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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu werden. Rascher, müheloser Gewinn beeinträchtigt nicht blos die Erwerbs¬
krast, welche der Anspannung durch Arbeit und mögliche Gefahren bedarf; er
ist oft auch nur die Quelle einer unbegrenzten und unvernünftigen Genußsucht.
Er ist es um so mehr, je unmittelbarer jenes Streben nach nächstem Gewinn
aus der allgemeinen Unsicherheit der Zustände hervorgegangen ist. Dann tritt
noch das Motiv dazu, daß man so viel als möglich von der Gegenwart
mitnehmen muß, grade so wie in Kriegs- und Pestzeiten, sobald der erste
Schrecken überstanden war, mitunter die unbändigste Liederlichkeit sich geltend
gemacht hat.

Sehen wir nach Frankreich; dort ist die Ungewißheit über das da Kom¬
mende am größten, dort wüthet aber auch die Spiel- und Genußsucht am hef¬
tigsten, und die Negierung hat in der That alles gethan, um sie zu befördern.
Zuerst die Errichtung des französischen Credit-Mobilier. Unsere deutschen Nach¬
ahmer haben stümperhaft nur "so wie er sich räuspert und wie er spuckt" nach¬
machen können, aber der "echte Geist" sehlt auch ihnen. Man behauptet be¬
kanntlich, Louis Napoleon habe seinen Staatsstreich mit der Unterstützung
durch das Geld der großen Bankiers durchgesetzt, welche nun einmal der Fe¬
bruarrevolution und deren Erzeugnissen ingrimmigen Haß geschworen hatten.
Unwahrscheinlich ist die Sache nicht; aber Louis Napoleon müßte nicht sein, der
er ist, um sich darüber zu-täuschen, daß die Macht, die ihm beigestanden,
cuich gelegentlich sich gegen ihn erklären könne, und um nicht das Bedürfniß zu
fühlen, den ehemaligen Bundesgenossen sich dienstbar zu machen. Das ist
denn die tiefere Bedeutung des pereireschen Instituts. Mit politischen Ge¬
heimnissen läßt sich bekanntlich an den "Börsen" viel Geld verdienen, und in
Frankreich hat es in den letzten Jahren viel politische Geheimnisse gegeben.
Die Gründung des Credit-Mobilier erreichte ihren Zweck vollkommen; Roth¬
schild ward, wenn auch nicht besiegt, doch außerordentlich viel gefügiger ge¬
macht. Aber die Millionen des Credit-Mobilier mußten weiter und weiter
verwerthet werden, und das konnte nur vermittelst einer noch größern Aus¬
dehnung des Börsenspiels geschehen, was bei der Strömung der Zeit denn
auch gelang. Ein zweiter Schritt der Regierung in dieser Richtung waren die
beiden allgemeinen Anleihen während der Kriegszeit, die nicht blos direct das
Geld einer bessern Verwerthung entzogen, sondern die Masse der Bevölkerung
mit dem Börsenspiel in Verbindung setzten, dessen demoralisirenbe Folgen auch
um so tiefer eindrangen. Eine fernere Maßregel der Regierung, welche diesen
Zustand noch verschlimmerte, war die bei den gestiegenen Getreidepreisen den
größern Städten, namentlich Paris, zufließende Unterstützung, durch welche
die Landbevölkerung veranlaßt ward, in Masse dorthin zu eilen, um mit
städtischen Genüssen vertrauter, aber gewiß nicht erwerbötüchtiger wieder
zurückzukehren.


Grenzboten III. -I8ö7. 17

zu werden. Rascher, müheloser Gewinn beeinträchtigt nicht blos die Erwerbs¬
krast, welche der Anspannung durch Arbeit und mögliche Gefahren bedarf; er
ist oft auch nur die Quelle einer unbegrenzten und unvernünftigen Genußsucht.
Er ist es um so mehr, je unmittelbarer jenes Streben nach nächstem Gewinn
aus der allgemeinen Unsicherheit der Zustände hervorgegangen ist. Dann tritt
noch das Motiv dazu, daß man so viel als möglich von der Gegenwart
mitnehmen muß, grade so wie in Kriegs- und Pestzeiten, sobald der erste
Schrecken überstanden war, mitunter die unbändigste Liederlichkeit sich geltend
gemacht hat.

Sehen wir nach Frankreich; dort ist die Ungewißheit über das da Kom¬
mende am größten, dort wüthet aber auch die Spiel- und Genußsucht am hef¬
tigsten, und die Negierung hat in der That alles gethan, um sie zu befördern.
Zuerst die Errichtung des französischen Credit-Mobilier. Unsere deutschen Nach¬
ahmer haben stümperhaft nur „so wie er sich räuspert und wie er spuckt" nach¬
machen können, aber der „echte Geist" sehlt auch ihnen. Man behauptet be¬
kanntlich, Louis Napoleon habe seinen Staatsstreich mit der Unterstützung
durch das Geld der großen Bankiers durchgesetzt, welche nun einmal der Fe¬
bruarrevolution und deren Erzeugnissen ingrimmigen Haß geschworen hatten.
Unwahrscheinlich ist die Sache nicht; aber Louis Napoleon müßte nicht sein, der
er ist, um sich darüber zu-täuschen, daß die Macht, die ihm beigestanden,
cuich gelegentlich sich gegen ihn erklären könne, und um nicht das Bedürfniß zu
fühlen, den ehemaligen Bundesgenossen sich dienstbar zu machen. Das ist
denn die tiefere Bedeutung des pereireschen Instituts. Mit politischen Ge¬
heimnissen läßt sich bekanntlich an den „Börsen" viel Geld verdienen, und in
Frankreich hat es in den letzten Jahren viel politische Geheimnisse gegeben.
Die Gründung des Credit-Mobilier erreichte ihren Zweck vollkommen; Roth¬
schild ward, wenn auch nicht besiegt, doch außerordentlich viel gefügiger ge¬
macht. Aber die Millionen des Credit-Mobilier mußten weiter und weiter
verwerthet werden, und das konnte nur vermittelst einer noch größern Aus¬
dehnung des Börsenspiels geschehen, was bei der Strömung der Zeit denn
auch gelang. Ein zweiter Schritt der Regierung in dieser Richtung waren die
beiden allgemeinen Anleihen während der Kriegszeit, die nicht blos direct das
Geld einer bessern Verwerthung entzogen, sondern die Masse der Bevölkerung
mit dem Börsenspiel in Verbindung setzten, dessen demoralisirenbe Folgen auch
um so tiefer eindrangen. Eine fernere Maßregel der Regierung, welche diesen
Zustand noch verschlimmerte, war die bei den gestiegenen Getreidepreisen den
größern Städten, namentlich Paris, zufließende Unterstützung, durch welche
die Landbevölkerung veranlaßt ward, in Masse dorthin zu eilen, um mit
städtischen Genüssen vertrauter, aber gewiß nicht erwerbötüchtiger wieder
zurückzukehren.


Grenzboten III. -I8ö7. 17
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[0137] zu werden. Rascher, müheloser Gewinn beeinträchtigt nicht blos die Erwerbs¬ krast, welche der Anspannung durch Arbeit und mögliche Gefahren bedarf; er ist oft auch nur die Quelle einer unbegrenzten und unvernünftigen Genußsucht. Er ist es um so mehr, je unmittelbarer jenes Streben nach nächstem Gewinn aus der allgemeinen Unsicherheit der Zustände hervorgegangen ist. Dann tritt noch das Motiv dazu, daß man so viel als möglich von der Gegenwart mitnehmen muß, grade so wie in Kriegs- und Pestzeiten, sobald der erste Schrecken überstanden war, mitunter die unbändigste Liederlichkeit sich geltend gemacht hat. Sehen wir nach Frankreich; dort ist die Ungewißheit über das da Kom¬ mende am größten, dort wüthet aber auch die Spiel- und Genußsucht am hef¬ tigsten, und die Negierung hat in der That alles gethan, um sie zu befördern. Zuerst die Errichtung des französischen Credit-Mobilier. Unsere deutschen Nach¬ ahmer haben stümperhaft nur „so wie er sich räuspert und wie er spuckt" nach¬ machen können, aber der „echte Geist" sehlt auch ihnen. Man behauptet be¬ kanntlich, Louis Napoleon habe seinen Staatsstreich mit der Unterstützung durch das Geld der großen Bankiers durchgesetzt, welche nun einmal der Fe¬ bruarrevolution und deren Erzeugnissen ingrimmigen Haß geschworen hatten. Unwahrscheinlich ist die Sache nicht; aber Louis Napoleon müßte nicht sein, der er ist, um sich darüber zu-täuschen, daß die Macht, die ihm beigestanden, cuich gelegentlich sich gegen ihn erklären könne, und um nicht das Bedürfniß zu fühlen, den ehemaligen Bundesgenossen sich dienstbar zu machen. Das ist denn die tiefere Bedeutung des pereireschen Instituts. Mit politischen Ge¬ heimnissen läßt sich bekanntlich an den „Börsen" viel Geld verdienen, und in Frankreich hat es in den letzten Jahren viel politische Geheimnisse gegeben. Die Gründung des Credit-Mobilier erreichte ihren Zweck vollkommen; Roth¬ schild ward, wenn auch nicht besiegt, doch außerordentlich viel gefügiger ge¬ macht. Aber die Millionen des Credit-Mobilier mußten weiter und weiter verwerthet werden, und das konnte nur vermittelst einer noch größern Aus¬ dehnung des Börsenspiels geschehen, was bei der Strömung der Zeit denn auch gelang. Ein zweiter Schritt der Regierung in dieser Richtung waren die beiden allgemeinen Anleihen während der Kriegszeit, die nicht blos direct das Geld einer bessern Verwerthung entzogen, sondern die Masse der Bevölkerung mit dem Börsenspiel in Verbindung setzten, dessen demoralisirenbe Folgen auch um so tiefer eindrangen. Eine fernere Maßregel der Regierung, welche diesen Zustand noch verschlimmerte, war die bei den gestiegenen Getreidepreisen den größern Städten, namentlich Paris, zufließende Unterstützung, durch welche die Landbevölkerung veranlaßt ward, in Masse dorthin zu eilen, um mit städtischen Genüssen vertrauter, aber gewiß nicht erwerbötüchtiger wieder zurückzukehren. Grenzboten III. -I8ö7. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/137>, abgerufen am 22.07.2024.