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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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die Christenheit in zwei Lager theilte und seinen Namen zum Schlachtruf für
eine neue Lehre machte, bis an den Strand der Ostsee als Familienrath ein¬
wirkte und wie er durch sein Wort fremde Seelen in Gehorsam und Verehrung
unterwarf.

Allerdings geben die Zustände, welche hier geschildert werden, nicht in
allen Einzelnheiten ein normales Bild von den Verhältnissen Deutschlands.
An den Küsten von Pommern, wo sich der niedersächsische Stamm auf slawi¬
scher Unterlage ausgebreitet hatte, war das Leben noch rauher, die Leidenschaft
rücksichtsloser, das gemüthliche Behagen weniger anmuthig, als in den großen
Reichsstädten deS Südens, wo längerer Wohlstand, höhere Städtemacht, grö¬
ßere Verfeinerung wenigstens manchem Einzelnen zu Gute kam. Wir wissen
aus mehren Quellen, daß der Franke, der Schwabe, der Rheinländer im
<ö. Jahrhundert auf die Märker, Pommern, Mecklenburger als ein verbauertes
wüstes Geschlecht herabsah. Aber zu groß wird man den Unterschied in Bil¬
dung und Sicherheit des Lebens auch nicht finden, wenn man die Lebensläufe
anderer Zeitgenossen mit dem vorliegenden vergleicht. Man vergleiche die
Selbstbiographien der beiden Platter aus Basel mit denen der süddeutschen
Adligen, des Götz, Schärtlin, wie des späteren Schlesiers Schweinichen,
welche daS alte Faustrecht in den verschiedenen Stadien seines Unterganges
gegenüber dem neuen kaiserlichen Recht zeigen, und man wird zuweilen ansprechen¬
dere Formen und einen hübscheren Ausdruck für das gemüthliche Behagen,
aber weder höhere Ausfassung der Pflichten noch reinere Sittlichkeit, noch grö¬
ßere Sicherheit des Lebens und Eigenthums erkennen.

Die folgenden Mittheilungen sind aus der umfangreichen Selbstbiographie
genommen, welche einst Bartholomäus Sastrow, Bürgermeister von Greifs-
wald verfaßte, und die unter dem Titel: Bartholomäi Sastrowen Her¬
komm en, Geb urd undLauff seines gantzen Lebens aus der Handschrist
herausgegeben und erläutert von G. Eh. Fr Mohnike, zu Greifswald 1823 in
drei Theilen erschien, und als eine wichtige Quelle sür pommersche Geschichte
schon in den Handschriften benutzt worden ist. Denn Sastrow schildert darin
nicht nur sein eignes Leben, sondern auch waS er von politischen Begeben¬
heiten, zum Theil als Augenzeuge und Mithandelnder, erlebt hat, und fügt
dieser Beschreibung bei, was ihm von historischen Ackerstücken des Ansbcwah-
rens werth schien. Sein eignes Leben war ungewöhnlich bunt und reich an
Eindrücken. Er wurde als junger Mann mit seinem älteren Bruder zum
Reichskammergericht nach Speier geschickt, dort einen Proceß seines Vaters
treiben zu helfen und sich selbst ein Unterkommen zu suchen. Er war in aller¬
lei Diensten bei Advocaten, bei einem Komthur des Johanniterordens, schlug
sich nach Italien, um aus den Händen der römischen Geistlichkeit die Hinter¬
lassenschaft seines älteren Bruders zu erheben, welcher vom Kaiser als lateini-


die Christenheit in zwei Lager theilte und seinen Namen zum Schlachtruf für
eine neue Lehre machte, bis an den Strand der Ostsee als Familienrath ein¬
wirkte und wie er durch sein Wort fremde Seelen in Gehorsam und Verehrung
unterwarf.

Allerdings geben die Zustände, welche hier geschildert werden, nicht in
allen Einzelnheiten ein normales Bild von den Verhältnissen Deutschlands.
An den Küsten von Pommern, wo sich der niedersächsische Stamm auf slawi¬
scher Unterlage ausgebreitet hatte, war das Leben noch rauher, die Leidenschaft
rücksichtsloser, das gemüthliche Behagen weniger anmuthig, als in den großen
Reichsstädten deS Südens, wo längerer Wohlstand, höhere Städtemacht, grö¬
ßere Verfeinerung wenigstens manchem Einzelnen zu Gute kam. Wir wissen
aus mehren Quellen, daß der Franke, der Schwabe, der Rheinländer im
<ö. Jahrhundert auf die Märker, Pommern, Mecklenburger als ein verbauertes
wüstes Geschlecht herabsah. Aber zu groß wird man den Unterschied in Bil¬
dung und Sicherheit des Lebens auch nicht finden, wenn man die Lebensläufe
anderer Zeitgenossen mit dem vorliegenden vergleicht. Man vergleiche die
Selbstbiographien der beiden Platter aus Basel mit denen der süddeutschen
Adligen, des Götz, Schärtlin, wie des späteren Schlesiers Schweinichen,
welche daS alte Faustrecht in den verschiedenen Stadien seines Unterganges
gegenüber dem neuen kaiserlichen Recht zeigen, und man wird zuweilen ansprechen¬
dere Formen und einen hübscheren Ausdruck für das gemüthliche Behagen,
aber weder höhere Ausfassung der Pflichten noch reinere Sittlichkeit, noch grö¬
ßere Sicherheit des Lebens und Eigenthums erkennen.

Die folgenden Mittheilungen sind aus der umfangreichen Selbstbiographie
genommen, welche einst Bartholomäus Sastrow, Bürgermeister von Greifs-
wald verfaßte, und die unter dem Titel: Bartholomäi Sastrowen Her¬
komm en, Geb urd undLauff seines gantzen Lebens aus der Handschrist
herausgegeben und erläutert von G. Eh. Fr Mohnike, zu Greifswald 1823 in
drei Theilen erschien, und als eine wichtige Quelle sür pommersche Geschichte
schon in den Handschriften benutzt worden ist. Denn Sastrow schildert darin
nicht nur sein eignes Leben, sondern auch waS er von politischen Begeben¬
heiten, zum Theil als Augenzeuge und Mithandelnder, erlebt hat, und fügt
dieser Beschreibung bei, was ihm von historischen Ackerstücken des Ansbcwah-
rens werth schien. Sein eignes Leben war ungewöhnlich bunt und reich an
Eindrücken. Er wurde als junger Mann mit seinem älteren Bruder zum
Reichskammergericht nach Speier geschickt, dort einen Proceß seines Vaters
treiben zu helfen und sich selbst ein Unterkommen zu suchen. Er war in aller¬
lei Diensten bei Advocaten, bei einem Komthur des Johanniterordens, schlug
sich nach Italien, um aus den Händen der römischen Geistlichkeit die Hinter¬
lassenschaft seines älteren Bruders zu erheben, welcher vom Kaiser als lateini-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/12>, abgerufen am 12.12.2024.