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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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den geschilderten. Sie stehen dem Volke sehr nah und ihr Einfluß, wenn auch
wenig Berechnung hinzutritt, ist groß. Man weiß, daß sie in frühern Seiten
häufig die Zufluchtsstätte von Räubern und Mördern waren und überhaupt die
Hefe deS Volks in nicht weltlichem Gewände vertraten. Vor 200 Jahren
ließen sich selbst die Benediktiner über ähnlichen Sympathien ertappen.
Die Mönche von Monte Vergine in Apulien theilten, nach des damaligen
Nuntius eigenem Bericht, den Raub mit den ihnen befreundeten Banditen,
dienten ihnen als Briefträger und veranlaßten, daß der Nuntius den spanischen
Vicekönig bewog, freigebiger mit Plätzen auf Strafgalceren zu sein. "Die
Galeere," sagte der Nuntius, "rettet manchen Mönch vor dem Galgen. *)
Noch vor 12 Jahren sollen, wie man Uns erzählte, in den Abruzzen verkappte
Kapuziner das Räuberhandwerk getrieben haben. Ihr jetziger Oberer, vielleicht
der einzig wahrhaft schöne und ehrwürdige Kopf im ganzen Kollegium der
Cardinäle, hält strenge Zucht, doch reicht sein Arm nicht in alle Fernen.

Berücksichtigt man nun, daß der Italiener, was immer Herr von Rayne-
val auch über die niedrige Besteuerung deS römischen Volks sagen möge, durch
Kirche und Bettelklöster zu Leistungen aller Art unablässig herbeigezogen wird,
daß z. B. im Neapolitanischen die Sammlungen für die Erlösung aus dem
Fegefeuer an beliebige alte Weiber oder Männer districtweise verpachtet wer¬
den, die nun aus ihrer Pachtindustrie möglichst viel heraus zu bringen suchen,
und daß noch unzählige andere Bettelvvrwände von kirchlichen Werkzeugen
fortwährend, und als längst durch den Gebrauch geheiligt, ausgebeutet wer¬
den, so muß man dem betenden und bettelnden Italien Nachsicht gönnen und
nicht im Nationalcharakter allein die Erklärung suchen, um eine Unsitte zu be¬
greifen, welche die dortige katholische Kirche recht eigentlich groß zieht.

Ohnehin gibt eS Gegenden genug, die, von der Heerstraße und dem
Fremdentreiben nicht berührt, auch nicht daS Laster des arbeitsscheuen Geld-
hcischens zur Schau tragen. Kommt man tief ins Gebirge, sei es im Römi¬
schen oder Neapolitanischen, so findet man die unbegreiflichste Bedürfnißlostg-
keit, aber dabei Gastfreundschaft, und die katholischen Pfarrer hier in diesem
Punkte nicht die letzten. Schon in Städten wie Positano kann es Einem be¬
gegnen, daß weder Brot, noch Fleisch aufzutreiben ist, höchstens Maccaroni
und Wein, außer den immer reichlichen Früchten; und selbst bei wohl¬
habenden Ackerbürgern findet man so schlecht bestellte Vorrathskammern, aber
dabei alle Geneigtheit, das Wenige mit dem Gaste zü theilen. Wo daS Bet¬
teln durch Verarmung, schlechtes Beispiel und Fremdenalwosen eingerissen ist,
zeigt sich sehr häufig noch die Absicht des Jtalieners, die Gabe auf irgend
welche Weise abzuverdienen. Was mit klappernden Blechbüchsen als pri-



*) Die Carafa von Maddaloni, von A. v. Reumont.

den geschilderten. Sie stehen dem Volke sehr nah und ihr Einfluß, wenn auch
wenig Berechnung hinzutritt, ist groß. Man weiß, daß sie in frühern Seiten
häufig die Zufluchtsstätte von Räubern und Mördern waren und überhaupt die
Hefe deS Volks in nicht weltlichem Gewände vertraten. Vor 200 Jahren
ließen sich selbst die Benediktiner über ähnlichen Sympathien ertappen.
Die Mönche von Monte Vergine in Apulien theilten, nach des damaligen
Nuntius eigenem Bericht, den Raub mit den ihnen befreundeten Banditen,
dienten ihnen als Briefträger und veranlaßten, daß der Nuntius den spanischen
Vicekönig bewog, freigebiger mit Plätzen auf Strafgalceren zu sein. „Die
Galeere," sagte der Nuntius, „rettet manchen Mönch vor dem Galgen. *)
Noch vor 12 Jahren sollen, wie man Uns erzählte, in den Abruzzen verkappte
Kapuziner das Räuberhandwerk getrieben haben. Ihr jetziger Oberer, vielleicht
der einzig wahrhaft schöne und ehrwürdige Kopf im ganzen Kollegium der
Cardinäle, hält strenge Zucht, doch reicht sein Arm nicht in alle Fernen.

Berücksichtigt man nun, daß der Italiener, was immer Herr von Rayne-
val auch über die niedrige Besteuerung deS römischen Volks sagen möge, durch
Kirche und Bettelklöster zu Leistungen aller Art unablässig herbeigezogen wird,
daß z. B. im Neapolitanischen die Sammlungen für die Erlösung aus dem
Fegefeuer an beliebige alte Weiber oder Männer districtweise verpachtet wer¬
den, die nun aus ihrer Pachtindustrie möglichst viel heraus zu bringen suchen,
und daß noch unzählige andere Bettelvvrwände von kirchlichen Werkzeugen
fortwährend, und als längst durch den Gebrauch geheiligt, ausgebeutet wer¬
den, so muß man dem betenden und bettelnden Italien Nachsicht gönnen und
nicht im Nationalcharakter allein die Erklärung suchen, um eine Unsitte zu be¬
greifen, welche die dortige katholische Kirche recht eigentlich groß zieht.

Ohnehin gibt eS Gegenden genug, die, von der Heerstraße und dem
Fremdentreiben nicht berührt, auch nicht daS Laster des arbeitsscheuen Geld-
hcischens zur Schau tragen. Kommt man tief ins Gebirge, sei es im Römi¬
schen oder Neapolitanischen, so findet man die unbegreiflichste Bedürfnißlostg-
keit, aber dabei Gastfreundschaft, und die katholischen Pfarrer hier in diesem
Punkte nicht die letzten. Schon in Städten wie Positano kann es Einem be¬
gegnen, daß weder Brot, noch Fleisch aufzutreiben ist, höchstens Maccaroni
und Wein, außer den immer reichlichen Früchten; und selbst bei wohl¬
habenden Ackerbürgern findet man so schlecht bestellte Vorrathskammern, aber
dabei alle Geneigtheit, das Wenige mit dem Gaste zü theilen. Wo daS Bet¬
teln durch Verarmung, schlechtes Beispiel und Fremdenalwosen eingerissen ist,
zeigt sich sehr häufig noch die Absicht des Jtalieners, die Gabe auf irgend
welche Weise abzuverdienen. Was mit klappernden Blechbüchsen als pri-



*) Die Carafa von Maddaloni, von A. v. Reumont.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/84>, abgerufen am 01.09.2024.