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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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dürfnisse an und für sich nicht geringer geworden sind, während selbst in der da¬
durch nothwendig herbeigeführten Steigerung der Preise noch kaum ein Anreiz zur
Ausdehnung irgend eines Betriebes liegt, wozu größere Capitalanlagen erforder¬
lich sind, da diese kaum je anders als im Verlause von Jahren sich wieder
vollständig bezahlt machen. Immerhin wird man hier und da einen größern
Einsatz wagen, immerhin werden einzelne Betriebe auch die größte Ungunst
der Zeiten überstehen können, im Großen und Ganzen kann aber das Resultat
kein anderes sein, als stets weitergreifende Stockung im wirthschaftlichen Leben.
Zwei Folgen namentlich werden eintreten: eine Minderung in der kleinen Ca¬
pitalansammlung und ein Brachliegen größerer Capitalbeträge; das erste wegen
entzogener Arbeit und Verdienstgelegenheit, das zweite wegen mangelnden
Willens zur Capitalverwendung.

Man lasse sich nicht darüber täuschen, wenn in so zusammengesetzten Ver¬
hältnissen wie die heutigen solche Folgen nicht unmittelbar klar zur Erscheinung
treten; die politische Unsicherheit und die davon befürchteten Nachtheile sind
nicht in allen Ländern dieselben; sie sind es z. B- am wenigsten in England,
sie sind es weniger in Deutschland als in Frankreich. Der Verkehr aller Völker
greift aber heutzutage auss engste ineinander und so wird die Rückwirkung
des bessern Zustands auf den schlechter" nicht ganz ausbleiben. Das Capital
wird einen gesichertem Markt aufsuchen, die Industrie gesundere Consumtions-
verhältnisse. Umgekehrt wird aber auch das schlechtere Gedeihen an das bessere
Fortkommen gebunden sein, und dies schon darum keine ausreichende Hilfe jenem
gewähren können. Darum werden aber auch, so lange ein solcher Zustand der
politischen Unsicherheit währt, die Folgen mit jedem Jahre schlimmer werden,
der wirthschaftliche Rückschritt langsam, aber sicher vorschreiten.

Wollten wir alle diese zuletzt ausgeführten Sätze in bestimmte Thatsachen
umkleiden, wir würden den Raum eines Buches ausfüllen müssen; wer aber
mit beobachtenden Auge die ihm erreichbaren Zustände untersucht, dem wird
es an Belegen dazu nicht mangeln. Aber wir können den Beweis und
die allerwichtigste Folgerung aus einer Richtung unserer Zeit führen, der sich
grade jetzt die allerernfteste Aufmerksamkeit zuwendet, wir meinen das Ueber¬
wuchern deS Verkehrs durch die Agiotage. Die Capitalien der Großen, welche
in industriellen Unternehmungen nicht mehr fruchtbar belegt werden konnten,
suchte" einen Ersatz aus dem Actienmarkte, und viele, der kleinern Kapitalisten
sind ihnen gefolgt. Wie nachtheilig viese Wendung der Dinge für das auf
die Produktion und Konsumtion berechnete Geschäft ist, braucht nach den Er¬
örterungen, welche in diesen Blättern schon stattgefunden haben, nicht "?rst noch
einmal nachgewiesen zu werden. Die Lust und die Gelegenheit zum raschen
Gewinn sind die schlechtesten Hebel deS wirthschaftlichen Wohlergehens. Aber
eine der darangeknüpften Folgen verdient doch noch besonders hervorgehoben


dürfnisse an und für sich nicht geringer geworden sind, während selbst in der da¬
durch nothwendig herbeigeführten Steigerung der Preise noch kaum ein Anreiz zur
Ausdehnung irgend eines Betriebes liegt, wozu größere Capitalanlagen erforder¬
lich sind, da diese kaum je anders als im Verlause von Jahren sich wieder
vollständig bezahlt machen. Immerhin wird man hier und da einen größern
Einsatz wagen, immerhin werden einzelne Betriebe auch die größte Ungunst
der Zeiten überstehen können, im Großen und Ganzen kann aber das Resultat
kein anderes sein, als stets weitergreifende Stockung im wirthschaftlichen Leben.
Zwei Folgen namentlich werden eintreten: eine Minderung in der kleinen Ca¬
pitalansammlung und ein Brachliegen größerer Capitalbeträge; das erste wegen
entzogener Arbeit und Verdienstgelegenheit, das zweite wegen mangelnden
Willens zur Capitalverwendung.

Man lasse sich nicht darüber täuschen, wenn in so zusammengesetzten Ver¬
hältnissen wie die heutigen solche Folgen nicht unmittelbar klar zur Erscheinung
treten; die politische Unsicherheit und die davon befürchteten Nachtheile sind
nicht in allen Ländern dieselben; sie sind es z. B- am wenigsten in England,
sie sind es weniger in Deutschland als in Frankreich. Der Verkehr aller Völker
greift aber heutzutage auss engste ineinander und so wird die Rückwirkung
des bessern Zustands auf den schlechter« nicht ganz ausbleiben. Das Capital
wird einen gesichertem Markt aufsuchen, die Industrie gesundere Consumtions-
verhältnisse. Umgekehrt wird aber auch das schlechtere Gedeihen an das bessere
Fortkommen gebunden sein, und dies schon darum keine ausreichende Hilfe jenem
gewähren können. Darum werden aber auch, so lange ein solcher Zustand der
politischen Unsicherheit währt, die Folgen mit jedem Jahre schlimmer werden,
der wirthschaftliche Rückschritt langsam, aber sicher vorschreiten.

Wollten wir alle diese zuletzt ausgeführten Sätze in bestimmte Thatsachen
umkleiden, wir würden den Raum eines Buches ausfüllen müssen; wer aber
mit beobachtenden Auge die ihm erreichbaren Zustände untersucht, dem wird
es an Belegen dazu nicht mangeln. Aber wir können den Beweis und
die allerwichtigste Folgerung aus einer Richtung unserer Zeit führen, der sich
grade jetzt die allerernfteste Aufmerksamkeit zuwendet, wir meinen das Ueber¬
wuchern deS Verkehrs durch die Agiotage. Die Capitalien der Großen, welche
in industriellen Unternehmungen nicht mehr fruchtbar belegt werden konnten,
suchte» einen Ersatz aus dem Actienmarkte, und viele, der kleinern Kapitalisten
sind ihnen gefolgt. Wie nachtheilig viese Wendung der Dinge für das auf
die Produktion und Konsumtion berechnete Geschäft ist, braucht nach den Er¬
örterungen, welche in diesen Blättern schon stattgefunden haben, nicht «?rst noch
einmal nachgewiesen zu werden. Die Lust und die Gelegenheit zum raschen
Gewinn sind die schlechtesten Hebel deS wirthschaftlichen Wohlergehens. Aber
eine der darangeknüpften Folgen verdient doch noch besonders hervorgehoben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/136>, abgerufen am 22.07.2024.