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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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sichtslos ihrer Leidenschaft hin. Der Franzose ist zu eitel dazu, der Deutsche
zu melancholisch in. Dieser im Ganzen ziemlich abstracte Materialismus ist
mitunter in pikanten Bildern, ebenso ost aber in Nechenerempeln ausgedrückt.
Es versteht sich von selbst, daß die äußern Bedenken ganz wegfallen, und daß
Heinses Theorie den Schluß des Werks bildet: lire thans sppartisnt, as
äroit g, l'nomme hui l'aime et qu'fils ains. Die weitere Ausführung von
den Rechten des Weibes ist cynischer als die meisten Emancipationspredigten;
aber er verlangt auch die Emancipation der Männer. Er nennt die Ehre ein
vit mswu^s as vaines et as s"urk"As, us as l'lass sinxulisi-s a.u'furent
esrliüns Kvmrnes as Mrs les lsinwes MASS an msrite. Ebenso machen die
Frauen das Publicum zum Richter ihres Lebens, und- werden dadurch gemein,
das alles, obgleich seit 1789 1s" svsnsmsns comdlMsrU su tavsur als I'ullis
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Mit seiner Abneigung vor jedem falschen Pathos, mit seinem Stil, der
aus Furcht vor dem Gewöhnlichen das Ordnungslose suchte, mit seiiier Ana°
ipse, die als letztes Resultat überall daS Nichts herbeiführte, war Beyle am
wenigsten geeignet, ein Kunstwerk von größerem Umfang zu schaffen. Auch
sein Talent rief ihn nicht in diese Richtung. Es fehlte seinem Geist jene
sinnliche Kraft, die Wirklichkeit in ihren vollen Farben zu ergreifen, und das
Interesse, sie in deutlicher Gruppirung wiederzugeben. Trotzdem hat er sich
mehrfach im Roman versucht. Diese Werke gehören indeß weniger der Ein¬
bildungskraft, als dem Witz an; es sind nicht wirkliche Gestalten und Cha¬
raktere, die ihm aufgehen und ihn gewissermaßen zwingen, sie zu firiren, son¬
dern Mosaikarbeiten, aus Beobachtungen und Analyse mühsam zusammen¬
gesetzt. Fast jeder seiner Charaktere ist eine Paradorie, und dazu bestimmt,
eine Theorie zu erörtern oder einer Theorie zu spotten. Jeder stellt einen
Ausnahmefall dar und enthält irgend eine Unbegreiflichkeit für das Gefühl
oder den Verstand. Auch die Geschichte, die er erzählt, erregt ihm kein eigent¬
liches Interesse. Er wirft die seltsamsten Ereignisse, greuliche und burleske,
bunt durcheinander, ohne daß ein lebendiger Faden sie verknüpft, und bricht
gewaltsam ab, sobald er müde wird. Es sehlt ihm jenes Ideal, welches den
Künstler allein zur Gestaltung befähigt. Die Bewegung in seinen Figuren
ist nicht Leben, sondern Galvanismus, ihr Schmerz wie ihre Lustigkeit hat
etwas Krampfhaftes und Gezwungenes. Am verfehltesten war sein erster Ro¬
man: ^rmÄnss, on "zuslques sssnss ä'uri 8alon as I?ari8 en 1827. Die
Heldin selbst ist eine capriciöse, geistreiche Weltdame mit der Fähigkeit zur
italienischen Leidenschaft, Das Hauptinteresse liegt in ihrem Liebhaber Octave:
ein hoher Verstand, ein edles Herz, eine feurige Seele; zwischen den beiden
besteht eine wahrhafte Liebe, sie heirathen sich, aber vor der Hochzeitsnacht
springt Octave ins mittelländische Meer, und sie geht ins Kloster. Flüchtige


sichtslos ihrer Leidenschaft hin. Der Franzose ist zu eitel dazu, der Deutsche
zu melancholisch in. Dieser im Ganzen ziemlich abstracte Materialismus ist
mitunter in pikanten Bildern, ebenso ost aber in Nechenerempeln ausgedrückt.
Es versteht sich von selbst, daß die äußern Bedenken ganz wegfallen, und daß
Heinses Theorie den Schluß des Werks bildet: lire thans sppartisnt, as
äroit g, l'nomme hui l'aime et qu'fils ains. Die weitere Ausführung von
den Rechten des Weibes ist cynischer als die meisten Emancipationspredigten;
aber er verlangt auch die Emancipation der Männer. Er nennt die Ehre ein
vit mswu^s as vaines et as s«urk»As, us as l'lass sinxulisi-s a.u'furent
esrliüns Kvmrnes as Mrs les lsinwes MASS an msrite. Ebenso machen die
Frauen das Publicum zum Richter ihres Lebens, und- werden dadurch gemein,
das alles, obgleich seit 1789 1s» svsnsmsns comdlMsrU su tavsur als I'ullis
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Mit seiner Abneigung vor jedem falschen Pathos, mit seinem Stil, der
aus Furcht vor dem Gewöhnlichen das Ordnungslose suchte, mit seiiier Ana°
ipse, die als letztes Resultat überall daS Nichts herbeiführte, war Beyle am
wenigsten geeignet, ein Kunstwerk von größerem Umfang zu schaffen. Auch
sein Talent rief ihn nicht in diese Richtung. Es fehlte seinem Geist jene
sinnliche Kraft, die Wirklichkeit in ihren vollen Farben zu ergreifen, und das
Interesse, sie in deutlicher Gruppirung wiederzugeben. Trotzdem hat er sich
mehrfach im Roman versucht. Diese Werke gehören indeß weniger der Ein¬
bildungskraft, als dem Witz an; es sind nicht wirkliche Gestalten und Cha¬
raktere, die ihm aufgehen und ihn gewissermaßen zwingen, sie zu firiren, son¬
dern Mosaikarbeiten, aus Beobachtungen und Analyse mühsam zusammen¬
gesetzt. Fast jeder seiner Charaktere ist eine Paradorie, und dazu bestimmt,
eine Theorie zu erörtern oder einer Theorie zu spotten. Jeder stellt einen
Ausnahmefall dar und enthält irgend eine Unbegreiflichkeit für das Gefühl
oder den Verstand. Auch die Geschichte, die er erzählt, erregt ihm kein eigent¬
liches Interesse. Er wirft die seltsamsten Ereignisse, greuliche und burleske,
bunt durcheinander, ohne daß ein lebendiger Faden sie verknüpft, und bricht
gewaltsam ab, sobald er müde wird. Es sehlt ihm jenes Ideal, welches den
Künstler allein zur Gestaltung befähigt. Die Bewegung in seinen Figuren
ist nicht Leben, sondern Galvanismus, ihr Schmerz wie ihre Lustigkeit hat
etwas Krampfhaftes und Gezwungenes. Am verfehltesten war sein erster Ro¬
man: ^rmÄnss, on «zuslques sssnss ä'uri 8alon as I?ari8 en 1827. Die
Heldin selbst ist eine capriciöse, geistreiche Weltdame mit der Fähigkeit zur
italienischen Leidenschaft, Das Hauptinteresse liegt in ihrem Liebhaber Octave:
ein hoher Verstand, ein edles Herz, eine feurige Seele; zwischen den beiden
besteht eine wahrhafte Liebe, sie heirathen sich, aber vor der Hochzeitsnacht
springt Octave ins mittelländische Meer, und sie geht ins Kloster. Flüchtige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/117>, abgerufen am 25.08.2024.