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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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eine gewisse Herrschaft über die Begebenheiten dazu, um sich die Chancen einer
solchen zu wahren. Dennoch liegt in dem Streben für die Zukunft eine grö¬
ßere Garantie des Gedeihens als in dem Leben für die Gegenwart. Letzteres
kann auch naturgemäß bei einer größern Genossenschaft z. B. einem Volke
nie in dem Grade geschehen, als bei einem Einzelnen, und was dieser sich ent¬
zieht, erwirbt er später der Gesammtheit.

Wirthschaftlich drücken sich die obigen im Grunde sehr einfachen Betrach¬
tungen namentlich durch zwei Factoren aus: durch Ansammlung von Capital
und durch die Erweckung des Unternehmungsgeistes. Capital erwirbt man mit
äußerst seltenen Ausnahmen (Gewinn, Geschenk u. tgi. in.) nur dadurch, daß
man sich einen gegenwärtigen Genuß zu Gunsten eines erwarteten spätern Re¬
sultats entzieht; ebenso ist der Unternehmungsgeist auf irgend ein zukünftiges
Ziel gerichtet. CaMalansammlung und Anspannung eines kräftigen Unter¬
nehmungsgeistes sind aber die Grundlage alles wirthschaftlichen Gedeihens, waS
wir hoffentlich an diesem Orte nicht erst weitläufig zu beweisen haben. Nur
verstehen wir unter Capital natürlich nicht jenes Gespenst von aufgehäuften
Millionen, das die Arbeit in Leibeigenschaft hält, wie eine bekannte Theorie
dies nun einmal aller Wirklichkeit zum Trotz auffassen will; Capital ist viel¬
mehr jede Ansammlung ersparter Arbeitsprodukte zum Zwecke neuer ArbeitS-
erzeugnisse und Capital in Gestalt von Geld, namentlich in bedeutendem
Summen aufgehäuft, ist nur eine einzelne und bekanntlich verhältnißmäßig
ziemlich seltene Art. Die Bildung des kleinen Capitals ging nothwendig der
des großen voran, und ist zu der Wiederbildung desselben noch immer erforder¬
lich; wo sollte z. B. der große Kaufmann seine Vorräthe loswerden, wenn nicht
selbst der geringste Consument irgendwo und irgendwie eine Anstrengung ge¬
macht hätte oder noch machen müßte, um für seinen Bedarf davon anzuschaffen
-- und nun gehe man die ganze Verkehrskette durch, um die Störungen zu
begreisen, sobald an irgend einer Stelle die Capitalansammlung stockt. Umgekehrt
wird bei umfangreicheren Bedürfnissen, also bei jeder Erhöhung deS Lebens¬
genusses in einem Volke, das kleine Capital ohne Beihilfe des großen nie zur Gel¬
tung kommen; wie sollte nur irgend ein Arbeiter, ununterstützt durch alle Vorkeh¬
rungen einer capitalreichen Production und eines nicht minder capitalreichen
Handelsverkehrs, zur Befriedigung der gewohnten Lebensbedürfnisse gelangen,
geschweige an irgend eine Ansammlung für die Zukunft denken können? Aus
Betrachrungen dieser Art wird sich von selbst die Thorheit derer ergeben, welche,
um den arbeitenden Stand besser zu stellen, zuerst das Capital vernichten
wollen. Aber so wie die Ansammlung von Capital ein durch die Gegenwart
der Zukunft gebrachtes Opfer ist, so wird sie mit jedem Mißtrauen in die Zu¬
kunft nothwendig nachlassen.

Genau so ist eS mit dem Unternehmungsgeiste, nicht jener krankhaften


eine gewisse Herrschaft über die Begebenheiten dazu, um sich die Chancen einer
solchen zu wahren. Dennoch liegt in dem Streben für die Zukunft eine grö¬
ßere Garantie des Gedeihens als in dem Leben für die Gegenwart. Letzteres
kann auch naturgemäß bei einer größern Genossenschaft z. B. einem Volke
nie in dem Grade geschehen, als bei einem Einzelnen, und was dieser sich ent¬
zieht, erwirbt er später der Gesammtheit.

Wirthschaftlich drücken sich die obigen im Grunde sehr einfachen Betrach¬
tungen namentlich durch zwei Factoren aus: durch Ansammlung von Capital
und durch die Erweckung des Unternehmungsgeistes. Capital erwirbt man mit
äußerst seltenen Ausnahmen (Gewinn, Geschenk u. tgi. in.) nur dadurch, daß
man sich einen gegenwärtigen Genuß zu Gunsten eines erwarteten spätern Re¬
sultats entzieht; ebenso ist der Unternehmungsgeist auf irgend ein zukünftiges
Ziel gerichtet. CaMalansammlung und Anspannung eines kräftigen Unter¬
nehmungsgeistes sind aber die Grundlage alles wirthschaftlichen Gedeihens, waS
wir hoffentlich an diesem Orte nicht erst weitläufig zu beweisen haben. Nur
verstehen wir unter Capital natürlich nicht jenes Gespenst von aufgehäuften
Millionen, das die Arbeit in Leibeigenschaft hält, wie eine bekannte Theorie
dies nun einmal aller Wirklichkeit zum Trotz auffassen will; Capital ist viel¬
mehr jede Ansammlung ersparter Arbeitsprodukte zum Zwecke neuer ArbeitS-
erzeugnisse und Capital in Gestalt von Geld, namentlich in bedeutendem
Summen aufgehäuft, ist nur eine einzelne und bekanntlich verhältnißmäßig
ziemlich seltene Art. Die Bildung des kleinen Capitals ging nothwendig der
des großen voran, und ist zu der Wiederbildung desselben noch immer erforder¬
lich; wo sollte z. B. der große Kaufmann seine Vorräthe loswerden, wenn nicht
selbst der geringste Consument irgendwo und irgendwie eine Anstrengung ge¬
macht hätte oder noch machen müßte, um für seinen Bedarf davon anzuschaffen
— und nun gehe man die ganze Verkehrskette durch, um die Störungen zu
begreisen, sobald an irgend einer Stelle die Capitalansammlung stockt. Umgekehrt
wird bei umfangreicheren Bedürfnissen, also bei jeder Erhöhung deS Lebens¬
genusses in einem Volke, das kleine Capital ohne Beihilfe des großen nie zur Gel¬
tung kommen; wie sollte nur irgend ein Arbeiter, ununterstützt durch alle Vorkeh¬
rungen einer capitalreichen Production und eines nicht minder capitalreichen
Handelsverkehrs, zur Befriedigung der gewohnten Lebensbedürfnisse gelangen,
geschweige an irgend eine Ansammlung für die Zukunft denken können? Aus
Betrachrungen dieser Art wird sich von selbst die Thorheit derer ergeben, welche,
um den arbeitenden Stand besser zu stellen, zuerst das Capital vernichten
wollen. Aber so wie die Ansammlung von Capital ein durch die Gegenwart
der Zukunft gebrachtes Opfer ist, so wird sie mit jedem Mißtrauen in die Zu¬
kunft nothwendig nachlassen.

Genau so ist eS mit dem Unternehmungsgeiste, nicht jener krankhaften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/134>, abgerufen am 25.08.2024.