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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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fassungen der Zeitgeschichte ein bewußtes Wollen und Streben herauszuklügeln.
Denen, welche solche Thorheiten begehen oder sie begünstigen, könnten wir
kaum Schlimmeres wünschen, als daß sie verurtheilt würden, ewig in solchen
Kreisen zu verkehren, deren Weisheit so andachtsvoll zu beobachten sie sich die
Miene geben.

Nachtrag.

Längere Zeit, nachdem wir diesen Aufsatz geschrieben,
kommt uns eine kleine Broschüre zu Gesicht, betitelt: "Die Börse, die Börsen¬
operationen und Täuschungen, die Stellung der Actionäre und des Gesammt-
publicums. Ein Handbüchlein für Papierspeculanten und Nichtspeculanten.
Auf Grundlage von Proudhons Manuel cku speeulsleur <Ze ig, Kourse für
deutsche Leser frei bearbeitet. Zürich 1837." Da das Original von Proudhon
uns nicht zugänglich geworden, so können wir natürlich nicht darüber urtheilen,
wie weit die Bearbeitung demselben sich anschließt; doch deutet der schwunghafte
feuilletonistische Stil ziemlich stark auf unmittelbares Anschließen an eine fran¬
zösische Grundlage hin. Der Verfasser stellt sich als einen unerbittlichen Feind
des Börsenspiels dar, das er sehr ins Einzelne eingehend charakterisirt, er ist
es auch vielleicht; wir zweifeln aber etwas, ob er durch seine detaillirten Ope¬
rationspläne der Fondsbörse sehr von dieser Leidenschaft heilen wird, ob
überhaupt jemand anders davon geheilt werden kann, als infolge seines eig¬
nen dabei erlittenen Schadens. S. 46 stellt der Verfasser den Betrag der auf
Banken und Creditanstalten in Frankreich und Deutschland verwandten Gelder
zusammen und findet für Frankreich 730, für Deutschland dagegen -1464 Mill. Fr.
Wenn der Verfasser daraus Schlüsse ziehen will, die für Deutschland ungünstig
ausfallen, so liegt darin wol einige Uebertreibung, insofern eine ganze Reihe von
Banken althergebracht und von jedem Schwindel weit entfernt sind, so die
Hypotheken- und eigentlichen Diskontobanken, mit deren Papieren auch nur
wenig an den Börsen gemacht wird. Läge dies Verhältniß für Deutschland
ungünstig, in welchem Lichte müßte dann besonders Norddeutschland erscheinen,
dessen 30 Banken (da wir die hamburgischen wol zu den norddeutschen zu zäh¬
len berechtigt sind, obgleich der Verfasser sie davon trennt) 683 Mill. Fr.
Actiencapital repräsentiren, also nicht sehr viel weniger als die Hälfte des
ganzen Betrags, zu dessen anderer Hälfte ganz Oestreich, Südwestdeutschland
und Luxemburg beitragen muß. Oder ist der norddeutsche Charakter so über¬
mäßig speculatiouSwüthig? Aber in der That ist daS Bank- und Creditwesen
in Frankreich noch sehr zurück und nur in Paris und an einigen andern Haupt¬
orten liegen übermäßige Capitalien zu Banken angehäuft, deren größerer Theil
eigens dazu geschaffen ist, um der Börsenspeculation Nahrung zu geben. --
Ein Fehler französischer Anschauung findet sich auch in diesem Buche wieder,
der tes unpassenden Generalisirens. Das Buch beginnt mit einer langen
Tirade gegen die "Spekulation", und versteht darunter gewisse Handlungs-


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fassungen der Zeitgeschichte ein bewußtes Wollen und Streben herauszuklügeln.
Denen, welche solche Thorheiten begehen oder sie begünstigen, könnten wir
kaum Schlimmeres wünschen, als daß sie verurtheilt würden, ewig in solchen
Kreisen zu verkehren, deren Weisheit so andachtsvoll zu beobachten sie sich die
Miene geben.

Nachtrag.

Längere Zeit, nachdem wir diesen Aufsatz geschrieben,
kommt uns eine kleine Broschüre zu Gesicht, betitelt: „Die Börse, die Börsen¬
operationen und Täuschungen, die Stellung der Actionäre und des Gesammt-
publicums. Ein Handbüchlein für Papierspeculanten und Nichtspeculanten.
Auf Grundlage von Proudhons Manuel cku speeulsleur <Ze ig, Kourse für
deutsche Leser frei bearbeitet. Zürich 1837." Da das Original von Proudhon
uns nicht zugänglich geworden, so können wir natürlich nicht darüber urtheilen,
wie weit die Bearbeitung demselben sich anschließt; doch deutet der schwunghafte
feuilletonistische Stil ziemlich stark auf unmittelbares Anschließen an eine fran¬
zösische Grundlage hin. Der Verfasser stellt sich als einen unerbittlichen Feind
des Börsenspiels dar, das er sehr ins Einzelne eingehend charakterisirt, er ist
es auch vielleicht; wir zweifeln aber etwas, ob er durch seine detaillirten Ope¬
rationspläne der Fondsbörse sehr von dieser Leidenschaft heilen wird, ob
überhaupt jemand anders davon geheilt werden kann, als infolge seines eig¬
nen dabei erlittenen Schadens. S. 46 stellt der Verfasser den Betrag der auf
Banken und Creditanstalten in Frankreich und Deutschland verwandten Gelder
zusammen und findet für Frankreich 730, für Deutschland dagegen -1464 Mill. Fr.
Wenn der Verfasser daraus Schlüsse ziehen will, die für Deutschland ungünstig
ausfallen, so liegt darin wol einige Uebertreibung, insofern eine ganze Reihe von
Banken althergebracht und von jedem Schwindel weit entfernt sind, so die
Hypotheken- und eigentlichen Diskontobanken, mit deren Papieren auch nur
wenig an den Börsen gemacht wird. Läge dies Verhältniß für Deutschland
ungünstig, in welchem Lichte müßte dann besonders Norddeutschland erscheinen,
dessen 30 Banken (da wir die hamburgischen wol zu den norddeutschen zu zäh¬
len berechtigt sind, obgleich der Verfasser sie davon trennt) 683 Mill. Fr.
Actiencapital repräsentiren, also nicht sehr viel weniger als die Hälfte des
ganzen Betrags, zu dessen anderer Hälfte ganz Oestreich, Südwestdeutschland
und Luxemburg beitragen muß. Oder ist der norddeutsche Charakter so über¬
mäßig speculatiouSwüthig? Aber in der That ist daS Bank- und Creditwesen
in Frankreich noch sehr zurück und nur in Paris und an einigen andern Haupt¬
orten liegen übermäßige Capitalien zu Banken angehäuft, deren größerer Theil
eigens dazu geschaffen ist, um der Börsenspeculation Nahrung zu geben. —
Ein Fehler französischer Anschauung findet sich auch in diesem Buche wieder,
der tes unpassenden Generalisirens. Das Buch beginnt mit einer langen
Tirade gegen die „Spekulation", und versteht darunter gewisse Handlungs-


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[0107] fassungen der Zeitgeschichte ein bewußtes Wollen und Streben herauszuklügeln. Denen, welche solche Thorheiten begehen oder sie begünstigen, könnten wir kaum Schlimmeres wünschen, als daß sie verurtheilt würden, ewig in solchen Kreisen zu verkehren, deren Weisheit so andachtsvoll zu beobachten sie sich die Miene geben. Nachtrag. Längere Zeit, nachdem wir diesen Aufsatz geschrieben, kommt uns eine kleine Broschüre zu Gesicht, betitelt: „Die Börse, die Börsen¬ operationen und Täuschungen, die Stellung der Actionäre und des Gesammt- publicums. Ein Handbüchlein für Papierspeculanten und Nichtspeculanten. Auf Grundlage von Proudhons Manuel cku speeulsleur <Ze ig, Kourse für deutsche Leser frei bearbeitet. Zürich 1837." Da das Original von Proudhon uns nicht zugänglich geworden, so können wir natürlich nicht darüber urtheilen, wie weit die Bearbeitung demselben sich anschließt; doch deutet der schwunghafte feuilletonistische Stil ziemlich stark auf unmittelbares Anschließen an eine fran¬ zösische Grundlage hin. Der Verfasser stellt sich als einen unerbittlichen Feind des Börsenspiels dar, das er sehr ins Einzelne eingehend charakterisirt, er ist es auch vielleicht; wir zweifeln aber etwas, ob er durch seine detaillirten Ope¬ rationspläne der Fondsbörse sehr von dieser Leidenschaft heilen wird, ob überhaupt jemand anders davon geheilt werden kann, als infolge seines eig¬ nen dabei erlittenen Schadens. S. 46 stellt der Verfasser den Betrag der auf Banken und Creditanstalten in Frankreich und Deutschland verwandten Gelder zusammen und findet für Frankreich 730, für Deutschland dagegen -1464 Mill. Fr. Wenn der Verfasser daraus Schlüsse ziehen will, die für Deutschland ungünstig ausfallen, so liegt darin wol einige Uebertreibung, insofern eine ganze Reihe von Banken althergebracht und von jedem Schwindel weit entfernt sind, so die Hypotheken- und eigentlichen Diskontobanken, mit deren Papieren auch nur wenig an den Börsen gemacht wird. Läge dies Verhältniß für Deutschland ungünstig, in welchem Lichte müßte dann besonders Norddeutschland erscheinen, dessen 30 Banken (da wir die hamburgischen wol zu den norddeutschen zu zäh¬ len berechtigt sind, obgleich der Verfasser sie davon trennt) 683 Mill. Fr. Actiencapital repräsentiren, also nicht sehr viel weniger als die Hälfte des ganzen Betrags, zu dessen anderer Hälfte ganz Oestreich, Südwestdeutschland und Luxemburg beitragen muß. Oder ist der norddeutsche Charakter so über¬ mäßig speculatiouSwüthig? Aber in der That ist daS Bank- und Creditwesen in Frankreich noch sehr zurück und nur in Paris und an einigen andern Haupt¬ orten liegen übermäßige Capitalien zu Banken angehäuft, deren größerer Theil eigens dazu geschaffen ist, um der Börsenspeculation Nahrung zu geben. — Ein Fehler französischer Anschauung findet sich auch in diesem Buche wieder, der tes unpassenden Generalisirens. Das Buch beginnt mit einer langen Tirade gegen die „Spekulation", und versteht darunter gewisse Handlungs- 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/107>, abgerufen am 04.12.2024.