Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.Wir können jetzt den oben bezeichneten Gedankengang wieder aufnehmen. Man wird uns fragen, was denn eigentlich diese Auseinandersetzungen Wir können jetzt den oben bezeichneten Gedankengang wieder aufnehmen. Man wird uns fragen, was denn eigentlich diese Auseinandersetzungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104339"/> <p xml:id="ID_367"> Wir können jetzt den oben bezeichneten Gedankengang wieder aufnehmen.<lb/> Ist die in Frankreich constatirte Minderung der Bevölkerungszunahme wirklich<lb/> die Folge größern Wohlstands und größerer sittlicher Kraft, oder ist die in<lb/> Zahlen ausgedrückte Steigerung des französischen Handelsverkehrs ein Beweis<lb/> des allgemeinen, ökonomischen Fortschritts? Wir fürchten, die Antwort fällt<lb/> nach beiden Seiten sehr ungünstig aus. Selbst in Frankreich zeigen sich immer<lb/> mehr bedenkliche Symptome, nicht in der geknebelten Presse, oder sonstwie<lb/> auf dem politischen Felde, aber die „Renten" und die Actien werden massen¬<lb/> haft nach der Fondsbörse zurückgetragen^ die sich nun über das stete Sinken<lb/> des Courses gar nicht zu fassen weiß.</p><lb/> <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Man wird uns fragen, was denn eigentlich diese Auseinandersetzungen<lb/> sollen, ob vielleicht einen Hinweis auf baldige Aenderung des politischen<lb/> Windes? So kühn sind wir nun wirklich nicht; von aller Ungewißheit über<lb/> den Bestand des jetzigen Regimes ist die über die Zeit ihres AusHörens viel¬<lb/> leicht die größte. Aber das Wichtige sind die aus solchen Zuständen sich er¬<lb/> gebenden Folgen für' die allgemeinen wirthschaftlichen Kreise. Unter den<lb/> vielen Untersuchungen, die über die Ursachen des jetzigen hohen Disconto-<lb/> standes angestellt worden sind, hat man selten sich nur bis zu Andeutungen<lb/> über diese allgemeine Sachlage erhoben. Wir wollen hier nur andeuten, daß<lb/> der Disconto als der Procentsatz, zu dem ein Kaufmann oder Fabrikant seine<lb/> Wechsel verkaufen kann, den Ueberfluß oder den Mangel an kaufmännischen<lb/> oder gewerblichen Capital andeutet. Wenn nun einerseits die Ursache davon<lb/> in dem vielen Gelde zu suchen ist, das auf die Actienunternehmungen der<lb/> neuesten Zeit verwandt worden ist, so muß man andererseits diesen Einfluß<lb/> doch nicht als den allein maßgebenden betrachten. Dem Kaufmann steht<lb/> nämlich ein der Ausdehnung nach fast unbeschränktes Mittel zu Gebote, um<lb/> sich Geld zu machen, in seinen Wechseln nämlich. Der allergrößte Theil deö<lb/> kaufmännischen Verkehrs wird bekanntlich durch Wechsel betrieben, die von<lb/> Hand zu Hand an Zahlungsstatt gehen und endlich durch sehr einfache Pro¬<lb/> ceduren (man denke an das londoner clearinA-Koü8k!) auf ein Minimum an<lb/> baarem Gelde reducirt werden. Aber nicht blos der kaufmännische Verkehr,<lb/> sondern auch Operationen aus die Course und auf den Preis der edeln Me-<lb/> talle, erzeugen eine große Menge von Wechseln, und endlich gibt eS deren auch,<lb/> hinter denen nur die Absicht steckt, billig sich ein Umlaufsmittel zu schaffen.<lb/> Wenn nun das kaufmännische Capital größtentheils in Wechseln umläuft, die<lb/> der Kaufmann sich selber machen kann, und doch der Disconto, der Baro¬<lb/> meter deS zu kaufmännischen Zwecken verwendbaren Capitalbestandes, zu seinem<lb/> eignen größten Nachtheil so hoch steht, warum, könnte man fragen, weiß der<lb/> Kaufmann sich nicht selbst durch Wechsel zu helfen? Die Frage klingt naiver<lb/> als sie ist und kann nicht damit abgewiesen werden, daß das ja Wechselreiterei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Wir können jetzt den oben bezeichneten Gedankengang wieder aufnehmen.
Ist die in Frankreich constatirte Minderung der Bevölkerungszunahme wirklich
die Folge größern Wohlstands und größerer sittlicher Kraft, oder ist die in
Zahlen ausgedrückte Steigerung des französischen Handelsverkehrs ein Beweis
des allgemeinen, ökonomischen Fortschritts? Wir fürchten, die Antwort fällt
nach beiden Seiten sehr ungünstig aus. Selbst in Frankreich zeigen sich immer
mehr bedenkliche Symptome, nicht in der geknebelten Presse, oder sonstwie
auf dem politischen Felde, aber die „Renten" und die Actien werden massen¬
haft nach der Fondsbörse zurückgetragen^ die sich nun über das stete Sinken
des Courses gar nicht zu fassen weiß.
Man wird uns fragen, was denn eigentlich diese Auseinandersetzungen
sollen, ob vielleicht einen Hinweis auf baldige Aenderung des politischen
Windes? So kühn sind wir nun wirklich nicht; von aller Ungewißheit über
den Bestand des jetzigen Regimes ist die über die Zeit ihres AusHörens viel¬
leicht die größte. Aber das Wichtige sind die aus solchen Zuständen sich er¬
gebenden Folgen für' die allgemeinen wirthschaftlichen Kreise. Unter den
vielen Untersuchungen, die über die Ursachen des jetzigen hohen Disconto-
standes angestellt worden sind, hat man selten sich nur bis zu Andeutungen
über diese allgemeine Sachlage erhoben. Wir wollen hier nur andeuten, daß
der Disconto als der Procentsatz, zu dem ein Kaufmann oder Fabrikant seine
Wechsel verkaufen kann, den Ueberfluß oder den Mangel an kaufmännischen
oder gewerblichen Capital andeutet. Wenn nun einerseits die Ursache davon
in dem vielen Gelde zu suchen ist, das auf die Actienunternehmungen der
neuesten Zeit verwandt worden ist, so muß man andererseits diesen Einfluß
doch nicht als den allein maßgebenden betrachten. Dem Kaufmann steht
nämlich ein der Ausdehnung nach fast unbeschränktes Mittel zu Gebote, um
sich Geld zu machen, in seinen Wechseln nämlich. Der allergrößte Theil deö
kaufmännischen Verkehrs wird bekanntlich durch Wechsel betrieben, die von
Hand zu Hand an Zahlungsstatt gehen und endlich durch sehr einfache Pro¬
ceduren (man denke an das londoner clearinA-Koü8k!) auf ein Minimum an
baarem Gelde reducirt werden. Aber nicht blos der kaufmännische Verkehr,
sondern auch Operationen aus die Course und auf den Preis der edeln Me-
talle, erzeugen eine große Menge von Wechseln, und endlich gibt eS deren auch,
hinter denen nur die Absicht steckt, billig sich ein Umlaufsmittel zu schaffen.
Wenn nun das kaufmännische Capital größtentheils in Wechseln umläuft, die
der Kaufmann sich selber machen kann, und doch der Disconto, der Baro¬
meter deS zu kaufmännischen Zwecken verwendbaren Capitalbestandes, zu seinem
eignen größten Nachtheil so hoch steht, warum, könnte man fragen, weiß der
Kaufmann sich nicht selbst durch Wechsel zu helfen? Die Frage klingt naiver
als sie ist und kann nicht damit abgewiesen werden, daß das ja Wechselreiterei
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