden, daß Frankreichs<lb/>
Handel und Industrie in starker Zunahme begriffen ist, und bis in die Zurück¬<lb/>
gezogenheit eines ländlichen Bades suchen den Beherrscher Frankreichs die<lb/>
Besuche deutscher Rheinbundfürsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_451"> Seit dem orientalischen Kriege ist eS der Klugheit des Kaisers gelungen, die<lb/>
Machtstellung nach außen, welche er den Heeren Frankreichs verdankte, durch<lb/>
friedliche Diplomatie noch zu erhöhen. In der Beflissenheit, mit welcher er<lb/>
die politischen Fragen Europas vor sein Forum zu ziehen suchte, lag wenig¬<lb/>
stens nichts Kleinliches, die Knoten, welche seine Hand berührte, hat er bis<lb/>
jetzt so gelöst, daß ihm auch seine Gegner eine widerwillige Achtung nicht<lb/>
versagen können. Und weder die fremden Souveräne, noch die hadernden<lb/>
Cabinete Europas haben bei ihren Verhandlungen zu Paris die Tugenden<lb/>
einer legitimen und gewiegten Regierung zu vermissen Ursache gehabt, weder<lb/>
die Besonnenheit fehlte, noch daS sichere Urtheil über Persönlichkeiten und<lb/>
fremde Situationen, noch jene Billigkeit und wohlwollende Behandlung fremder<lb/>
Interessen, welche das letzte Resultat eines sicheren fürstlichen Selbstgefühles<lb/>
zu sein pflegt. Wer vor dem Kaiser zu verhandeln hatte, der mußte genau<lb/>
zusehen, um zu erkennen, daß der letzte Grund des kriegerischen und diploma¬<lb/>
tischen Ehrgeizes, den der Kaiser mit so großer Haltung entwickelte, aus einer<lb/>
sehr bürgerlichen Gemüthsstimmung hervorging, aus dem Bestreben, den hon¬<lb/>
netten Leuten seines Landes zu imponiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_452"> Merkwürdiges Schicksal! Ein kräftiger Geist müht sich unablässig und<lb/>
ohne Erfolg, durch die Achtung, welche er Europa abzwingt, die Gebildeten<lb/>
seiner Nation vergessen zu machen, auf welche Weise er ihr Herr wende. Ueber<lb/>
dem dichten Schwarm seiner Höflinge und gefälligen Anhänger lauscht der<lb/>
Kaiser mit Spannung auf jeden Ton in den Weinschenken der Arbeiter, wie<lb/>
in den Gesellschaftszimmern der Akademiker, und das polizeiliche Telegraphen-<lb/>
netz, welches er über Frankreich gezogen hat, führt mit Blitzesschnelle jeden Mi߬<lb/>
ton in das Ohr des Schweigsamen und sammelt Wolken auf seiner bleichen Stirn.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 18ö7. 21</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Napoleon III. aus der Höhe seiner Macht. Die erste Aufregung der Oppositionswahlen ist vorüber, ein finsterer Mordanschlag auf daS Leben des Kaisers vereitelt, sein persönliches Befinden besser als seit Jahren. Die hohen Zolleinnahmen verkünden, daß Frankreichs Handel und Industrie in starker Zunahme begriffen ist, und bis in die Zurück¬ gezogenheit eines ländlichen Bades suchen den Beherrscher Frankreichs die Besuche deutscher Rheinbundfürsten. Seit dem orientalischen Kriege ist eS der Klugheit des Kaisers gelungen, die Machtstellung nach außen, welche er den Heeren Frankreichs verdankte, durch friedliche Diplomatie noch zu erhöhen. In der Beflissenheit, mit welcher er die politischen Fragen Europas vor sein Forum zu ziehen suchte, lag wenig¬ stens nichts Kleinliches, die Knoten, welche seine Hand berührte, hat er bis jetzt so gelöst, daß ihm auch seine Gegner eine widerwillige Achtung nicht versagen können. Und weder die fremden Souveräne, noch die hadernden Cabinete Europas haben bei ihren Verhandlungen zu Paris die Tugenden einer legitimen und gewiegten Regierung zu vermissen Ursache gehabt, weder die Besonnenheit fehlte, noch daS sichere Urtheil über Persönlichkeiten und fremde Situationen, noch jene Billigkeit und wohlwollende Behandlung fremder Interessen, welche das letzte Resultat eines sicheren fürstlichen Selbstgefühles zu sein pflegt. Wer vor dem Kaiser zu verhandeln hatte, der mußte genau zusehen, um zu erkennen, daß der letzte Grund des kriegerischen und diploma¬ tischen Ehrgeizes, den der Kaiser mit so großer Haltung entwickelte, aus einer sehr bürgerlichen Gemüthsstimmung hervorging, aus dem Bestreben, den hon¬ netten Leuten seines Landes zu imponiren. Merkwürdiges Schicksal! Ein kräftiger Geist müht sich unablässig und ohne Erfolg, durch die Achtung, welche er Europa abzwingt, die Gebildeten seiner Nation vergessen zu machen, auf welche Weise er ihr Herr wende. Ueber dem dichten Schwarm seiner Höflinge und gefälligen Anhänger lauscht der Kaiser mit Spannung auf jeden Ton in den Weinschenken der Arbeiter, wie in den Gesellschaftszimmern der Akademiker, und das polizeiliche Telegraphen- netz, welches er über Frankreich gezogen hat, führt mit Blitzesschnelle jeden Mi߬ ton in das Ohr des Schweigsamen und sammelt Wolken auf seiner bleichen Stirn. Grenzboten III. 18ö7. 21

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/169>, abgerufen am 28.09.2024.