Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.zogen als je, der Begriff der Gleichheit, der schon unter der Julimonarchie einen zogen als je, der Begriff der Gleichheit, der schon unter der Julimonarchie einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104367"/> <p xml:id="ID_441" prev="#ID_440" next="#ID_442"> zogen als je, der Begriff der Gleichheit, der schon unter der Julimonarchie einen<lb/> so erstaunlichen Umfang gewonnen hatte, hat denselben noch vergrößert, und von<lb/> der politischen Freiheit hört man gar nichts mehr. Nicht blos, daß ihr die fac-<lb/> tischen Institutionen keinen Raum verstatten, es scheint sich auch das Interesse da¬<lb/> ran verloren zu haben. Tocqueville sagt in seiner Vorrede: „Viele, die mein<lb/> Buch lesen, werden mich beschuldigen, darin eine höchst unzeitige Vorliebe für die<lb/> Freiheit zu zeigen, da, wie man mir versichert, sie heutzutage wenig in Frankreich<lb/> gilt. Nur bitte ich diejenigen, die mir diesen Vorwurf machen, zu erwägen, daß<lb/> dieser Hang bei mir sehr alt ist." Er wiederholt dann die Grundsätze, die er in<lb/> seinem Buche über die Demokratie gepredigt und sährt fort: „Ich gestehe, daß<lb/> seitdem sich nichts auf Erden ereignet hat, was mich hätte bewegen können, anders<lb/> zu reden und zu denken. Nachdem ich die gute Meinung,, die ich von der Freiheit<lb/> hege, zu einer Zeit ausgesprochen habe, wo viele ihr noch dienten, so muß man<lb/> mir gestatten, ihr auch jetzt treu zu bleiben, wo viele sie verlassen/' Trotz der<lb/> Objektivität seiner Haltung läßt er doch die Analogien zwischen den früheren Ent¬<lb/> wicklungsphasen der Revolution und den gegenwärtigen Zuständen deutlich genug<lb/> hervortreten. Charakteristischer noch als der Inhalt ist der Ton dieser Parallele,<lb/> und der Sanguiniker, der die gegenwärtigen Zustände sür vollkommen consolidirt<lb/> ansieht, muß von der kalten Verachtung betroffen werden, mit der sich ein hoch¬<lb/> gebildeter und vorurtheilsfreier Schriftsteller über dieselben ausspricht. Wir heben<lb/> nur eine Stelle hervor: „Indem ich den Lauf dieser Revolution schnell verfolge, werde<lb/> ich hinweisen auf die Ereignisse, auf die Fehler, auf die Mißgriffe, durch welche<lb/> jene Franzosen dahin gelangten, sich von ihrem ersten Augenmerk abzuwenden, und,<lb/> der Freiheit entsagend, nur noch begehrten, gleichgestellte Diener des Welteroberers<lb/> zu werden, ich werde zeigen, wie dann eine kräftigere und unumschränktere Re¬<lb/> gierung als diejenige, welche von der Revolution zerstört wurde, alle Gewalt an<lb/> sich reißt und in sich concentrirt, alle die so theuer erkauften Freiheiten zu Boden<lb/> schlägt und an ihrer Statt nur noch ihre wesenlosen Schatten bestehen läßt, indem<lb/> sie Volkswillen die Stimmen von Wählern nennt, die weder sich aufklären können,<lb/> noch untereinander sich berathschlagen, noch anders wählen dürfen; freie Bewilligung<lb/> der Steuern den Beifall der stummen und geknechteten Versammlungen; ich werde<lb/> zeigen, wie diese Gewalt, während sie im Volk die Fähigkeit, sich selbst zu regieren,<lb/> die Freiheit zu reden, zu denken, zu schreiben, also alles Edle und Große zerstört,<lb/> was man 1789 erkämpft hatte, dennoch es wagt, sich mit diesem hehren Namen zu<lb/> schmücken." — So lange diese Stimmung in der eigentlichen Blüte der Nation fortdauert,<lb/> dürste es voreilig sein, von einer Cvnsolidation der bestehenden Zustände zu reden. —<lb/> Die letzten Resultate, zu denen Tocqueville gelangt, sind bereits früher von uns aus¬<lb/> einandergesetzt. Die Centralisation der Verwaltung und was damit zusammenhängt, die<lb/> Absorbtion alles nationalen Lebens durch die Hauptstadt war nicht, wie man früher<lb/> glaubte, die Folge, sondern der Grund der Revolution. Die Revolution hat nichts<lb/> weiter gethan, als die Trümmer des alten Fcudalstaates beseitigt, die jenem modernen<lb/> Absolutismus einen mehr scheinbaren als wirklichen Widerstand entgegensetzten. Sie<lb/> hat die allmächtige Staatsmaschine deutlicher hervortreten lassen, aber sie hat sie<lb/> nicht geschaffen. Nicht blos das Material, welches sie zu ihrem neuen Bau anwandte,<lb/> " sondern auch die Wünsche und Ideale, von denen sie bestimmt wurde, waren ihr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
zogen als je, der Begriff der Gleichheit, der schon unter der Julimonarchie einen
so erstaunlichen Umfang gewonnen hatte, hat denselben noch vergrößert, und von
der politischen Freiheit hört man gar nichts mehr. Nicht blos, daß ihr die fac-
tischen Institutionen keinen Raum verstatten, es scheint sich auch das Interesse da¬
ran verloren zu haben. Tocqueville sagt in seiner Vorrede: „Viele, die mein
Buch lesen, werden mich beschuldigen, darin eine höchst unzeitige Vorliebe für die
Freiheit zu zeigen, da, wie man mir versichert, sie heutzutage wenig in Frankreich
gilt. Nur bitte ich diejenigen, die mir diesen Vorwurf machen, zu erwägen, daß
dieser Hang bei mir sehr alt ist." Er wiederholt dann die Grundsätze, die er in
seinem Buche über die Demokratie gepredigt und sährt fort: „Ich gestehe, daß
seitdem sich nichts auf Erden ereignet hat, was mich hätte bewegen können, anders
zu reden und zu denken. Nachdem ich die gute Meinung,, die ich von der Freiheit
hege, zu einer Zeit ausgesprochen habe, wo viele ihr noch dienten, so muß man
mir gestatten, ihr auch jetzt treu zu bleiben, wo viele sie verlassen/' Trotz der
Objektivität seiner Haltung läßt er doch die Analogien zwischen den früheren Ent¬
wicklungsphasen der Revolution und den gegenwärtigen Zuständen deutlich genug
hervortreten. Charakteristischer noch als der Inhalt ist der Ton dieser Parallele,
und der Sanguiniker, der die gegenwärtigen Zustände sür vollkommen consolidirt
ansieht, muß von der kalten Verachtung betroffen werden, mit der sich ein hoch¬
gebildeter und vorurtheilsfreier Schriftsteller über dieselben ausspricht. Wir heben
nur eine Stelle hervor: „Indem ich den Lauf dieser Revolution schnell verfolge, werde
ich hinweisen auf die Ereignisse, auf die Fehler, auf die Mißgriffe, durch welche
jene Franzosen dahin gelangten, sich von ihrem ersten Augenmerk abzuwenden, und,
der Freiheit entsagend, nur noch begehrten, gleichgestellte Diener des Welteroberers
zu werden, ich werde zeigen, wie dann eine kräftigere und unumschränktere Re¬
gierung als diejenige, welche von der Revolution zerstört wurde, alle Gewalt an
sich reißt und in sich concentrirt, alle die so theuer erkauften Freiheiten zu Boden
schlägt und an ihrer Statt nur noch ihre wesenlosen Schatten bestehen läßt, indem
sie Volkswillen die Stimmen von Wählern nennt, die weder sich aufklären können,
noch untereinander sich berathschlagen, noch anders wählen dürfen; freie Bewilligung
der Steuern den Beifall der stummen und geknechteten Versammlungen; ich werde
zeigen, wie diese Gewalt, während sie im Volk die Fähigkeit, sich selbst zu regieren,
die Freiheit zu reden, zu denken, zu schreiben, also alles Edle und Große zerstört,
was man 1789 erkämpft hatte, dennoch es wagt, sich mit diesem hehren Namen zu
schmücken." — So lange diese Stimmung in der eigentlichen Blüte der Nation fortdauert,
dürste es voreilig sein, von einer Cvnsolidation der bestehenden Zustände zu reden. —
Die letzten Resultate, zu denen Tocqueville gelangt, sind bereits früher von uns aus¬
einandergesetzt. Die Centralisation der Verwaltung und was damit zusammenhängt, die
Absorbtion alles nationalen Lebens durch die Hauptstadt war nicht, wie man früher
glaubte, die Folge, sondern der Grund der Revolution. Die Revolution hat nichts
weiter gethan, als die Trümmer des alten Fcudalstaates beseitigt, die jenem modernen
Absolutismus einen mehr scheinbaren als wirklichen Widerstand entgegensetzten. Sie
hat die allmächtige Staatsmaschine deutlicher hervortreten lassen, aber sie hat sie
nicht geschaffen. Nicht blos das Material, welches sie zu ihrem neuen Bau anwandte,
" sondern auch die Wünsche und Ideale, von denen sie bestimmt wurde, waren ihr
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