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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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senden, so sollten die civilisirten Juden sich wenigstens die mit keiner Lebens¬
gefahr verbundene Aufgabe stellen, ihre Brüder im Orient zu heben, die einer
gründlichen Säuberung dringend bedürfen.

Bei der Beurtheilung der großen politischen Frage der Gegenwart in den
Fürstenthümern haben die Jsraeliten keine Stimme. Sie würden indeß unisono
sür die Vereinigung stimmen, da sich dadurch der Wirkungskreis zur Füllung
des Säckels bedeutend erweitern würde; -- in der Walachei sollen gar keine
Juden sein, indeß hat sich unter der Regierung deS Fürsten Michael Stourdza
die Zahl derselben, dem Grundgesetze des Landes zuwider, um viele Tausende
Eingewanderter vermehrt.

Die Zahl andrer Ausländer ist sehr bedeutend in der Moldau -- aber, be¬
sonders was die unteren Schichten betrifft, würden die Länder, aus denen sie
gekommen, großentheils ihre Söhne ungern zurückkehren sehen. Einige brave
Handwerker ausgenommen besteht die Classe der fremden Arbeiter aus Leuten,
die zu Hause kein Mittel mehr finden, ihre Existenz zu fristen, und in die
Moldau kommen, weil sie hoffen, baß ihnen hier die gebratenen Tauben in den
Mund fliegen werden. In der That, bei dem Mangel an Arbeitskräften im
Lande ist ihnen, wenn sie auch nur einen kleinen Nest von gutem Willen noch
besitzen, das tägliche Brot gesichert, aber der Bauer hat Gelegenheit zu beobach¬
ten, daß der civilisirte Einwanderer dem Schnaps ebenso oder vielleicht noch
mehr zugethan ist als er selbst.

Oestreich, und besonders das östreichische Polen, liefert daS zahlreichste
Contingent von Individuen dieser Classe. Fast alle Branntweinbrenner sind
Polen und zeichnen sich durch einen gewaltigen Schnurrbart, hohe Wasser¬
stiefel, einen schäbigen Rock und geringe Destillationskenntnisse aus. Bei
jeder größeren Güteradministration findet man Schreiber oder Verwalter, die
die deutsche Sprache aus echt slawische Weise radebrechen, und außerdem wird
die Zahl solcher, die einen Dienst suchen und unterdeß müßig im Lande umher-
streifen, von Jahr zu Jahr größer.

Wir hätten diese Gattung Fremder mit Stillschweigen übergehen können,
wenn ihr Ausenthalt in der Moldau nicht der Regierung täglich die empfind¬
lichsten Schwierigkeiten bereitete.

Daß in der Hauptstadt auswärtige Consuln residiren, versteht sich von
selbst. Daß diese ihre Angehörigen in Schutz nehmen, ist ganz in der Ord¬
nung, und da man berechtigt ist, sich unter dem Konsul einer Großmacht einen
gebildeten Mann vorzustellen, so kann die Ueberwachung der Rechte seiner
Staatsangehörigen nur in seltenen Fällen Anlaß zu Verwicklungen geben.
Die Consulate von England, Frankreich und Rußland beschränken sich auch
in der That darauf, ihre Schützlinge in der Hauptstadt zu vertreten. Oestreich
aber hat, außer dem Consulat in Jassy, Starosteien in allen Kreisstädten der


senden, so sollten die civilisirten Juden sich wenigstens die mit keiner Lebens¬
gefahr verbundene Aufgabe stellen, ihre Brüder im Orient zu heben, die einer
gründlichen Säuberung dringend bedürfen.

Bei der Beurtheilung der großen politischen Frage der Gegenwart in den
Fürstenthümern haben die Jsraeliten keine Stimme. Sie würden indeß unisono
sür die Vereinigung stimmen, da sich dadurch der Wirkungskreis zur Füllung
des Säckels bedeutend erweitern würde; — in der Walachei sollen gar keine
Juden sein, indeß hat sich unter der Regierung deS Fürsten Michael Stourdza
die Zahl derselben, dem Grundgesetze des Landes zuwider, um viele Tausende
Eingewanderter vermehrt.

Die Zahl andrer Ausländer ist sehr bedeutend in der Moldau — aber, be¬
sonders was die unteren Schichten betrifft, würden die Länder, aus denen sie
gekommen, großentheils ihre Söhne ungern zurückkehren sehen. Einige brave
Handwerker ausgenommen besteht die Classe der fremden Arbeiter aus Leuten,
die zu Hause kein Mittel mehr finden, ihre Existenz zu fristen, und in die
Moldau kommen, weil sie hoffen, baß ihnen hier die gebratenen Tauben in den
Mund fliegen werden. In der That, bei dem Mangel an Arbeitskräften im
Lande ist ihnen, wenn sie auch nur einen kleinen Nest von gutem Willen noch
besitzen, das tägliche Brot gesichert, aber der Bauer hat Gelegenheit zu beobach¬
ten, daß der civilisirte Einwanderer dem Schnaps ebenso oder vielleicht noch
mehr zugethan ist als er selbst.

Oestreich, und besonders das östreichische Polen, liefert daS zahlreichste
Contingent von Individuen dieser Classe. Fast alle Branntweinbrenner sind
Polen und zeichnen sich durch einen gewaltigen Schnurrbart, hohe Wasser¬
stiefel, einen schäbigen Rock und geringe Destillationskenntnisse aus. Bei
jeder größeren Güteradministration findet man Schreiber oder Verwalter, die
die deutsche Sprache aus echt slawische Weise radebrechen, und außerdem wird
die Zahl solcher, die einen Dienst suchen und unterdeß müßig im Lande umher-
streifen, von Jahr zu Jahr größer.

Wir hätten diese Gattung Fremder mit Stillschweigen übergehen können,
wenn ihr Ausenthalt in der Moldau nicht der Regierung täglich die empfind¬
lichsten Schwierigkeiten bereitete.

Daß in der Hauptstadt auswärtige Consuln residiren, versteht sich von
selbst. Daß diese ihre Angehörigen in Schutz nehmen, ist ganz in der Ord¬
nung, und da man berechtigt ist, sich unter dem Konsul einer Großmacht einen
gebildeten Mann vorzustellen, so kann die Ueberwachung der Rechte seiner
Staatsangehörigen nur in seltenen Fällen Anlaß zu Verwicklungen geben.
Die Consulate von England, Frankreich und Rußland beschränken sich auch
in der That darauf, ihre Schützlinge in der Hauptstadt zu vertreten. Oestreich
aber hat, außer dem Consulat in Jassy, Starosteien in allen Kreisstädten der


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[0124] senden, so sollten die civilisirten Juden sich wenigstens die mit keiner Lebens¬ gefahr verbundene Aufgabe stellen, ihre Brüder im Orient zu heben, die einer gründlichen Säuberung dringend bedürfen. Bei der Beurtheilung der großen politischen Frage der Gegenwart in den Fürstenthümern haben die Jsraeliten keine Stimme. Sie würden indeß unisono sür die Vereinigung stimmen, da sich dadurch der Wirkungskreis zur Füllung des Säckels bedeutend erweitern würde; — in der Walachei sollen gar keine Juden sein, indeß hat sich unter der Regierung deS Fürsten Michael Stourdza die Zahl derselben, dem Grundgesetze des Landes zuwider, um viele Tausende Eingewanderter vermehrt. Die Zahl andrer Ausländer ist sehr bedeutend in der Moldau — aber, be¬ sonders was die unteren Schichten betrifft, würden die Länder, aus denen sie gekommen, großentheils ihre Söhne ungern zurückkehren sehen. Einige brave Handwerker ausgenommen besteht die Classe der fremden Arbeiter aus Leuten, die zu Hause kein Mittel mehr finden, ihre Existenz zu fristen, und in die Moldau kommen, weil sie hoffen, baß ihnen hier die gebratenen Tauben in den Mund fliegen werden. In der That, bei dem Mangel an Arbeitskräften im Lande ist ihnen, wenn sie auch nur einen kleinen Nest von gutem Willen noch besitzen, das tägliche Brot gesichert, aber der Bauer hat Gelegenheit zu beobach¬ ten, daß der civilisirte Einwanderer dem Schnaps ebenso oder vielleicht noch mehr zugethan ist als er selbst. Oestreich, und besonders das östreichische Polen, liefert daS zahlreichste Contingent von Individuen dieser Classe. Fast alle Branntweinbrenner sind Polen und zeichnen sich durch einen gewaltigen Schnurrbart, hohe Wasser¬ stiefel, einen schäbigen Rock und geringe Destillationskenntnisse aus. Bei jeder größeren Güteradministration findet man Schreiber oder Verwalter, die die deutsche Sprache aus echt slawische Weise radebrechen, und außerdem wird die Zahl solcher, die einen Dienst suchen und unterdeß müßig im Lande umher- streifen, von Jahr zu Jahr größer. Wir hätten diese Gattung Fremder mit Stillschweigen übergehen können, wenn ihr Ausenthalt in der Moldau nicht der Regierung täglich die empfind¬ lichsten Schwierigkeiten bereitete. Daß in der Hauptstadt auswärtige Consuln residiren, versteht sich von selbst. Daß diese ihre Angehörigen in Schutz nehmen, ist ganz in der Ord¬ nung, und da man berechtigt ist, sich unter dem Konsul einer Großmacht einen gebildeten Mann vorzustellen, so kann die Ueberwachung der Rechte seiner Staatsangehörigen nur in seltenen Fällen Anlaß zu Verwicklungen geben. Die Consulate von England, Frankreich und Rußland beschränken sich auch in der That darauf, ihre Schützlinge in der Hauptstadt zu vertreten. Oestreich aber hat, außer dem Consulat in Jassy, Starosteien in allen Kreisstädten der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/124>, abgerufen am 22.07.2024.