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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Unerhörtes. Fällt nun ein leichtsinniger Mensch einem solchen Wucherer in
die Hände, so bleibt die Schuld oft Jahre lang unbezahlt; der Gläubiger
wartet geduldig und läßt sich nur alle sechs Monate einen neuen Wechsel
mit Einverleibung der fälligen Procente ausstellen und sein Capital wächst
mit unglaublicher Schnelligkeit. Mancher Bojar hat mit einer ursprünglich
ganz Unbedeutenden Schuld die Grundlage zur Zerrüttung seines Vermögens
gelegt.

So wird der Jude oft in wenigen Jahren zum reichen Mann.

Der Moldauer begreift sehr gut, daß die Hebräer seine ärgsten Feinde
sind, und doch kann er sie bis aus den heutigen Tag nicht entbehren. Es ist
ihm zu bequem, bei jeder Gelegenheit einen Juden bei der Hand zu haben, der,
besonders im Anfange seiner Laufbahn, mit unbedingter Bereitwilligkeit alles
thut, was man ihm aufträgt. Erst seit einigen Jahren haben Griechen und
Armenier angefangen, Gctreidehandel in den Donauprovinzen zu treiben. Bei
dem Mangel an ausreichenden Gesetzen zur Sicherstellung des Handels, und
vor allen Dingen bei der Unbekanntschaft mit dem Begriff: Gleichheit aller
Stände vor dem Gesetz, ist eine jede Ausdehnung kaufmännischer Spekulationen
mit vielfachen Gefahren verbunden; -- der Jude, der seine Moldau kennt wie
seine Tasche, hält schon eher einen Puff aus.

Und bei aller seiner Unterthänigkeit und Demuth dem Bojaren gegenüber,
fehlt eS dem Juden nicht an Arroganz; er fühlt, paß der Christ ihn wenigstens
ebensosehr braucht, als er den Christen. Mit einem gewissen Stolz, mit einer
gewissen Freude an der schroffen Absonderung trägt er sein gewöhnlich ab¬
schreckend schmuziges und immer sehr wunderliches Nationalcostüm mit den
Ringellocken und der hohen Pelzmütze; er drapirt sich mit Selbstgefälligkeit
während des Morgengebets in ein großes weißes, schwarzberändertes Tuch und
bindet sich eine Kapsel mit den zehn Geboten vor die Stirn, was einzelnen
Physiognomien etwas so unaussprechlich Komisches gibt, daß man bei aller
Achtung vor den Religionsgebräuchen Andersgläubiger sich deS Lachens nicht
entHallen kann. Bei der Duldsamkeit unsrer Tage möchte man gern den Ju¬
den zu einem geachteten Mitbürger des Moldauers werden sehen, aber ein solches
Resultat liegt noch in weiter Ferne. Die vor kurzem errichtete Nationulbank,
der wir vom Herzen Gedeihen wünschen, reißt freilich den Bojaren aus den
Händen des Wucherers; strenge, an Grausamkeit grenzende Gesetze gegen die
Schwindeleien, deren Opfer der Bauer ist, konnten auch manchem Uebel abhel¬
fen, -- am wichtigsten aber wäre eine aus dem Innern des jüdischen Volkes selbst
hervorgehende Entwicklung, und eine solche ist bei dem erclusiven Wesen, daS
jedes Abweichen von den Gebräuchen der Vorfahren untersagt, eine höchst
Problematische Sache. Die Anregung müßte von den Glaubensgenossen im
Auslande kommen. Wenn die Christen ihre Missionäre in alle Weltgegenden


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Unerhörtes. Fällt nun ein leichtsinniger Mensch einem solchen Wucherer in
die Hände, so bleibt die Schuld oft Jahre lang unbezahlt; der Gläubiger
wartet geduldig und läßt sich nur alle sechs Monate einen neuen Wechsel
mit Einverleibung der fälligen Procente ausstellen und sein Capital wächst
mit unglaublicher Schnelligkeit. Mancher Bojar hat mit einer ursprünglich
ganz Unbedeutenden Schuld die Grundlage zur Zerrüttung seines Vermögens
gelegt.

So wird der Jude oft in wenigen Jahren zum reichen Mann.

Der Moldauer begreift sehr gut, daß die Hebräer seine ärgsten Feinde
sind, und doch kann er sie bis aus den heutigen Tag nicht entbehren. Es ist
ihm zu bequem, bei jeder Gelegenheit einen Juden bei der Hand zu haben, der,
besonders im Anfange seiner Laufbahn, mit unbedingter Bereitwilligkeit alles
thut, was man ihm aufträgt. Erst seit einigen Jahren haben Griechen und
Armenier angefangen, Gctreidehandel in den Donauprovinzen zu treiben. Bei
dem Mangel an ausreichenden Gesetzen zur Sicherstellung des Handels, und
vor allen Dingen bei der Unbekanntschaft mit dem Begriff: Gleichheit aller
Stände vor dem Gesetz, ist eine jede Ausdehnung kaufmännischer Spekulationen
mit vielfachen Gefahren verbunden; — der Jude, der seine Moldau kennt wie
seine Tasche, hält schon eher einen Puff aus.

Und bei aller seiner Unterthänigkeit und Demuth dem Bojaren gegenüber,
fehlt eS dem Juden nicht an Arroganz; er fühlt, paß der Christ ihn wenigstens
ebensosehr braucht, als er den Christen. Mit einem gewissen Stolz, mit einer
gewissen Freude an der schroffen Absonderung trägt er sein gewöhnlich ab¬
schreckend schmuziges und immer sehr wunderliches Nationalcostüm mit den
Ringellocken und der hohen Pelzmütze; er drapirt sich mit Selbstgefälligkeit
während des Morgengebets in ein großes weißes, schwarzberändertes Tuch und
bindet sich eine Kapsel mit den zehn Geboten vor die Stirn, was einzelnen
Physiognomien etwas so unaussprechlich Komisches gibt, daß man bei aller
Achtung vor den Religionsgebräuchen Andersgläubiger sich deS Lachens nicht
entHallen kann. Bei der Duldsamkeit unsrer Tage möchte man gern den Ju¬
den zu einem geachteten Mitbürger des Moldauers werden sehen, aber ein solches
Resultat liegt noch in weiter Ferne. Die vor kurzem errichtete Nationulbank,
der wir vom Herzen Gedeihen wünschen, reißt freilich den Bojaren aus den
Händen des Wucherers; strenge, an Grausamkeit grenzende Gesetze gegen die
Schwindeleien, deren Opfer der Bauer ist, konnten auch manchem Uebel abhel¬
fen, — am wichtigsten aber wäre eine aus dem Innern des jüdischen Volkes selbst
hervorgehende Entwicklung, und eine solche ist bei dem erclusiven Wesen, daS
jedes Abweichen von den Gebräuchen der Vorfahren untersagt, eine höchst
Problematische Sache. Die Anregung müßte von den Glaubensgenossen im
Auslande kommen. Wenn die Christen ihre Missionäre in alle Weltgegenden


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[0123] Unerhörtes. Fällt nun ein leichtsinniger Mensch einem solchen Wucherer in die Hände, so bleibt die Schuld oft Jahre lang unbezahlt; der Gläubiger wartet geduldig und läßt sich nur alle sechs Monate einen neuen Wechsel mit Einverleibung der fälligen Procente ausstellen und sein Capital wächst mit unglaublicher Schnelligkeit. Mancher Bojar hat mit einer ursprünglich ganz Unbedeutenden Schuld die Grundlage zur Zerrüttung seines Vermögens gelegt. So wird der Jude oft in wenigen Jahren zum reichen Mann. Der Moldauer begreift sehr gut, daß die Hebräer seine ärgsten Feinde sind, und doch kann er sie bis aus den heutigen Tag nicht entbehren. Es ist ihm zu bequem, bei jeder Gelegenheit einen Juden bei der Hand zu haben, der, besonders im Anfange seiner Laufbahn, mit unbedingter Bereitwilligkeit alles thut, was man ihm aufträgt. Erst seit einigen Jahren haben Griechen und Armenier angefangen, Gctreidehandel in den Donauprovinzen zu treiben. Bei dem Mangel an ausreichenden Gesetzen zur Sicherstellung des Handels, und vor allen Dingen bei der Unbekanntschaft mit dem Begriff: Gleichheit aller Stände vor dem Gesetz, ist eine jede Ausdehnung kaufmännischer Spekulationen mit vielfachen Gefahren verbunden; — der Jude, der seine Moldau kennt wie seine Tasche, hält schon eher einen Puff aus. Und bei aller seiner Unterthänigkeit und Demuth dem Bojaren gegenüber, fehlt eS dem Juden nicht an Arroganz; er fühlt, paß der Christ ihn wenigstens ebensosehr braucht, als er den Christen. Mit einem gewissen Stolz, mit einer gewissen Freude an der schroffen Absonderung trägt er sein gewöhnlich ab¬ schreckend schmuziges und immer sehr wunderliches Nationalcostüm mit den Ringellocken und der hohen Pelzmütze; er drapirt sich mit Selbstgefälligkeit während des Morgengebets in ein großes weißes, schwarzberändertes Tuch und bindet sich eine Kapsel mit den zehn Geboten vor die Stirn, was einzelnen Physiognomien etwas so unaussprechlich Komisches gibt, daß man bei aller Achtung vor den Religionsgebräuchen Andersgläubiger sich deS Lachens nicht entHallen kann. Bei der Duldsamkeit unsrer Tage möchte man gern den Ju¬ den zu einem geachteten Mitbürger des Moldauers werden sehen, aber ein solches Resultat liegt noch in weiter Ferne. Die vor kurzem errichtete Nationulbank, der wir vom Herzen Gedeihen wünschen, reißt freilich den Bojaren aus den Händen des Wucherers; strenge, an Grausamkeit grenzende Gesetze gegen die Schwindeleien, deren Opfer der Bauer ist, konnten auch manchem Uebel abhel¬ fen, — am wichtigsten aber wäre eine aus dem Innern des jüdischen Volkes selbst hervorgehende Entwicklung, und eine solche ist bei dem erclusiven Wesen, daS jedes Abweichen von den Gebräuchen der Vorfahren untersagt, eine höchst Problematische Sache. Die Anregung müßte von den Glaubensgenossen im Auslande kommen. Wenn die Christen ihre Missionäre in alle Weltgegenden 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/123>, abgerufen am 12.12.2024.